Der letzte Samstag veränderte die Welt. Mit Sicherheit veränderte er die Vereinigten Staaten von Amerika. Man muss zwar vorsichtig sein mit Diagnosen und Prognosen, vor allem in so fiebrigen Angelegenheiten wie einem Wahlkampf. Aber nicht nur die Tatsache, dass der frühere amerikanische Präsident Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Butler, Pennsylvania, nur haarscharf einem Mordanschlag entging, sondern vor allem die Art und Weise, wie er im Angesicht des Todes Mut, Charakterstärke und staatsmännische Würde bewies, lassen das Attentat als eine Art Wendepunkt erscheinen, als eine Wiedergeburt. Zum Guten?

Natürlich ist das alles für eine endgültige Beurteilung noch zu früh. Aber Ereignisse, Untaten wie Heldentaten, können ganz neue Situationen schaffen, Transformationen hervorbringen. Der amerikanische Wahlkampf, die US-Politik insgesamt, bietet seit Jahren das widerwärtige Bild von Hass, Exzess, Lüge, seelischer Zerrissenheit. Allerdings lag das nicht in erster Linie an dem unkonventionellen Republikaner Trump, den unsere Medien mit Leidenschaft und selbstgerechter Verleumdungsenergie zum Alleinverantwortlichen dieser Entartung erklären. Vor allem die linken Gralshüter des Anstands haben durch ihre masslosen Feindbilder das Klima gefährlich aufgeheizt.

Unter den Schüssen von Butler bewährte sich Ex-Präsident und Biden-Herausforderer Trump nicht nur in den Augen seiner Anhänger als Held. Das ist es, wovon die Sagen der alten Griechen, die Märchen und Western berichten. Heroismus ist die Fähigkeit eines Menschen, in einer Grenzsituation, im Angesicht des Todes, über sich hinauszuwachsen, die Angst zu besiegen, Ruhe zu bewahren und mit der Fahne in der Hand den Seinen durch das Getümmel den Weg zu weisen. In solchen Momenten sieht man, ob einer das Zeug zum Anführer hat, wie er unter höchstem Stress reagiert, ob er den nötigen Mut und die Kraft aufbringt, im Ernstfall nicht die Nerven zu verlieren.

Entsteigt auch Trump dieser Nahtoderfahrung gewandelt, geläutert?

Das alles war am Samstag zu besichtigen. Es waren Sekunden, in denen die Wirklichkeit das Kino übertrumpfte, eine Art Hollywood-Moment aus der Realität mit einem Hauptdarsteller Trump, der unbeeindruckt schien durch den Streifschuss an seinem rechten Ohr, der ihm bei einer leicht anderen Körperhaltung den Hinterkopf weggerissen hätte. Zügig, aber nicht panisch duckte er sich weg, stand, irgendetwas über seine Schuhe ausrufend, wieder auf, umringt von einem menschlichen Schutzschild aus Sicherheitsleuten. Doch anstatt sich gleich in Sicherheit zu bringen, reckte er, nicht zu bändigen, in unbesiegter Kämpferpose seine kraftvoll geballte Faust empor.

Schon jetzt nimmt das Bild dieser archetypischen Auferstehungsszene in der amerikanischen Kulturgeschichte den Rang einer absoluten Ikone ein. Der Kolossalaugenblick jener unerschrockenen US-Marines, die in der Hölle des Pazifikkriegs gegen Japan auf der Insel Iwojima das US-Banner hochzogen, musste für den Fotografen eigens nachgestellt werden. Das Instinktgenie Trump brachte sein eigenes Heldengemälde in Echtzeit hervor. In diesen Sekunden, die sein Leben hätten beenden können, kehrte er zurück aus dem Reich der Toten. Nicht wenige Amerikaner werden darin, das ist nicht spöttisch gemeint, eine Schicksalsfügung Gottes erblicken.

Wettbüros und viele Beobachter gehen jetzt davon aus, dass Trump die Wahl bereits gewonnen hat. Amtsinhaber Biden hingegen wirkt noch mehr geschrumpft. Als Präsident war er verantwortlich, aber unfähig, die Sicherheit seines Vorgängers und wahrscheinlichen Nachfolgers zu gewährleisten. Vielleicht löst sich dank den Schüssen der unerträgliche Krampf, der wie ein böser Fluch die amerikanische Politik behext. Entsteigt auch Trump dieser Nahtoderfahrung gewandelt, geläutert? Erste Stellungnahmen zeigen einen auf Versöhnung gestimmten Staatsmann, den mit der Kugel schockartig womöglich die Erkenntnis streifte, auch er habe sich zu mässigen.

Sollte es Trump im November tatsächlich schaffen, wäre dies keine schlechte Nachricht. Er könnte bei den guten Leistungen ansetzen, die seine erste Amtszeit prägten, doch überschattet blieben von einer Persönlichkeit, die ihren schrankenlosen Narzissmus nicht in den Griff bekam. Im ersten Durchlauf gelang es Trump nicht, jene Sphären des Charmes und der grossväterlichen Güte auszustrahlen, die einen US-Präsidenten, den er gerne als ein Vorbild erwähnt, auszeichnete: Ronald Reagan, der zwar auch schon nicht mehr der Jüngste war, aber seinen unbezweifelbaren Punch und Biss unter einer Samtschicht humorvoller Menschlichkeit versteckte.

Wenn die Vereinigten Staaten mit sich selber wieder ins Reine kommen, wenn der gescheiterte Mordversuch von Butler, ungeachtet aller Verdächtigungen und Spekulationen, die sich jetzt gegen die Sicherheitskräfte richten, die verkrachte Nation wieder zusammenbringt und die Bürgerkriegstendenzen zwischen Progressiven und Konservativen abflauen lässt, könnte dies die ganze Welt entkrampfen. Nicht nur die USA, auch die internationalen Beziehungen sind vergiftet durch den «woken» Absolutismus, durch die Neigung, aus jedem Konflikt einen Kreuzzug zu machen, Andersdenkende als moralisch minderwertig, böse und verwerflich zu taxieren.

Die USA sind heute das Epizentrum dieser pseudoreligiösen Pervertierung nicht nur der Politik, sondern aller Lebensbereiche bis in die Kultur und den Sport. Das gottlose, heuchlerische Frömmlertum sah in Trump den Teufel und strahlte dieses Bild, sehr erfolgreich, in die Welt hinaus. Ein ähnliches Dämonisierungsschema beobachten wir mit Blick auf Russland und dessen Präsidenten Putin. Worte töten nicht, aber manchmal lockern sie den Finger am Abzug. Umgekehrt kann hochgepeitschter Hass in sein Gegenteil umschlagen, in Liebe. Vielleicht waren die Schüsse von Butler der Knall, der so dringend nötig war, um unsere verrückte Welt zur Vernunft zurückzubringen.