«Gehen wir zuerst auf die Toilette, oder schauen wir uns kurz um?»

Samstagnacht in Zürich, mitten in den 1990er Jahren. Es ist ein Spielplatz für Nachtschwärmer, alles ist möglich. Koks auf der Toilette ist das Normalste der Welt, und die schönsten Frauen der Stadt sind bereit, Teil der nächtlichen Geschichte zu werden. Man kennt sich wie in einer grossen Familie.

Besonders das Kaufleuten ist am Sonntagabend eine Art Kommunionsfeier für Eingeweihte. Ein Ritual der besonderen Art, das seine Unschuld verloren hat. Es ist kein geografischer Ort, es ist eine Befindlichkeit!

Beziehungen sind gut, aber jeder ist für sich allein. Man lebt nicht für die Zukunft, sondern ganz im Jetzt. Die Nächte sind geprägt von schillernden Veranstaltungen. Es gibt die «Mr-Kaufleuten-Wahlen» mit Yves Spink und Modeschauen mit Heidi von Bellezza, bei denen die Outfits oft kaum noch aus Stoff bestehen.

Meine Leica ist meine ständige Begleiterin. Ohne sie fühle ich mich nackt. Gehe ich mal ohne sie aus dem Haus, muss ich umkehren und sie holen. Es ist eine Zeit, in der man nicht nur Kultur konsumiert, sondern selbst zu einem Teil davon wird.

Niemand empfindet es als anstössig, wenn die Kamera auftaucht. Im Gegenteil. Die Schönen drängen sich ins Licht.

«Gehen wir zu dir oder zu mir?» Das ist nicht ernstgemeint. Die Spontaneität und die Freiheit des Moments lassen die Nächte lang und länger werden. «Lasst uns noch an den See gehen», rufen wir uns zu, gerade jetzt, wo es aus Kübeln giesst. «Schöner können wir nicht mehr werden.»

Und dann, wenn man im Morgengrauen allein oder doch zu zweit im Taxi sitzt, wird einem schlagartig bewusst: Ich lebe!

Es sind Nächte voller Leidenschaft und Sehnsucht. Das Glitzern der Stadtlichter spiegelt sich im See, die Dunkelheit ist durchdrungen von Verheissungen und Geheimnissen.

Das Prasseln der Tropfen auf dem Taxidach ist wie eine Symphonie des Lebens, die uns daran erinnert, dass wir leben, dass wir lieben, dass wir Teil dieses magischen Ortes sind.

Mit einem Lächeln erinnere ich mich an diese Zeit. Damals war es einfacher, diese magischen Momente einzufangen.

«Hör auf, dich in der Vergangenheit zu suhlen!», ruft mir meine Freundin zu. «Du wirst langsam alt!» Es ist August 2024.