Federica de Cesco: Die Welt durch Wörter sehen. Meine Lieblingsgeschichten. Wörterseh. 172 S., Fr. 28.90

Ich habe viel Fantasie, dazu den geeigneten Wortschatz. Ich kann den Leuten imaginäre Gefühle vermitteln oder rein erfundene Begebenheiten plausibel machen», sagt Federica de Cesco in ihrer Wohnung in Luzern. Wer so selbstbewusst redet, muss um seine Qualitäten wissen. De Cesco, 84, schreibt seit 65 Jahren, ihr Werk ist dementsprechend umfangreich: Sie verfasste 82 Jugendbücher, 17 Romane für Erwachsene und 6 Sachbücher. 1957 erschien ihr grösster Erfolg, «Der rote Seidenschal». Das Kinderbuch, das sie mit fünfzehn schrieb, wird in einer Neuauflage diesen Winter erscheinen.

«Ich möchte weiterhin junge Mädchen auf den Weg der Emanzipation bringen», sagt die Bestsellerautorin. Mit ihrer Verlegerin Gabriella Baumann-von Arx sei sie übereingekommen, dass die Heldin des Buches aber «durchaus mehr knutschen» dürfe. «Was ich doch gerne ausschmücke, zumal in so düsteren Zeiten von #MeToo, Genderwahn und Krieg.» Die Botschaft bleibe ja die gleiche: «Frauen, bewegt euch, steht zu euren Bedürfnissen. Geniesst die Zeit!»

«Unbescheidenheit, bitte!»

Früher waren es die angehenden Frauen zwischen vierzehn und sechzehn, die ihre Literatur verschlangen, heute tauchen die Mädchen schon im Alter von zehn bis zwölf Jahren in de Cescos Welt ab. Sie hatte aber nicht nur Fans. «Man schimpfte über mein Werk», erinnert sie sich, «ich sei reaktionär, weil ich in der Hippiezeit nicht bei Utopien mitmachte. Und kolonialnostalgisch, weil ich Probleme mit dem China Maos und dessen Eroberung Tibets hatte.»

Das ist lange her. Jetzt sitzt de Cesco bei sich zu Hause auf einem malträtierten senfgelben Lesesofa. «Das war die Katze, Ninja! Mein Mann und ich sind von ihr geduldet. Hunde haben Besitzer, Katzen haben Personal», witzelt sie. Seit mehr als zehn Jahren lebt sie hier in der Nähe des berühmten Hotels «Palace». «Chéri, bringst du uns bitte Wasser», ruft sie ihrem Mann zu. In der Küche ist er der Chef, der 76-jährige japanische Fotograf Kazuyuki Kitamura. Mit ihm ist sie seit 1971 zusammen. Sie «koche» lieber ihre Bücher mit vielen Zutaten, «mit allem, was das Leben bringt und die Menschen bewegt. Liebe und Schmerz, Unglück und Gewalt, Action und Erotik. Nicht zu vergessen das Schicksal unserer Erde. Dazu kommen noch Ideale und Utopien, Rebellion und Verzweiflung – und manchmal auch Zynismus.»

Ihre Prosa ist dennoch unaufgeregt, die Worte stehen stets im Dienst ihrer Geschichten, alles entwickelt sich in einem natürlichen Fluss. De Cesco nahm sich gerne der Minderheiten an. Die Indianer, die «Native Americans», bewunderte sie schon im «Roten Seidenschal», über die Tragödie der Kurden schrieb sie in «Das Erbe der Vogelmenschen», und in «Tochter des Meeres» ist der Traum die Befreiung von Mädchen in muslimischen Ländern.

Auf einer Lesereise Anfang der sechziger Jahre gefiel ihr in Thun ein Mann, so blieb sie hier.

«Bücherschreiben ist Magie», sagt sie. Gerade erschienen sind die Lieblingsgeschichten der Schriftstellerin. «Die Welt durch Wörter sehen» lautet der Titel. Es sind Kurzgeschichten, Vorworte, Vorträge und Anekdoten aus ihrem reichen Leben, ein kleines Potpourri mit Berichten über eine Luzerner Hochzeit, über ihre Lieblingsschokolade oder von Erlebnissen aus Japan. Kern des Buches ist aber das Nachwort «Wie schmeckt ein Buch am besten?». Hier schrieb sie für die Anthologie «Wörterknistern» – eine Jubiläumssammlung zum dreissigjährigen Bestehen des Netzwerks schreibender Frauen Femscript.ch – über die spezifisch weiblichen Eigenschaften der Literatur: Sie nennt «psychologische Finesse, Fantasie, Realismus, Humor und Ironie, gesellschaftliche Kritik und Sinn für das Epische». Um dann zu fordern: «Nicht knistern soll die weibliche Sprache – nein, sie soll donnern! Unbescheidenheit, bitte!»

Doch nicht um jeden Preis, schränkt die Vielschreiberin ein: Sie mag die schreiende Literatur nicht, wo es um die möglichst drastische Darstellung von Sex und Grausamkeit geht. Selber liest sie am liebsten Marguerite Duras, Colette oder die Brontë-Schwestern und immer wieder Balzac, Flaubert, Dumas. «Wie die Details beschreiben konnten, über Seiten! Das macht mir stets Eindruck.» Heute seien Romane, bei denen das Blut aus jeder Seite tropft, die Norm. «Auf der Kinoleinwand ist es nicht anders, von der ‹Tagesschau› reden wir erst gar nicht», sagt sie besorgt.

Auf Schakaljagd

De Cesco kennt die Welt. Sie wurde 1938 im norditalienischen Pordenone als Tochter einer Deutschen und eines Italieners geboren. Sie lebte in Äthiopien, Deutschland, Frankreich und Belgien, bereiste zahllose Länder und spricht mehrere Sprachen. Niedergelassen hat sie sich aber in der Schweiz. Auf einer Lesereise Anfang der sechziger Jahre gefiel ihr in Thun ein Mann, so blieb sie hier. Mit ihm hat sie zwei Kinder, die Tochter lebt als Designerin in Morges, ihr Sohn arbeitet in einem Sozialberuf. An der Schweiz schätzt sie das harmonische Zusammenleben und das Hochhalten der Demokratie. Ihren zweiten Mann, einen «schönen Japaner», wie sie sagt, hat sie in einem Restaurant in Paris erobert: Kazuyuki Kitamura sass am Nebentisch, ohne sie zu beachten. Sie liess keck einen Fingerring fallen, beide bückten sich danach – und verliebten sich. Bald schon fuhren sie mit einem Jeep kreuz und quer durch die Schweiz und gingen mit Berbern in Nordafrika auf Schakaljagd.

«Frauen müssen ihre Bescheidenheit überwinden, nur so kommen sie voran», sagt die Draufgängerin. Vor Jahrzehnten nahm sie ihren Mut zusammen und sprach mit ihrem ersten Manuskript in einem Verlag vor. «Ich war wie so viele Teenager: hin- und hergerissen zwischen Selbstzweifeln und Selbstüberschätzung.» Wenn sie heute immer noch an Schulen liest, mag sie die Pubertierenden am liebsten, weil die so schwierig sind. «Meistens sitzen vorne breitbeinig die offensiven Jungs, mit ihren Armen vor der Brust verschränkt. Abwartend, was ich als alte Frau ihnen da wohl zu berichten hätte», erzählt sie. Die Mädchen sässen defensiv in den hinteren Reihen und musterten sie neugierig. «Am Schluss sind die Burschen zu mir geneigt, die jungen Frauen löchern mich mit Fragen.» Und berichten ihr, wie gerne sie de Cesco lesen.

Schwarze Jahre

Die NZZ beschrieb die Fähigkeit von Federica de Cesco einmal so: «Ihre Bücher bringen auf fast schon magische Weise die Herzen immer neuer Generationen von Teenagern zum Schwingen. De Cescos süffig zu lesende Geschichten über Initiationen ins Erwachsenenleben erzählen meistens von selbstbewussten jungen Frauen, die einige Abenteuer und Gefahren überstehen müssen, weil sie für ein freies Leben in der Natur kämpfen.»

Ein freies Leben ist ihr noch heute wichtig. Sie nahm sich auch stets die Freiheit ihres Wirkens. «Ich wäre gerne Zeichnerin geworden», sagt sie. Dann steht sie auf, kramt in den vielen Schubladen Fotos und Skizzen hervor, die sie früher gemacht hat. Sie zeigt Ballettfotos ihres fotografierenden Mannes und holt die Bildbände über Feste in der Schweiz und in Schweden, die sie mit ihm zusammen gemacht hat; er die Fotos, sie die Texte. «Ich ging mit einem einzigen Dia von meinem Chéri zum Hallwag-Verlag und verliess das Chefbüro mit der Zusage zu seinem ersten Buch.»

Ihre forsche Art habe hierzulande immer wieder viel Staunen ausgelöst, sagt die mittlerweile eingebürgerte de Cesco. «Die Schweizerinnen sind zu bescheiden, nehmen sich viel zu fest zurück. Das ist nicht gut für die Sache der Frau!»

Wenn man Federica de Cesco nach ihrer besten Zeit fragt, sagt sie: «In den 1970er und 1980er Jahren lebten wir unbeschwert, da habe ich mich mit meinem Mann prächtig amüsiert. So etwas wird den kommenden Generationen vermutlich länger nicht mehr gewährt werden. Es sind schwarze Jahre mit Despoten wie Wladimir Putin, Xi Jinping und Konsorten . . .»