Es ist etwa ein Vierteljahrhundert her, aber das macht nichts, denn Zeit spielt in dieser unendlichen Geschichte keine Rolle. Ich war Sprecher im Wirtschaftsministerium in Niedersachsen. Mein Büro lag gegenüber dem Leineschloss von Hannover, in dem der niedersächsische Landtag residiert, die Staatskanzlei war 800 Meter Luftlinie schräg links, dort residierte Sigmar Gabriel als Ministerpräsident, er wurde später Aussenminister, Vizekanzler und holte als Kanzlerkandidat Ergebnisse für die SPD, von denen Olaf Scholz nur träumen kann. Gerade hat er völlig entnervt als Aufsichtsrat bei Thyssen Krupp das Handtuch geschmissen. Und wir alle hatten ein Dauerthema: VW.

 

Unzertrennliche aus unschöner Zeit

Es verging keine Woche, in der nicht irgendeine VW-Neuigkeit auch über meinen Schreibtisch rutschte. Der Minister reiste nach China, und natürlich war ein VW-Vorstand an Bord. Oben in Emden klemmte die Passat-Produktion, nebenan in Wolfsburg ging es bereits um die Viertagewoche, selbstverständlich bei vollem Lohnausgleich. Betriebsräte sassen im Ministervorzimmer und manchmal auch der Minister im Betriebsratsvorzimmer. VW und das politische Niedersachsen sind eine Symbiose. Und das nicht nur, weil das Land Fieber bekommt, wenn VW Schnupfen hat, wie sie hier im Norden alle sagen, sondern auch, weil das Gesetz es so will. Bis heute.

Generationen von Managern, Betriebsräten und Arbeitern kommen und gehen durch die Tore des VW-Hauptsitzes in Wolfsburg und anderswo, der Staat aber, genauer gesagt das Land, blieb immer als wichtigster Aktionär im Haus. Es besitzt goldene Aktien – ein Anachronismus aus längst vergangenen Zeiten: Ein eigens geschaffenes VW-Gesetz garantiert, dass Vertreter der Landesregierung bei allen Entscheidungen, die VW betreffen, niemals überstimmt werden können, ganz gleich, wie hoch der Aktienanteil des Landes gerade ist. VW ist in Wahrheit der grösste Staatskonzern, den sich Deutschland leistet. Der Volkswagen ist die einzige echte deutsche Staatskarosse.

 

Scholz sitzt immer mit am Tisch

Die Unzertrennlichen haben in einer unschönen Zeit zueinandergefunden. Eines der wichtigsten Projekte der nationalsozialistischen Organisation «Kraft durch Freude» war 1937 der KdF-Wagen, der dann in Volkswagen umgetauft wurde. Die Nazis mussten verschwinden, VW blieb. Und als der Konzern 1960 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, zimmerte der Gesetzgeber im gleichen Jahr das VW-Gesetz. Es hat seither munter Bestand, obwohl beispielsweise die EU-Kommission dagegen Sturm lief, weil sie in der Sperrminorität einen Verstoss gegen den freien Kapitalverkehr sieht. Der Europäische Gerichtshof verurteilte Deutschland deswegen sogar einmal, worauf die Regierung in Berlin unter dem Niedersachsen Gerhard Schröder das Gesetz ein ganz bisschen änderte. Aber nicht viel.

Denn Schröder war möglicherweise der grösste VW-Freund auf dem Kanzlerthron. Er hatte den damaligen VW-Arbeitsdirektor Peter Hartz damit beauftragt, an seiner Agenda 2010 mitzuwirken.

Und so kommt es, dass die SPD derzeit nicht nur das Land, sondern praktischerweise auch das grösste Unternehmen im Land, eben VW, mitregiert. Egal, was bei VW gedacht, geplant oder entschieden wird, Olaf Scholz sitzt immer mit am Tisch beziehungsweise wird vertreten durch seinen Parteikollegen, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil. Dieselskandal, Managerwechsel am laufenden Band, Softwareprobleme, eine vergurkte E-Auto-Strategie – das Land war jedes Mal mit im Boot, wenn es bei VW nicht so lief wie gedacht. Und es ist auch jetzt beteiligt, da es gerade um weniger VW-Mitarbeiter und weniger VW-Werke geht. Denn VW und Deutschland – das ist eine unendliche Beziehungsgeschichte.