Wenn nach dem Freistoss meines Sohnes die Blumen des Nachbarn flachliegen, sind die Ausreden voraussehbar: «Der Fussball ging nicht in die Blumen. Falls doch, ich war es nicht! Falls doch, ist es nicht so schlimm. Falls doch, kann man jetzt sowieso nichts mehr machen.» Die Mechanismen sind klar, die Psychologen nennen es «kognitive Dissonanz»: Man sucht nach Ausreden, um das eigene Verhalten zu rechtfertigen. Schliesslich fällt es schwer, auf die geliebten Freistösse zu verzichten. Obwohl der Sohnemann genau weiss, dass er seine fussballerischen Übungen ganz einfach anderswo verrichten müsste, um des Nachbars Blumen zu schützen.
Der Fussball in Nachbars Blumen lässt sich fast eins zu eins auf die Leugnung des menschengemachten Klimawandels übertragen. Die Fakten sind klar: Die Erde hat sich über das letzte Jahrhundert um ein Grad Celsius erwärmt, und der Mensch ist mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit die dominante Ursache. Die Folgen sind ebenso gut beobachtet, verstanden und in Computermodellen simuliert. Sie werden sich ohne rasches Handeln massiv verstärken: Meereis, Gletscher und Eiskappen, die schmelzen, steigender Meeresspiegel, mehr Hitzewellen und Starkniederschläge, trockene, heisse Sommer wie letztes Jahr in der Schweiz mit Folgen für Landwirtschaft, Ernährungssicherheit, Tourismus, Wasserverfügbarkeit, Gesundheit, Energieversorgung und -nachfrage. Diese Liste ist absehbar nicht abschliessend. Nur eine vollständige Abkehr von Öl, Gas und Kohle in den nächsten paar Jahrzehnten kann die Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad begrenzen: das Klimaziel, das sich alle Regierungen 2015 in Paris gesetzt haben. Netto null CO2 bis 2050 bedeutet, dass bis dann alles, was noch ausgestossen wird, anderswo wieder eingelagert werden muss. Die Wissenschaft ist sich einig, die Regierungen haben mit wenigen Ausnahmen das Übereinkommen von Paris ratifiziert. Teile der Politik debattieren und zögern, aber Millionen von Menschen gehen auf die Strasse und fordern mehr Massnahmen.
Nur Roger Köppel und seine Verbündeten versuchen auf ihrer Insel der Glückseligen, der Weltwoche, ihr Weltbild zu retten. In der Ausgabe vor einigen Wochen gab es eine Auflistung von «unbestrittenen Fakten», zum Beispiel in der Kategorie «Gibt es nicht»: Da wird behauptet, bei einigen kiribatischen Inseln steige der Meeresspiegel gar nicht. Die Frage, ob das global repräsentativ ist, wird nicht gestellt. In der Kategorie «Ich war es nicht» steht: «Der Einfluss der Sonne auf die Klimaentwicklung wird möglicherweise grandios unterschätzt.»
Möglicherweise? Unbestrittene Fakten tönen anders. CO2 sei nicht das wichtigste Treibhausgas, Wasserdampf sei «viel bedeutsamer». Das wissen die Physiker seit über hundert Jahren, und die Klimamodelle simulieren es seit fünfzig Jahren. Aber dass Änderungen in Wasserdampf und Wolken eine Folge der Erwärmung, also eine Rückkopplung sind, die wir über das CO2 kontrollieren, bleibt auf der Strecke. Oder dass 97 Prozent der CO2-Flüsse natürlich seien. Das ist korrekt, aber völlig irrelevant, weil sie sich kompensieren. CO2 wird gebunden durch Photosynthese, wenn der Salat wächst. Wenn ich ihn esse und das CO2 ausatme oder der Salat verfault, ist das CO2 wieder da, wo es vorher war. Aber das fossile CO2 ist eben zusätzliches CO2, und der beobachtete Anstieg des CO2 ist voll menschengemacht.
In der Kategorie «Nicht so schlimm»: Die Erwärmung als Folge des CO2-Ausstosses sei laut einem dänischen Forscher «nur halb so gross wie angenommen», obwohl weit über 95 Prozent der Studien zu anderen Resultaten kommen. Und schliesslich in der Kategorie «Man kann nichts machen», dass «der Klimawandel ein unvermeidbarer, weil natürlicher Vorgang» sei. Tatsächlich verändert sich das Klima aufgrund von Änderungen in der Erdbahn, der Sonne, von Vulkanen. Nur weil etwas früher schon mal da war, bedeutet das nicht, dass es heute die gleiche Ursache hat. Die derzeitige Diskussion des Artensterbens illustriert den logischen Fehlschluss: Die Dinosaurier sind ohne menschliches Dazutun ausgestorben, aber kaum jemand würde behaupten, dass das heutige Artensterben darum auch natürlich ist.
Die angeblich «unbestrittenen» Argumente sind also eine bunte Mischung von selektiver Datenauswahl, Überinterpretationen, logischen Fehlschlüssen und simplen Fehlern. Ein Müsterchen? Roger Köppels kolportiertes Zitat eines früheren NZZ-Kollegen, dass man «sechs Milliarden Windturbinen» brauchen würde, um den Weltenergiebedarf zu decken, ist falsch. Das ergäbe fast eine Turbine pro Erdenbürger. Dass diese Zahl rund um einen Faktor tausend danebenliegt, hätte sowohl dem Autor wie auch der Redaktion der Weltwoche auffallen müssen.
Wenn es mit den Fakten nicht klappt, bleibt immer noch der polemische Vorwurf, die Wissenschaft sei gekauft. Klimatologen seien «Druiden», «Päpste», «moderne Klima-Schamanen» und «Klima-Alarmisten», die «hochfahrenden Unsinn» schreiben und «absurde Forderungen» stellen würde, so der O-Ton von Herrn Köppel. Süffig und unterhaltsam geschrieben, offenbaren die Texte aber weit mehr: Wem die sachlichen Argumente ausgehen, der greift zu persönlicher Beleidigung, unterstellt Inkompetenz oder Interessenkonflikte. Bei der Weltwoche hat das Tradition.
Und irgendwann kommt dann die «Kostenwirklichkeit» oder der «klima- oder energiepolitische Wahnsinn». Damit stösst man zum Kern der Sache im Weltbild des Politikers Köppel. Die vorgeschlagenen Massnahmen zum Klimaschutz stehen für Teile der SVP und FDP im Widerspruch zu ihrer Überzeugung von Freiheit, minimalem Staat und uneingeschränktem Wachstum. Die globalen langfristigen Herausforderungen einer Gesellschaft stellen damit das eigene Weltbild in Frage. Aber statt das eigene Verhalten und die eigenen Werte zu hinterfragen, mokiert man sich lieber über die Wissenschaft.
Die Aussage, dass die CO2-Emissionen in ein paar Jahrzehnten auf null müssen, ist also keine politische Einmischung der Wissenschaft, sondern eine simple Konsequenz der Klimaziele, welche die Schweiz ratifiziert hat. Die Schweiz kann allein natürlich wenig ausrichten. Es ist nur möglich, wenn alle Länder ihren Beitrag leisten. Dafür gibt es in der Uno den Begriff der «gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung». «Gemeinsam» bedeutet, dass es keine Trittbrettfahrer geben darf. «Differenziert» hat zwei Kriterien: Wer einerseits mehr verursacht, der soll mehr beitragen. Das ist das Verursacherprinzip, das bei Umweltfragen üblich ist. Und wer andererseits mehr Möglichkeiten wie Innovation oder Geld hat, der soll mehr beitragen, wie etwa bei der Steuerprogression. Wie auch immer man diese Kriterien gewichtet, die Schweiz trägt mit ihrem Fussabdruck und ihren Möglichketen eine grosse Verantwortung. Wenn wir sagen, dass wir das nicht lösen können oder wollen, dann ist es schwer, andere davon zu überzeugen, dass sie es machen sollen.
Als Wissenschaftler können wir Grundlagen erarbeiten, Lösungen entwickeln und Vorteile und Risiken von Szenarien aufzeigen. Wir haben auch die Pflicht, darauf hinzuweisen, wenn Fakten verzerrt oder instrumentalisiert werden. Es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft, zu entscheiden, mit welchen politischen Instrumenten wir auf netto null CO2-Emissionen kommen, das ist ein demokratischer Aushandlungsprozess.
Aber ein Blick in die Geschichte zeigt, dass bei ähnlichen Problemen keines allein durch Eigenverantwortung und Marktmechanismen gelöst wurde: Abfall, Abwasser, Luftreinhaltung, Ozonloch – all das hat man durch klare und für alle geltende Regeln in den Griff bekommen. Das Klimaproblem ist lösbar, aber unvergleichlich schwieriger, weil es weltweit ist, alle Sektoren betrifft und die grössten Probleme erst in Jahrzehnten sichtbar werden. Das System «Erde–Mensch» ist ohne Zweifel komplex. Deshalb ist es verlockend, eine Scheindebatte auszulösen und das Gegenüber zu verwirren. Als Wissenschaftler hinterfragen wir unsere Resultate jeden Tag. Aber die relevanten Fragen und Unsicherheiten betreffen die genauen lokalen Auswirkungen des Klimawandels und deren Risiken; nicht (mehr), ob der Mensch das CO2 überhaupt reduzieren müsse.
Die Messung eines Thermometers oder die Physik der Atmosphäre sind politisch weder links noch rechts, es sind naturwissenschaftliche Fakten. Wir kennen nicht alle Details, aber genug, um zu entscheiden. Wie wir entscheiden, darüber können und müssen wir debattieren, aber die Fakten zu verneinen, ist für die Politik fatal. Tragfähige Lösungen können nur entstehen, wenn wir die Grundlagen ernst nehmen, auf Augenhöhe diskutieren und bereit sind, der Zukunft der nächsten Generationen mehr Gewicht zu geben als den eigenen Ideologien und Profiten. Der beste Zeitpunkt zum Handeln wäre vor über dreissig Jahren gewesen, als unsere Generation das Problem erkannt hatte. Der zweitbeste Zeitpunkt ist jetzt. Die jungen Menschen haben es erkannt.
Reto Knutti, Klimatologe, ist Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich und war einer der Leitautoren beim Vierten und Fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC.
Corona war angeblich auch wissenschaftlich belegt. Heute muss eigentlich jeder einsehen, dass er jämmerlich verarscht wurde. Beim Klima, das sich seit Millionen von Jahren verändert, sind mehr oder weniger die gleichen Psychopathen am Werk. Es geht um sehr, sehr viel Geld.