In gesellschaftlichen Debatten sind zwei Dinge auseinanderzuhalten: Bei der Politikgestaltung geht es um die Wahl zwischen alternativen Handlungsmöglichkeiten, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Bei der Politikanalyse dagegen werden die Folgen von Entscheidungsalternativen und deren mögliche Ergebnisse aufgezeigt. Sowohl bei der Politikgestaltung als auch bei der Politikanalyse geht es um Politik, denn die Menschen sind sich nicht immer einig darin, wohin die Reise gehen soll, mit welchen Mitteln die angestrebten Ziele erreicht werden sollen und welche Landkarten wir verwenden, um von hier nach dort zu gelangen.

In Klimafragen ist das anders. Auf höchster Debattenebene in der Klimapolitik scheint die Klimamodellierung solche Diskussionen überflüssig gemacht zu haben. Klimamodelle werden oft herangezogen, um uns zu sagen, dass wir eine nahezu sichere Katastrophe riskieren, wenn wir so weitermachen wie bisher. Sie werden auch verwendet, um uns zu sagen, dass wir das Risiko einer Katastrophe ausschalten, wenn wir bestimmte Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels ergreifen.

Das macht die Entscheidungsfindung zu einer einfachen und offensichtlichen Sache, oder?

Es ist diese scheinbare Einfachheit, die dazu geführt hat, dass Klimawissenschaftler, besonders Modellbauer, als die Experten angesehen werden, die es als Berater für die Klimapolitik braucht. Dieser Ansatz zur Analyse der Klimapolitik hat denn auch die wissenschaftliche Autorität ins Zentrum politischer Debatten gerückt – Klimawissenschaftler gegen Skeptiker und Leugner.

 

Überall die wissenschaftliche Autorität

Natürlich ist die Klimapolitik viel komplexer als das, aber der öffentliche und politische Diskurs hat sich wohl oder übel auf eine Debatte reduziert, die sich auf wissenschaftliche Prognosen über unsere gemeinsame langfristige Zukunft konzentriert. Klimamodellierer verfügen über das einzigartige Fachwissen und die Autorität, um uns einen Einblick in diese Zukunft zu geben, also – so das Argument – sollte ihnen natürlich auch in der Politik die entsprechende Autorität zukommen.

Ich habe diese Dynamik zum ersten Mal vor fast dreissig Jahren bemerkt, als ich an meiner Dissertation über die Rolle der Klimawissenschaft in der Klimapolitik arbeitete. Damals war es möglich, jede Anhörung des US-Kongresses zum Thema Klima zu lesen, die jemals stattgefunden hat.

 

Verzerrte Wahrnehmung der Berichte

Diese Anhörungen liefen immer nach dem gleichen Schema ab: Eine hochkarätige Gruppe von Klimawissenschaftlern gab eine vorbereitete Stellungnahme zu ihren Forschungen ab und erklärte, was ihre Arbeiten über die Zukunft des Klimas aussagen. Die Fragen der Kongressmitglieder an diese Wissenschaftler konzentrierten sich dann immer auf die Frage, welche Massnahmen ergriffen werden sollten.

Die Forschung zeigt, dass diese Dynamik anhält – die alten Medien und die sozialen Medien betonen die Berichte der IPCC-Arbeitsgruppen 1 und 2, die sich mit den physikalischen Grundlagen und Entwicklungen befassen, die Verwundbarkeit von Systemen und Gesellschaften analysieren sowie Projektionen der Klimazukunft und ihrer Auswirkungen liefern – und sie vernachlässigen die Arbeitsgruppe 3, die sich mit Energiesystemen und Technologien zur Milderung befasst, als quasi mit Abhilfemöglichkeiten. Jeder, der sich mit Klimapolitik beschäftigt, wird mit dieser Dynamik vertraut sein.

Die Prophezeiung beherrscht den Diskurs, und die Propheten sind unsere Priester. Dass Klimaprognostiker in der klimapolitischen Diskussion eine derart prominente Rolle spielen, liegt zweifellos an der seit langem bestehenden Voreingenommenheit zugunsten der Naturwissenschaften innerhalb und ausserhalb der Wissenschaften.

Ein weiterer Grund ist jedoch spezifischer: Klimaprognosen zeigen seit vielen Jahrzehnten eine riesige Lücke zwischen der Richtung, in die wir glauben, getrieben zu werden, und der, die wir erreichen würden, wenn wir den Kurs ändern. Diese riesige Lücke ist in der Grafik zu sehen, in der zwei Entwicklungspfade weit auseinanderstreben. Der obere zeigt die prognostizierten Änderungen der globalen, durchschnittlichen Oberflächentemperatur bis zum Jahr 2100 bei geringen Klimaschutzmassnahmen, der untere Pfad ergibt sich bei strengen Milderungsmassnahmen. Die Kurven stammen aus dem fünften IPCC-Sachstandsbericht von 2013.

Die Lücke zwischen den zwei Szenarien ist so gross, dass sie auch dann noch besteht, wenn Unsicherheiten einbezogen werden. Diese Lücke – wenn sie auf Auswirkungen und Ergebnisse angewandt wird – wird oft als Beweis für die Vorteile des Klimaschutzes angeführt.

Ich nenne diese Lücke das «Maul der Schlange». Weit aufgerissen. Sobald Sie sich dieser Kiefer der Schlange bewusst sind, werden Sie diese überall in den Projektionen der Klimaforschung und -bewertungen erblicken.

Aber halt, müssen die Schlangenkiefer zwingend aufgerissen sein? Nein, es gibt Fälle, in denen sich das Maul schliesst. Und zwar in dem Masse, in dem unsere Sicht auf die langfristige Klimazukunft weniger katastrophengeprägt wird – zunächst einmal, indem wir uns von irreführenden, unplausiblen Szenarien mit extremen Kurven verabschieden. In weiteren Schritten sodann, wenn sich die Dekarbonisierung beschleunigt und dazu führt, dass sich die Kiefer der Schlange noch enger schliessen.

 

Maul zu, Diskussion wird möglich

Eine Annäherung der plausiblen künftigen Entwicklungspfade ergibt sich unweigerlich mit dem klimapolitischen Fortschritt – der ja per Definition bedeutet, dass die Richtung, in die es uns treibt, der Richtung näher kommt, in die wir gehen wollen.

Natürlich bedeutet das Schliessen des Schlangenmauls nicht, dass der Klimawandel verschwindet oder dass es nicht wichtig ist, ihn zu bekämpfen. Es bedeutet vielmehr, dass wir die Auswirkungen der verschiedenen Wege in die Zukunft sorgfältiger und wissenschaftlich fundierter beurteilen müssen. Das hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Klimawissenschaft und die Politik. Hier einige Punkte dazu:

– Befürworter von Klimamassnahmen werden es sehr viel schwerer haben, sich auf Klimamodellergebnisse zu berufen, um eindeutige, kurzfristige Vorteile der Klimapolitik fürs Klimageschehen zu behaupten. Technisch gesehen, wird sich die «Zeitskala des Manifestierens» nachweisbarer Einflüsse der Klimapolitik auf das Verhalten des Klimasystems wahrscheinlich noch viel weiter in die Zukunft erstrecken, für viele Phänomene gar bis ins nächste Jahrhundert oder darüber hinaus.

– Daher wird es starken politischen Druck sowohl von aussen als auch innerhalb der Wissenschaft geben, an extremen Szenarien festzuhalten oder neue Ansätze mit extremen Ergebnissen zu entwickeln, um das Maul der Schlange offenzuhalten. Die «Klimagegner» ihrerseits werden darauf drängen, das Schlangenmaul geschlossen darzustellen. Wichtig sind daher Institutionen, die es ermöglichen, angesichts des politischen Hin und Her die Dinge klar darzustellen.

– Das Schliessen des Schlangenmauls stellt ein politisches Risiko für Klimawissenschaftler dar, die seit langem daran gewöhnt sind, als Experten für Klimapolitik angesehen zu werden, obwohl sie (in der Regel) wenig Fachwissen in den Bereichen Politik, Wirtschaft oder Energie haben. Aus diesem Lager wird zweifellos Druck kommen, diese Kiefer so lange wie möglich als weit offen darzustellen.

– Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, die nicht einfach mit einem aufgerissenen Schlangenmaul gerechtfertigt werden können, werden von einer breiteren Begründungsbasis profitieren – man denke an Wirtschaft, Sicherheit, Zugänglichkeit und nicht klimabezogene Umweltvorteile. Eine breitere Basis käme der politischen Robustheit der Argumente für den Klimaschutz zugute und auch der politischen Unterstützung für die Dekarbonisierung. Aber gleichzeitig würde ein solcher Perspektivenwechsel natürlich die Vorrangstellung der prognostischen Klimamodellierung schmälern.

Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Wissenschaft und Politik müssen Schritt halten, unabhängig davon, wessen Expertise gewinnt oder verliert.

 

Roger Pielke ist ein US-amerikanischer Umweltwissenschaftler und Professor im Environmental Studies Program und Fellow des Cooperative Institute for Research in Environmental Sciences (Cires) in Boulder, Colorado.

Dieser Text ist zuerst auf Substack erschienen.