Seine Expertise reicht von den Spartanern bis zu den Taliban. Wie kaum ein Zweiter versteht er Trump vor dem Hintergrund der gewalttätigen Umwälzungen der Weltgeschichte. Im Gegensatz zu vielen Panikmachern in Europa glaubt Militärhistoriker Victor Davis Hanson an Trumps Fähigkeit, die Welt zu beruhigen. Kriegstreiber und Autokraten würden ihm mehr Respekt zollen als Joe Biden, Barack Obama oder George W. Bush. Mit Trumps neuem Team sei Amerika bereit für den Aufbruch zu neuer Schaffenskraft.

Weltwoche: Donald Trumps Kabinett ist fast komplett. «Es sind Personen, die den Status quo aufrütteln werden», sagt der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson. Gehen Sie mit ihm einig: Hat Trump ein Team von Disruptoren zusammengestellt?

Victor Davis Hanson: Ja, das ist die primäre Qualifikation seiner Kabinettsmitglieder. Sie sind sehr misstrauisch gegenüber der Grösse und der Ideologie der permanenten amerikanischen Regierung, die vier Millionen Menschen umfasst.

Weltwoche: Einige der Nominierten wurden als katastrophal und komplett unfähig bezeichnet.

Hanson: Ich habe den Eindruck, dass Leute mit einem nichttraditionellen Lebenslauf, Leute, die genau wissen, wie es sich anfühlt, von einer Regierungsbehörde angegriffen zu werden, genau diejenigen sind, die das System reformieren können.

Weltwoche: In Europa liegt der Fokus auf Trumps Aussenpolitik. Wenn Sie sich die Schlüsselfiguren ansehen, wie Marco Rubio als Aussenminister, Pete Hegseth als Verteidigungsminister oder Mike Waltz als Nationaler Sicherheitsberater, welche Schlüsselbotschaften sendet Trump mit diesem Personal an die Welt?

Hanson: Hier in Amerika gibt es den Begriff «Jacksonian» [in Anlehnung an Andrew Jackson, den 7. Präsidenten der USA – 1829 bis 1837 — und Mitbegründer der Demokratischen Partei; die Red.]. Gemeint ist damit Andrew Jacksons Auffassung von amerikanischer Aussenpolitik, und die lautet: Don’t tread on us — «tritt uns nicht auf die Füsse». Oder anders ausgedrückt: Es gibt keinen besseren Freund und keinen schlimmeren Feind als die USA.

Weltwoche: Bezogen auf Trump bedeutet dies?

Hanson: Dass die Vereinigten Staaten sehr schnell und entschlossen reagieren würden, wenn ihre Interessen oder die ihrer Verbündeten in Gefahr geraten sollten. Aber sie werden sich nicht an Präventivangriffen, am Aufbau von Nationen oder an der Entsendung grosser Truppenkontingente beteiligen. Wenn Japan durch Raketen aus Nordkorea bedroht wird oder Israel überzeugt ist, dass es in der Lage sein sollte, gegenüber dem Iran entschiedener zurückzuschlagen, oder Europa von Russland existenziell bedroht würde, dann denke ich, dass Trump die Verbündeten der USA viel eher unterstützen wird, als es die Biden-Regierung getan hat. Aber Abenteuer wie in Afghanistan, wo man langfristig festsass, oder im Irak, den man neu aufbauen wollte, oder in Libyen, wo man die Regierung absetzte, für solche Dinge wird er nicht zu haben sein.

Weltwoche: China hat seine Macht und Reichweite rund um den Globus unter Biden mit der «Neuen-Seidenstrassen-Initiative» weiter ausgebaut. Ich würde es die «Abhängigkeitsinitiative» nennen. Es ist eine Strategie, um Länder und Gesellschaften von China abhängig zu machen. Wird Trump diese Strategie der Kommunistischen Partei Chinas eindämmen?

Hanson: Ja. Anders als die Regierung Biden sieht Trump China als Feind der westlichen Zivilisation, als ein Land, das die Absicht hat, den grössten Teil der Welt in einem nichtwestlichen Sinne zu kontrollieren. Trump ist überzeugt, dass China die Welt als ein Nullsummenspiel betrachtet. Peking profitiert, wenn es uns schaden kann. Es schickt [den Basisstoff von] Fentanyl nach Mexiko, mit verheerenden Folgen. Im Zuge der illegalen Einwanderung hat die Droge in jüngster Zeit jährlich 100 000 Amerikaner getötet. Peking versucht, Zölle zu umgehen, indem es chinesische Unternehmen ihre Produkte in Mexiko montieren lässt, so nimmt es Amerika Arbeitsplätze weg. Oder es senkt Produktepreise, um seine europäischen oder amerikanischen Konkurrenten zu vernichten und Marktanteile zu gewinnen. Ich denke, Trump muss sehr vorsichtig sein im Umgang mit China, weil wir in den letzten fünf oder sechs Jahren viel von unserem internationalen Einfluss verloren haben. Ich bin überzeugt, dass er das US-Militär und die Wirtschaft so weit wiederherstellen kann, dass sie eine abschreckende Grösse im Interesse unserer Verbündeten darstellen. Er wird sich dafür einsetzen, dass die westliche Welt China mit grösserem Misstrauen betrachtet. Und er wird versuchen, den Westen und seine Verbündeten gegen chinesische Bestrebungen im Südchinesischen Meer zu einen, wo Peking versucht, Taiwan, Japan, Australien und Südkorea zu tyrannisieren.

Weltwoche: Hier in Europa empfindet ein Grossteil der Journalisten und Politiker grosse Skepsis, ja Angst gegenüber Trump. Sie denken, er könnte die Unterstützung für die Ukraine aufgeben und um eines schnellen Friedens willens Putin nachgeben. Wie lautet Ihre Vorhersage?

Hanson: Trump ist ein Geschäftsmann, und wenn Sie sein Buch «The Art of the Deal» lesen, dann ist klar: Er ist der Überzeugung, dass man gute Karten in der Hand haben muss, um verhandeln zu können. Die Ukraine einfach aufzugeben, ist keine Option. Wenn er den Krieg vor den Toren Europas, der bisher anderthalb Millionen Tote, Verwundete und Vermisste auf beiden Seiten gefordert hat, stoppen will, muss er Putin davon überzeugen, dass es nicht in seinem Interesse ist, diesen Krieg fortzusetzen. Das wird nicht möglich sein, wenn er kapituliert. Ich denke, das ist ihm klar. Eines der Modelle, auf die er sich meiner Meinung nach berufen wird, ist Afghanistan. Trump wollte nicht in Afghanistan bleiben, aber er wollte den Luftwaffenstützpunkt Bagram und genügend militärische Mittel der USA behalten, damit die Taliban nicht das tun würden, was sie 2021 getan haben.

Weltwoche: Die Taliban haben Afghanistan widerstandslos erobert. Was hiesse das in Bezug auf die Ukraine?

Hanson: Ich denke, Trump wird wahrscheinlich sagen, dass der Donbass und die Krim schon seit längerer Zeit russisch oder russisch dominiert sind. Doch Putin sollte seine Truppen dorthin zurückziehen, wo sie vor Kriegsausbruch im Februar 2022 waren. Dann könnte man [in den ostukrainischen Gebieten; die Red.] eine entmilitarisierte Zone einrichten. Putin könnte allen erzählen, dass er die Rückgabe der Krim und des Donbass institutionalisiert hat. Dass er Europa und die Vereinigten Staaten daran gehindert hat, die Ukraine in die Nato aufzunehmen. Dass er eine neue Achse mit China und dem Iran geschaffen hat.

Weltwoche: Und die Ukraine?

Hanson: Die Ukraine ihrerseits könnte sagen, dass sie ihr Land dank ihrem heldenhaften Einsatz retten konnte. Diese anderen, obenerwähnten Gebiete hätten sie sowieso nicht zurückbekommen. Weiter könnten die Ukrainer sagen: «Wir werden zwar nicht in der Nato sein, aber wir werden voll bewaffnet sein, so dass Putin uns nicht angreifen will. Wir werden wahrscheinlich bilaterale Abkommen mit den Vereinigten Staaten über Waffenlieferungen und so weiter haben.» Ich denke, dass Trump mehr oder weniger genau das versuchen wird, und er wird versuchen, jeder Seite zu zeigen, dass sie nicht mit einem einseitigen Deal davonkommen wird, sondern einen Kompromiss schliessen muss.

Weltwoche: In Europa ist die Stimmung gegenüber Trump nach wie vor sehr negativ. Sie haben ihn gründlich studiert und ein Buch über ihn veröffentlicht, «The Case for Trump». Welchen Umgang mit Trump 2.0 würden Sie den europäischen Partnern empfehlen?

Hanson: Ich würde die Rhetorik zurückfahren. Ich würde Trump nicht «Hitler» nennen, ich würde ihn nicht als «Diktator» bezeichnen. Ich empfehle, seine Bilanz von 2017 bis 2021 zu studieren. Ich würde die Europäer fragen: War die Nato, als Trump aus dem Amt schied, weniger gut oder besser auf fremde Aggressionen vorbereitet als vor seinem Amtsantritt? War Europa unter Trump sicherer oder weniger sicher, was die Bedrohung durch China, den Iran oder Russland angeht? In den USA hat der Wind vereinzelt bereits gedreht. General Mark Milley beispielsweise hatte gesagt, Trump sei «ein Faschist, durch und durch». Er hat seine Rhetorik gezügelt. Jetzt sagt er, dass es den USA unter seiner Führung gutgehen wird.

Weltwoche: Auch auf der Weltbühne haben einige Kriegstreiber nach Trumps Wahl einen Wandel vollzogen. So manifestiert Katar das Ansinnen, die Hamas-Führung von seinem Territorium auszuschliessen. Die Huthis kündigten an, ihre Aggressionen zurückfahren zu wollen. Offenbar hat man Respekt vor Trump. Wie erklären Sie das?

Hanson: Trump hat grosses Vertrauen in die wirtschaftliche und militärische Macht Amerikas. Im Fall der Huthis hat er immer wieder gesagt: «Ihr werdet das Rote Meer nicht für den internationalen Schiffsverkehr aus Europa oder den Vereinigten Staaten sperren. Wenn ihr das tut, werden wir euch zur Rechenschaft ziehen.» Und zu Katar sagte er sinngemäss: «Wenn ihr die Hamas sponsert und subventioniert, gibt es keinen Grund, warum wir eine grosse Basis in eurem Gebiet unterhalten sollen. Wenn wir euch diese Basis wegnehmen, werdet ihr dem Druck des Irans und der radikalen Islamisten ausgesetzt sein. Wir wollen, dass ihr mit den Terroristen Schluss macht.» Und den Iran lässt er wissen: «Ihr habt jetzt 500 Raketen nach Israel geschickt. Nur weil sie nicht sehr gut funktioniert haben, heisst das nicht, dass es keine Aggression war. Wenn ich mein Amt antrete, möchte ich euch warnen, dass Israel mit euch machen kann, was es will, und wir werden es dabei unterstützen.»

Weltwoche: Bis in den hintersten Winkel der Welt kennt man Trump. Denken Sie, dass seine Warnungen deshalb mehr Gewicht haben?

Hanson: Die Potentaten auf der Welt wissen, na ja, er ist zu unberechenbar. In der Vergangenheit hat er den Islamischen Staat (IS) beseitigt. Er hat den iranischen General Qasem Soleimani, Speerspitze für Angriffe auf US-Truppen und ihre Verbündeten in der Region, getötet. Er hat den IS-Chef al-Baghdadi eliminiert. Er hat 250 Mitglieder der Wagner-Truppe in Syrien getötet. Dieser Mann meint es ernst. Wir wissen nicht, was er tun wird. Wir sollten uns besser einfach ruhig verhalten. Ich weiss, dass die Europäer Mühe haben, dies zu begreifen. Aber ich sage: Trump ist der beste Freund, den die Europäer je hatten. Die Europäer werden durch die chinesische Ausbeutung und den Handel erdrückt. Sie sind in einer Weise von den Seewegen im Nahen Osten abhängig, wie wir es in den Vereinigten Staaten nicht sind. Trump wird sehr darauf bedacht sein, die Biden-Beschränkungen für Energieexporte nach Europa aufzuheben. Er wird den Griechen, Israelis und Zyprioten sagen: Macht weiter mit eurer Pipeline. Ihr müsst Europa mit Erdgas versorgen. Er ist der beste Freund, den sie derzeit in den Vereinigten Staaten haben können.

Weltwoche: Am Tag nach Trumps historischem Comeback wurde ich in Mar-a-Lago Zeuge einer beeindruckenden Szene. Auf der Terrasse seines Privatschlosses sassen Trump und Elon Musk, der mächtigste und der reichste Mann der Welt, zusammen, in Gespräche vertieft. Was erwarten Sie von diesem einzigartigen Duo an der Spitze der Weltmacht?

Hanson: Zu Leuten wie Elon Musk oder auch Unternehmern, mit denen er nicht einverstanden ist, wie Jeff Bezos, sagt Trump: «Dieses Land hat ein einzigartiges System, das Talente anzieht, und im Gegensatz zu den Linken bin ich nicht neidisch auf diese Talente. Im Gegensatz zu den Linken hege ich nicht einmal einen Groll gegenüber Talenten, die mich bekämpft haben. Ich werde nicht auf sie losgehen. Ich werde sie ermutigen, Ideen, Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die die Vereinigten Staaten bereichern, und wir werden sie dafür loben. Ich werde die öffentliche Meinung so verändern, dass man nicht neidisch ist auf Erfolgreiche, sondern dass man ihnen nacheifern möchte.» Das ist es, was er zu tun versucht.

Weltwoche: Offenbar hat Trump mit dieser Aufbruchstimmung bei Unternehmern gepunktet.

Hanson: Ich habe mit vielen Leuten im Silicon Valley gesprochen, die noch nie für ihn gestimmt haben, aber ihn dieses Mal genau aus diesem Grund gewählt haben. Sie sagten: «Wir sind so vielen Vorschriften und so viel Dämonisierung durch unsere Freunde von der Linken ausgesetzt, dass wir das nicht mehr ertragen können.» Trump glaubt, dass die Vereinigten Staaten Dinge tun können, von denen alle sagen, sie seien unmöglich. Wir können wieder zum Mond fliegen. Wir können die beste Rakete bauen, wir können ein Weltraumverteidigungssystem über den Vereinigten Staaten installieren und feindliche Geschosse abschiessen. Wir können ein Weltraumprogramm haben, das überragend ist. Wir können den Haushalt ins Lot bringen, wir können die Verschwendung reduzieren, wir können die Steuern senken. Es gibt ein Gefühl des Aufbruchs, anstatt . . .

Weltwoche: . . . der Restriktionen oder der Cancel-Culture.

Hanson: Trump sagt: «Kämpft alle und versucht, exzellent zu sein, versucht, wohlhabend zu sein, versucht, erfolgreich zu sein, und wir werden euch loben und euch helfen.» Ich denke, das ist eine starke Botschaft.

Weltwoche: Die Stimmung erinnert an die Ära von John F. Kennedy und seine berühmte Rede «We choose to go to the Moon» im Jahr 1962, die grenzenlosen Aufbruch verkündete. Glauben Sie, Trumps zweite Präsidentschaft hat das Potenzial für eine neue Ära des legendären amerikanischen Pioniergeistes?

Hanson: Das glaube ich. Ich denke, die beiden Präsidenten, die dies verkörperten, waren JFK und Ronald Reagan. Beide waren «Can-do»-Präsidenten. Das Motto lautet: «Es gibt keine Grenzen. Die einzigen Hindernisse sind selbstauferlegt. Wir haben eine Verpflichtung gegenüber unseren Vorfahren, die wir nicht mehr verunglimpfen und niederreissen lassen werden. Sie waren wunderbare Menschen für unsere Zivilisation, für Europa und den Westen. Wir werden uns ihretwegen nicht schuldig fühlen. Wir werden stolz sein, wir werden erfolgreich sein, und wir werden Dinge tun, die man sich kaum vorstellen kann. Ich glaube, dieser Geist ist ansteckend. Die Leute haben darauf gewartet.

 

Victor Davis Hanson ist emeritierter Professor für Altertumswissenschaften an der California State University und Fellow an der Hoover Institution. Zuletzt erschien von ihm «The Case for Trump».