Wer «China» und «Tiere» googelt, landet schnell mal bei Arten, die womöglich Covid-19 über die Tier-Mensch-Grenze getragen haben. Oder er findet Klagen darüber, dass «der Chinese» schlechthin alles verzehrt, was dem Tierreich angehört.

Und nun das! Im April letzten Jahres verliess eine Herde Asiatischer Elefanten ihren Heimatwald in der autonomen Präfektur Xishuangbanna der Dai und trampelte achtzehn Monate lang durch die Provinz Yunnan – und durch die nationale wie internationale Presse. Höhepunkte: die Geburt zweier Elefantenkälber, sozusagen am Strassenrand, die Passage des Flusses Yuan Jiang per Brücke und die Betäubung eines Bullen, der sich von der Herde getrennt hatte und allein weitermarschierte mit anschliessender Verfrachtung zurück ins Heimatreservat. Nicht nur vom Gelben Meer bis zur Mongolei, sondern weltweit nahm man Anteil an den Geschicken der umherziehenden Dickhäuter.

Wie im Porzellanladen

Dass die Elefanten sich auf die Wanderschaft gemacht hatten, ist nicht weiter überraschend. Es liegt in ihrer Natur, ihren Lebensraum zu durchstreifen. Der allerdings hat sich in den letzten Jahrzehnten gründlich verändert. Elefanten-Lebensraum wurde in Anbauflächen verwandelt und von Strassen und Schienen zerschnitten. Die Elefantenherde, die sich, ausgehend vom Schutzgebiet im äussersten Süden Chinas, vor achtzehn Monaten auf den Weg nach Norden machte, konnte gar nicht anders, als sich auf ihrer rund 500 Kilometer langen Reise wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen zu benehmen: Die Tiere verpflegten sich auf Zuckerrohr- und Maisfeldern, knackten Scheunen, luden Lastwagen voller reifer Ananas ab und verwerteten sie, berauschten sich an fermentiertem Getreide und plünderten Geschäfte. Drei bis vier Zentner Futter braucht ein erwachsener Asiatischer Elefant pro Tag. Bei einer Herde mit fünfzehn Exemplaren kommt da einiges zusammen.

Sie luden Lastwagen voller Ananas ab, berauschten sich an fermentiertem Getreide und plünderten Geschäfte.

Insgesamt soll die Herde im Vorübergehen Schäden und Kosten von 1,07 Millionen Dollar verursacht haben. Das Gros der Kosten: Die Herde beschäftigte einen ganzen Expertentrupp, der vor allem damit zu tun hatte, die Wanderer von grösseren Siedlungen und Anbauflächen fernzuhalten. Von Lastwagen aus, mit Polizisten, Arbeitern und rund tausend Drohnen wurden die Elefanten rund um die Uhr überwacht.

Wo sie auf Strassen zusteuerten, sorgten Polizeikräfte dafür, dass der Verkehr blockiert wurde, bis die grauen Riesen die Strasse sicher überquert hatten. Wo sie allzu nah an besiedeltes Gebiet kamen, wurden die Bewohner sicherheitshalber evakuiert (rund 150 000 Menschen verliessen zeitweise ihre Häuser) und die Elefanten gleichzeitig mit Futter aus dem Risikogebiet weggelockt. Als – ausgelöst durch den Bericht eines australischen Fernsehteams – der Alarmruf durch China hallte, die schwergewichtigen Medienstars könnten an den Giftpilzen Schaden nehmen, die für die nasse Jahreszeit in dieser Region typisch sind, wurden prompt 120 Sichtmeldungen pilzeangelnder Elefanten publik – allerdings, soweit bekannt, ohne Beschädigung der Herde.

Chinesische Wildlife-Experten rätseln noch, was die Herde dazu bewegt haben könnte, ihr angestammtes Reservat zu verlassen. Vielleicht, so argwöhnt Zhang Li, Professor für den Schutz von Säugetieren an Pekings Normal University, ist es der Umstand, dass die Pufferzone um das Schutzgebiet mehr und mehr schwindet und die Tiere mehr Begegnungen mit Menschen haben als in den Jahren zuvor. Doch auch das könnte ein Auslöser der Wanderbewegung gewesen sein: Chinas Artenschutzbemühungen haben dazu geführt, dass die Bestände von 170 Tieren (in den neunziger Jahren) auf heute über 300 angestiegen sind. Mehr Tiere brauchen mehr Raum, und den findet man als Elefant, indem man sich auf den Weg macht.

Kein Mensch wurde angegriffen

Die 500 Kilometer lange Reise der Elefanten ist Mitte September dieses Jahres glücklich zu Ende gegangen. Dank des aufwendigen mobilen Schutzzaunes hatte kein Elefant Schaden genommen, und kein Mensch war angegriffen worden. Und nebenbei hatten die wandernden Riesen für das Image Chinas vermutlich mehr getan, als sämtliche olympischen Rekorde und wirtschaftlichen Höhenflüge es je vermocht hätten: Die Elefanten waren zu Botschaftern des riesigen Landes in der westlichen Welt geworden.

Und so konnte es nicht ausbleiben, dass chinesische Autoritäten ihnen eine staatstragende patriotische Mission attestierten. In der Global Times fand sich die Titelzeile: «Chinas Fürsorge für seine wandernden Elefanten – ein Symbol bewundernswerter Anteilnahme, das der Westen nicht zerstören kann».

Veronika Straass ist Biologin, Schriftstellerin und Dolmetscherin.