Auf den ersten Blick wirkt die EU-Taxonomie wie ein weiterer bürokratischer Tsunami: Mit dem Ziel, Greenwashing zu bekämpfen und den Finanzsektor in Richtung nachhaltiger Investitionen zu lenken, regelt die EU auf tausend Seiten, was künftig als «grün» oder «nachhaltig» gilt. Doch ein genauer Blick zeigt, dass dieses Regelwerk der Wirtschaft auch wichtige Vorteile bietet: mehr Rechtssicherheit, mehr Transparenz und mehr Vergleichbarkeit. Unternehmen wissen nun, nach welchen Kriterien Nachhaltigkeit in der EU gemessen wird und welche Aktivitäten in Zukunft gefördert werden.

 

Tausende von Unternehmen betroffen

Die EU-Taxonomie betrifft nicht nur Unternehmen innerhalb der Union. Ab 2026 müssen etwa 300 der grössten Schweizer Firmen mit EU-Niederlassungen Berichte vorlegen, die zeigen, inwiefern ihre EU-Aktivitäten die Taxonomieanforderungen erfüllen. Dazu gehört die Angabe des Anteils von Umsatz, Investitionen und laufenden Kosten, der den EU-Taxonomiekriterien entspricht.

Doch die Regulierung betrifft noch viel mehr Schweizer Unternehmen: 50 Prozent der Schweizer Gesamtexporte gehen in die EU. Absender sind schätzungsweise 40 000 Firmen, die wiederum häufig an EU-Unternehmen liefern, welche selbst nachweisen müssen, wie sie die Kriterien erfüllen. Entsprechend bevorzugen sie Produkte aus der Schweiz, die helfen, den EU-Standards zu entsprechen. Wer die EU-Taxonomiekriterien erfüllt, hat deshalb auf dem EU-Markt einen Wettbewerbsvorteil.

Wie eingangs erwähnt, verfolgt die EU mit der Taxonomie mehrere, sehr weitreichende Ziele. Die Taxonomie gibt dabei vor, was in Zukunft als förderungswürdig gilt und was nicht. Weltweit arbeiten bereits viele Länder an ähnlichen Regelwerken, doch die EU ist der erste Markt, der grössere Unternehmen zur Prüfung und Berichterstattung der Taxonomiekonformität verpflichtet.

Wie prüfe ich, ob mein Produkt EU-Taxonomie-konform ist? Glücklicherweise muss man nicht die gesamten tausend Seiten durchlesen, um festzustellen, ob man die Kriterien erfüllt. Es gibt einen erprobten Prozess:

1 – Sektorzugehörigkeit: Zunächst wird geprüft, ob das Produkt in einen für die Taxonomie relevanten Sektor fällt, wie zum Beispiel Erzeugung von Elektrizität oder Herstellung von Verpackungen aus Kunststoffen.

2 – Technische Anforderungen: Das Produkt muss sodann einen signifikanten Beitrag leisten zu den Nachhaltigkeitszielen des «Green Deal» in den Bereichen Klimaschutz und -anpassung, Wasser, Kreislaufwirtschaft, Umweltbelastung oder Biodiversität.

3 – Ausschlusskriterien: Produkte dürfen zudem keinem dieser Nachhaltigkeitsziele zuwiderlaufen.

4 – Soziale Mindeststandards: Schliesslich muss das Unternehmen sicherstellen, dass soziale Mindestkriterien erfüllt werden, wie die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten.

Fazit: Ein Unternehmen, das die genannten Vorbereitungen trifft, weiss am Ende, wo es in Bezug auf die EU-Taxonomie steht, und ist gut vorbereitet auf allfällige Fragen von Kunden oder Finanzdienstleistern aus der EU. Sogar wenn man nicht direkt von der EU-Verordnung betroffen ist, kann es von Vorteil sein, seine Taxonomiekonformität zu kommunizieren. So sehen Kunden und Investoren aus dem In- und Ausland sowie die Mitarbeitenden, wie man bezüglich Nachhaltigkeit im Vergleich zur europäischen Konkurrenz dasteht.

Auch wenn die EU-Taxonomie zunächst wie zusätzliche Bürokratie erscheinen mag, eröffnet sie für Schweizer Unternehmen, die sich frühzeitig vorbereiten, Wettbewerbsvorteile und langfristige Planungssicherheit auf dem europäischen Binnenmarkt.

 

Bastien Girod ist Partner bei Deloitte Schweiz.