In der Schweizer Wirtschaftspolitik läuft im Hintergrund ein zäher Kampf um den unternehmerischen Spielraum der Firmen. Es geht um die Revision des Wettbewerbsrechts. Das tönt nicht dramatisch, aber mit diesem Streit steht man direkt an der Staatswachstumsfront – an der die Verfechter hoheitlicher Eingriffe oft erfolgreicher gewesen sind als die Verteidiger privater Freiräume.

Nächste Woche geht die Auseinandersetzung um die Wettbewerbsspielregeln in eine entscheidende Runde, wenn die Wirtschaftskommission (WAK) des Nationalrats die langwierige Kartellgesetzrevision für die anstehende Parlamentsberatung bereinigen wird.

Zentraler Streitpunkt wird sein, ob die Nationalratskommission in ihrem Entwurf die Motion Français einbauen wird oder nicht. Diese von Ständerat Olivier Français (FDP) 2018 eingereichte Motion wurde 2021 vom Parlament angenommen, wurde dann in den bundesrätlichen Kartellgesetzvorschlag eingebaut, 2024 in der Ständeratsdebatte aber wieder rausgeworfen. Die Français-Motion verlangt, dass die Schädlichkeit einer Wettbewerbsabrede anhand qualitativer und quantitativer Kriterien dargelegt und nicht einfach angenommen wird.

Genau das ist der Kern des Konflikts: Wenn der Verdacht aufkommt, dass zwei Firmen sich miteinander abgesprochen haben – soll dann der Wettbewerbspolizist sogleich die Waffe zücken und schiessen oder soll er – wie Français fordert – zuerst schauen, worum es genau geht?

Anders gesagt: Soll die Wettbewerbskommission unmittelbar hart zuschlagen dürfen, wenn sie eine Handlung sieht, die eventuell schädlich und damit ein Vergehen gegen das Wettbewerbsrecht sein könnte? Oder muss sie zuerst abklären, ob diese Tat effektiv schädlich ist?

Beide Parteien berufen sich in diesem Zusammenhang auf Rechtsstaatlichkeit.

Für die einen bedeutet das, dass man nicht einfach den schiesswütigen Sheriff gewähren lässt, sondern im Verdachtsfall ein ordnungsgemässes Prüfverfahren durchführt, ob überhaupt ein relevanter Schaden entstanden ist. Das ist die bisherige Sicht des Parlaments und war auch die frühere Linie der praktizierten Wettbewerbspolitik.

 

Behörden mögen Schlagkraft

Für die andern bedeutet Rechtsstaatlichkeit, dass der Staat bei beobachteten Vergehen entschlossen durchgreifen kann, ohne zu viel Aufwand zu betreiben mit dem Ermitteln von Schäden. Motto: Schlagkraft, bei Tat zack, zuschlagen – es könnte ja eine Missetat sein.

Diese Sicht propagierte das Bundesgericht mit seinem Entscheid von 2016, wonach Verweigerungen der Lieferung der Zahnpasta Elmex in die Schweiz sowieso unter allen Umständen zu bestrafen seien – egal, ob diese spürbar schädlich seien oder nicht. Das lenkte auch die Weko auf Interventionismus um. Diese Sicht findet Lob von Weko-Präsidentin Laura Melusine Baudenbacher, und in einem gemeinsamen NZZ-Artikel weibelten 2023 die früheren Weko-Präsidenten Pierre Tercier, Roland von Büren, Walter Stoffel, Vincent Martenet und Andreas Heinemann vereint fürs einfach gemachte Intervenieren. Judikative und Exekutive im Zusammenspiel gegen die Legislative.

Welche Sicht passt eher zur Schweiz? In einer freiheitlichen Wirtschaftsordnung hat die Verfassung die zentrale Aufgabe, die Bürger vor staatlicher Willkür zu schützen. Also kann man da nachschauen.

In der Bundesverfassung steht in Art. 96 zur Wettbewerbspolitik: «Der Bund erlässt Vorschriften gegen volkswirtschaftlich oder sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen», und weiter: «Er trifft Massnahmen: a) zur Verhinderung von Missbräuchen in der Preisbildung durch marktmächtige Unternehmen und Organisationen des privaten und des öffentlichen Rechts; b) gegen den unlauteren Wettbewerb.»

Das heisst, dass der Staat bei diesen Themen nur ins Wirtschaftsgeschehen eingreifen darf, um volkswirtschaftlich und sozial schädliche Auswirkungen von Kartellen zu bekämpfen. Nur dann darf die Wettbewerbskommission die Firmen massregeln. Schematisches Einschreiten per Reflex geht aus dieser Sicht nicht.

Hinzu kommt: Viele Abmachungen etwa in Lieferketten und Firmenkooperationen erhöhen die Produktivität. Pointiert gesagt: Sie pflegen das Menschliche in der Wirtschaft.

Sollte sich jedoch auch der Nationalrat, wie letztes Jahr der Ständerat, für den Sheriff mit dem locker sitzenden Colt entscheiden, werden sich die Firmenchefs lieber ängstlich vor den Behörden verstecken, statt miteinander zu arbeiten. Dann wird die Schweiz auf Produktivität verzichten müssen.