Everybody loves an underdog, jeder mag einen Benachteiligten, sagt man. Vor allem wenn der unterlegene Hund den topdog anknurrt und vom Hof jagt. Darum mag man auch Max Grüter, den Schweizer Künstler, falls man seine Geschichte kennt. Er hat geknurrt, als die Markenverantwortlichen von Omega seinen goldenen Astronauten für ihre Werbung verwendeten. Ohne ihn um Erlaubnis zu fragen beziehungsweise ihm ein Angebot zu machen. Und er hat gekämpft: Als die Anwälte der zur Swatch-Group gehörenden Uhrenmarke seinen Raumfahrer als «Dekorationsmaterial» beschrieben, reichte er beim Zürcher Handelsgericht Klage ein. Worauf eine aussergerichtliche Einigung zwischen den Parteien erfolgte.

Das war aber noch nicht das Ende der Story, ach was: des Streits, vom tapferen Künstler gegen den Milliardenkonzern. Im zweiten Kapitel wiederholte sich die Geschichte tatsächlich – nach Omega benutzte auch Swatch, genauer die Moonswatch, seinen Astronauten für einen Reklameauftritt im World Wide Web (neben Markenbotschafter George Clooney immerhin). Gerade so, als hätte es die erwähnte Einigung mit Omega nie gegeben. Worauf Grüter der Gruppe ein zweites Mal mit einer Klage drohte. Das war vor zwei Jahren. Und seither ist nichts mehr gegangen. Meinte man.

Bis der Underdog vor wenigen Wochen, nachdem man ihn die längste Zeit nicht mehr knurren hörte oder kämpfen sah in dieser Sache, zum Gegenangriff überging, wenn man so will: Er brachte selbst eine Uhr heraus. Und im Zentrum dieser, auf dem Zifferblatt, befindet sich – sein Astronaut.

 

Schöner Wohnen

Grüter, 69 Jahre alt, Vater zweier erwachsener Kinder (sowie Grossvater mit drei Enkeln), lebt und arbeitet im Zürcher Kreis 4. Dieser Satz, wie man ihn oft in Künstlerbiografien liest, «. . . lebt und arbeitet in . . .», ist im Wortsinn zu verstehen: Seit zwanzig Jahren mietet er -zwischen Bäckeranlage und Langstrasse ein Atelier. Wer ihn am Arbeitsplatz besucht, steigt über eine hölzerne Aussentreppe, vorbei an einer mechanischen Werkstätte, in den ersten Stock eines kleinen Backsteinhauses. Und seit zehn Jahren wohnt Grüter auch dort – er hat eine Decke in das Zimmer gezogen, im so geschaffenen «oberen Geschoss» befindet sich sein Schlafzimmer. «Das habe ich in New Yorker Künstlerstudios gesehen», sagt er. Und beweist damit, dass er a) ein positiv denkender und im Herzen junger Mensch ist sowie b) allenfalls ihm zugeflossenes Geld der -Omega-Einigung nicht für schickes Wohnen ausgibt (beide Seiten schweigen über den Inhalt der Vereinbarung/Höhe der Zahlung).

Und so kam es, dass der als Objekt- und Medienkünstler beschriebene Grüter – er selbst erfand für sein künstlerisches Anliegen schon früh den Begriff «freidimensional» – auf die Uhr kam: Fabian Lehner, ein Zürcher ETH-Ingenieur und Hersteller von Uhren mit der Technik aus dem klassischen Maschinenbau, produziert in Kleinserien, fragte ihn an. Weil er, Lehner, Werke von Grüter gesehen und für gut befunden hatte, darunter den Astronauten. Und weil ihm die Lasertechnik, die Grüter verwendet, imponiert. Wie die Marke des ETH-Uhrenmachers heisst? Sie heisst, tatsächlich, MaXII, gesprochen «Max Twelve», englisch für zwölf. Ist das Zufall oder Fügung? Schwer zu sagen. Das Kooperationsmodell jedenfalls trägt den Namen «MaXII Max Grüter», es handelt sich dabei um eine auf dreimal zwölf Stück limitierte Kollektion. Die Uhr mit unter dem schwebenden Astronauten sichtbar verbautem Sellita-Skeleton-Werk gibt es für knapp 3000 Franken, sie ist erhältlich in drei Farben  (Purple, lila, respektive Orbit Blue und Orbit Gold); «time is my colour», die Zeit ist meine Farbe, sagt der Künstler über die Farbpalette.

 

«Houston, I am a problem»

Grüter und seine Astronauten – eine lange Beziehung. Als Heranwachsender, 1969 war Max vierzehn Jahre jung, verfolgte er die erste Mondlandung am Schwarzweissfernseher im Elternhaus. Das war stilprägend für ihn, so sieht’s aus. Als (ziemlich) junger Künstler, ab den frühen 1980er Jahren, nachdem er von Horgen nach -Zürich aufgebrochen war, um «dort nie ganz anzukommen», wie er sagt, begann er, sein «Private Space -Program» zu entwickeln, sein privates Weltraumprogramm: computeranimierte Astronauten, dreidimensional modellierte Weltraumfahrer et cetera. Weshalb? Weil ihn Schutzanzüge beeindrucken. Diese Verfremdung des menschlichen Körpers stelle für ihn den Gegenentwurf zur Kunstform des Akts dar. Während der nackte Mensch eines der am meisten wiedergegebenen Objekte sei, setzte sich kaum ein Künstler mit Menschen in Schutzkleidern auseinander. Das heisst, kaum einer ausser Grüter. Oder in seinen Worten: «Houston, I am a problem.»

Ist das Ironie oder eine Vorhersage? Die meisten Künstler wollen mit ihren Werken etwas auslösen, suchen Rückmeldungen vom Publikum (oder nehmen solche wenigstens in Kauf). Mit Sicherheit aber Grüter, dessen Arbeit ich seit 1990 verfolge. «Er schafft immer wieder Werke, bei denen der Kunstkonsument in die Kunstproduktion einbezogen wird» steht auch bei Wikipedia. Weshalb sich sein schalkhaftes «Houston, I am a problem» ergänzen lässt – er sucht vielleicht keine -Probleme, doch diese finden ihn. Was ich sagen will: Schon mit seinen «Kunst im Eigenbau»-Anleitungen (1997, zur Herstellung von Christbaumschmuck oder als Osterhasenversteck-Vorschläge) rief er Betrachter dazu auf, sich seine Werke anzueignen. Und seit mehr als zwanzig Jahren sind bestimmte Skulpturen von ihm, darunter auch die erwähnten Astronauten, in seinem «3D-Warehouse» im World Wide Web erhältlich, downloadbar also, und zwar kostenfrei. Aber, wichtig, nicht für den kommerziellen Zweck, wie es die Swatch-Group-Nutzung darstellte. Weshalb er das tut, warum er sein Werk gratis zur Verfügung stellt? Weil es ihm um die Verbreitung gehe, sagt er, darum, dass die Protagonisten seines privaten Weltraumprogramms auf diese Art tatsächlich durch den virtuellen Raum reisten.

 

«So muss Kunst aussehen»-Kunst

Was zu Grüters Kunststücken im öffentlichen Raum führt, seinen Erdtauchern etwa: aus Beton gegossene, menschliche Büsten, die als Einzelmaske oder in einer Gruppe aus dem Untergrund auftauchen. Beispielsweise im Freibad Letzigraben in Zürich, vor dem Haus der Kunst in Uri oder im Filter 4 in Basel, einem Kulturplatz, kann man sie antreffen und mit ihnen einen «ortsspezifischen Dialog eröffnen», wie der Künstler schreibt.

Vor Horgen, einige Meter über dem Zürichseespiegel, schwebt sein «Himmelsruderer» (seit 2008), ein weiterer Vertreter seiner virtualis-tischen Raumfahrer, und im Brunnen des Thalwiler Schulhauses trotzt ein solcher schon seit 33 Jahren der Nässe, die ihn umgibt. Dennoch ist Kunst im öffentlichen Raum für -Grüter keine ausschliessliche Erfolgsgeschichte. Was mit seiner Bewerbung, über dem Dach des Zürcher Kulturhauses Kosmos einen weiteren anbringen zu dürfen – er hatte etwa bereits seinen «Alltagsakrobaten» über einem Geschäftsgebäude in Glattbrugg montiert –, zusammenhängt. Die  Entscheidungsträger lehnten das Angebot ab. Was den Künstler hart traf – gibt es einen, der geeigneter wäre als er, einen Kunstastronauten zu schaffen? Und wo wäre ein solcher besser platziert, als im (oder über dem) «Kosmos»? Weshalb also kam Grüter nicht zum Zug respektive wurde ihm kein entsprechender öffentlicher Auftrag erteilt? «Vielleicht weil meine Kunst nicht aussieht wie ‹So muss Kunst aussehen›-Kunst», sagt er. Seine lange Laufbahn hat ihn Demut gelehrt, scheint’s. Und das Kosmos war ohnehin bloss eine kurzlebige Angelegenheit; 2022 schloss das Lokal infolge Misswirtschaft der Verantwortlichen nach nur fünf Betriebsjahren bereits wieder.

 

Der Zeit voraus seit 1993

Durch Langlebigkeit dagegen zeichnet sich eine weitere Grüter-Skulptur aus: Sein Hasenmensch mit Namen Bunnyman hoppelt seit über dreissig Jahren durch sein Schaffen. Das heisst, er steht still und leicht demütig in der Werksgeschichte. Oder wie der Mann dahinter es ausdrückt: «Seit 1993 sondieren Bunnymen multimedial das allgemeine Kultur-, Konsum- und Gender-Bewusstsein.» «Multimedial» ist das treffende Wort, es gibt sogar Bunnymen aus Schokolade (erhältlich in der Confiserie Eric’s in Zürich-Riesbach). Mein erster Text über -Grüter beziehungsweise dessen Werk, nebenbei, drehte sich ebenfalls um den Hasenmann – «Objektkünstler Max Grüter: Mein Name ist (nicht) Hase . . .», stand damals im Blick. Seither haben sich die Bunnymen (-plural) vermehrt wie Karnickel», sagt der Erschaffer. Er sieht diese als absurde Kunstikone, die in unseren konsumistischen Lebensentwurf passe. Man könnte auch sagen, sie haben die gender-mässige Entwicklung vorweggenommen, der Hase/die Häsin hat nämlich kein eindeutiges Geschlecht, sondern weist sowohl männliche als auch weibliche äussere Merkmale auf.

Was alle Bunnymen auszeichnet: Sie nehmen eine Männchen (oder Weibchen) -machende unterwürfige Haltung ein. Eine Position also, die Max Grüter, der dafür verantwortliche Künstler, nie eingenommen hat. Wie inzwischen auch die für die Werbung von Uhrenmarken der Swatch-Group verantwortlichen Manager und ihre Anwälte erfahren haben. Grüter zieht, wenn’s denn die Integrität seines Werks und die Gradlinigkeit seiner Laufbahn verlangen, einen Schutzanzug an wie seine Astronauten oder Taucher und steht auf die Hinterbeine wie seine Hasenmenschen. Und dann kommt vielleicht auch mal eine Uhr dabei heraus, die für ein wenig Unruhe in der -Branche sorgt.