Here (USA 2024):von Robert Zemeckis. Mit Tom Hanks, Robin Wright, Paul Bettany, Kelly Reilly

Er ist zwar in die Jahre gekommen, aber durch die häufigen TV-Ausstrahlungen dürfte der Hollywood-Spass «Back to the Future» (1985) nicht in Vergessenheit geraten sein, jener Zeit-Purzelbaum-Klamauk um einen Teenager, der mit einer Zeitmaschine ins Jahr vor seiner Zeugung zurückkehrt und mit existenziellen Problemen konfrontiert wird: Er muss seine Mutter in spe, ein Girl im besten Petting-Alter, dazu bringen, sich nicht für ihn zu interessieren, diesen feschen Jungen, sondern für seinen zukünftigen Erzeuger, den sie für trottelig hält. Einstein und Freud sorgen für diesen lustigen sadomasochistischen Albtraum eines Jungen, der sich schwer ins Zeug legt, seine Zukunft nicht aufs Spiel zu setzen.

Schon immer hatte Robert Zemeckis, 72, ein Faible für exzentrische Spielereien mit Zeit und Raum. In «Who Framed Roger Rabbit» (1988) ging es um Mehrdimensionalität, in «Death Becomes Her» (1992) um Gegenwartsverlängerungen, und in «Forrest Gump» (1994) werden Erinnerungen verhandelt. Bei all diesem Vergnügen an schrägen, erfolgreichen Plots gehörte Experimentelles nie zur Beute in seinem Jagdrevier – bis jetzt. Mit «Here» hat Zemeckis sich erstmals in eine gefährliche Zone vorgewagt, in der man schnell selbst erledigt werden kann. Verblüffend, dass er es tat.

Denn «Here» geht auf die gleichnamige Graphic Novel des amerikanischen Künstlers Richard McGuire zurück. Der hatte vor Jahren den Einfall, die Geschichte der Welt auf einen einzigen Punkt zu fokussieren: das Wohnzimmer seiner Familie, in der sie sich mehrheitlich aufhielt. Das wuchs zu einer 300-seitigen Bilderzählung mit «Wohnzimmer-Panorama» heran, gefüllt mit kleineren Panels, wie Öffnungen in die Vergangenheit (Rundblenden und Rückblenden im Film) der Vorfahren; sie öffnen sich, bis sie das Zimmer füllen. Schon innerhalb des Comic-Mediums ist «Here» erzählerisch ein kühnes Experiment von grafischer Raffinesse – nur nicht gerade bestsellerverdächtig. Dennoch wurde «Here» ein relativer Erfolg mit Kultstatus, der einen trotz diesem verrückten künstlerischen Eigensinn in den Bann ziehen kann.

 

Wie in einem Terrarium

Auch Robert Zemeckis gehörte zu den Fans, mit ihm sein langjähriger Produzent Jack Rapke sowie Tom Hanks; der mochte schon immer Ausflüge abseits des Mainstreams. Graphic Novels (hier ist die Bezeichnung wirklich sinnvoll) zu verfilmen, ist nichts Neues, in diesem Fall aber schon. Auch Comics leben von Bewegung, optischer Vielfalt, Emotionen. Der stilistische Erzählmodus von «Here» schreit allerdings nicht unbedingt nach einer Adaption. Wer es wagt, darf sich nicht wundern, für einen Kamikaze gehalten zu werden. Zemeckis und Co. haben den Spott nicht gescheut, sondern herausgefordert.

Und prompt reagiert die Kritik: Ob Zemeckis sein Gespür für Blockbuster verloren habe? Dass er diesem «Gespür» vielleicht gar nicht nachgehen wollte und nie einen «Back to the Future»-Klamauk vorhatte, wird gar nicht erst in Betracht gezogen. Um Zeit und Raum geht es auch diesmal; vor allem um den Raum, ganz im Sinne von James Joyce: «Im Raume liegt, wohin ich in der Zeit kommen muss.» Der Raum, in dem die Zeit immer wieder sich wie in einem Brennglas bündelt, umfasst nur wenige Quadratmeter – und über die, man mag’s nicht glauben, trampeln erst einmal Dinosaurier! Dann bekriegen und lieben sich Indigene, und erste Amerikaner besetzen das Areal und bauen ein Haus darauf.

Mal ehrlich: Geht’s noch? Das Weltpanorama auf diesem winzigen Stück und dann noch mit derartigen Beispielen? Später kauft die Familie Young das Haus, die ihre einschneidendsten sozialen Momente im Wohnzimmer verbringt; mal flüchtig, mal beiläufig, mal zentral; mal streitend, mal feiernd. Die Kamera bleibt starr, das Personal läuft ins Bild hinein. Das ist zunächst reichlich gewöhnungsbedürftig. Doch dann entfaltet die Geschichte der Youngs einen kuriosen Sog: mit Paul Bettany und Kelly Reilly als Eltern, Tom Hanks als Sohn Richard und Robin Wright als dessen Frau Margaret und der ganzen Verwandt- und Bekanntschaft, die immer wieder dieses Wohnzimmer besetzt, wie Reisende auf einem Bahnhof.

Man bleibt dran und bestaunt dieses «Zimmer-Leben» wie ein Terrarium, bewohnt von der Spezies Mensch. Es ist ein bisschen wie in Thornton Wilders Bühnenstück «Unsere kleine Stadt», das das geordnete Leben der Bewohner dramatisiert. Deren ritualisiertes Verhalten ändert sich von Akt zu Akt um Nuancen, geprägt vom Lauf der Zeit. Das Personal bleibt irritierend distanziert, wie bei den Youngs, schlägt einen aber auf seltsame Weise in Bann.

Das ist nicht jedermanns Sache. Doch wie Zemeckis mit Aging und De-Aging der Schauspieler arbeitet, wie sie sukzessive aus der Tiefe des Raums in den Vordergrund rücken, wie Zeitenwendenereignisse mit Mode und Möblierung verknüpft werden und am Ende die Kamera durchs Panoramafenster das Zimmer verlässt, als sei es eine Voliere, aus der das Leben davonfliegt – das hat schon Charme, bleibt aber auch ein hollywoodsches Kuriosum.