Der Fall machte international Schlagzeilen: Am Vormittag des 31. Oktober 2021 startete die Polizei einen Grosseinsatz gegen das Restaurant «Walliserkanne» in Zermatt. Über zwei Dutzend Polizisten rückten aus, als ob es um die Aushebung eines Nests von Terroristen oder um die Verhaftung einer Bande bewaffneter Schwerverbrecher gegangen wäre. Im Visier war aber lediglich die Familie Aufdenblatten, die sich weigerte, die Masken- und Zertifikatspflicht umzusetzen. Die Polizisten drangen überfallmässig in das Restaurant sowie in eine Privatwohnung ein und nahmen – ohne Haft- oder Durchsuchungsbefehl – drei Familienmitglieder fest: den dreissigjährigen Ivan Aufdenblatten, Angestellter der «Walliserkanne», und seine sechzigjährigen Eltern Andreas und Nelly, beide pensioniert. Der Inhaber, ihr Sohn Patrik, war nicht anwesend.

Vier Tage Einzelhaft

Die Verhafteten wehrten sich nur verbal gegen die Festnahme. Trotzdem wandten die Polizisten brachiale Gewalt an. Andreas Aufdenblatten erhielt Schläge in den Nacken und musste ärztlich behandelt werden. Ivan erging es noch schlimmer: Ihm rissen die Staatsdiener den Oberarmknochen aus der Gelenkpfanne – bis heute ist die Verletzung nicht vollständig geheilt. Ob er sich jemals wieder ganz erholen wird, ist nach Aussage der mit seiner Genesung befassten Ärzte ungewiss.

Obwohl er schrie vor Schmerzen, wurde Ivan zuerst ausführlich einvernommen. Medizinische Hilfe erhielt er erst nach über drei Stunden im Spital Visp. Alle drei Familienmitglieder wurden in der Folge vier Tage lang in Einzelhaft gehalten, auch die zierliche, nicht einmal fünfzig Kilogramm schwere Nelly, die wegen der Verhaftung mit blauen Flecken übersät war – und von der nie auch nur die geringste Gefahr für die bewaffneten Polizisten ausgegangen war.

Die Geschehnisse rund um die «Walliserkanne» wurden zum Symbol für die überschiessende Massnahmenpolitik und den Widerstand dagegen: Vor der Matterhorn-Kulisse kollidierte im Walliser Bergdorf die autoritäre Staatsmacht, die sogar mit Betonblöcken gegen den Wirtsbetrieb vorging, mit dem zivilen Ungehorsam unbescholtener Bürger.

Die «Skandal-Beiz» (Blick) ist inzwischen weitgehend aus dem Fokus der Öffentlichkeit verschwunden. Doch die exemplarische Auseinandersetzung dauert hinter den Kulissen fort. Es laufen immer noch mehrere straf- und verwaltungsrechtliche Verfahren, die die Behörden in die Länge ziehen. Dabei verleihen die jüngsten Entwicklungen – Stichwort «Impf-Lüge» – dem Fall eine zusätzliche Brisanz.

Pilgerort der Massnahmen-Gegner

Die Grossbank UBS sperrte nach erfolgreichen Spendenaufrufen sämtliche Konten der Familie.

Kern des Konflikts war nämlich die Weigerung der Restaurantbetreiber, die Zertifikatspflicht umzusetzen. Nachdem nun selbst Impfstoffhersteller und Behörden eingeräumt haben, dass die Impfung nicht vor Ansteckung und Übertragung schützt, bricht jede sachliche Grundlage für das Zertifikat und die Diskriminierung der Ungeimpften weg. Umso verfehlter wirkt die unverhältnismässige Machtdemonstration der Staatsgewalt gegen die Wirtefamilie.

Dabei strampeln die Aufdenblattens bis heute an verschiedenen juristischen Fronten. Der übelste Fall betrifft Ivan. Er hat gegen namentlich nicht bekannte Polizisten Anzeige erstattet wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruchs. Doch der Staatsanwalt verfügte am 8. März die Nichtanhandnahme. Die Verfügung dürfte dereinst einen besonderen Platz im Archiv des Corona-Wahnsinns bekommen: Sie strotzt nur so von herablassender und beleidigender Arroganz der Staatsgewalt gegenüber dem geschädigten Bürger.

Nachdem er nüchtern den Sachverhalt geschildert hat («. . . dass dessen rechte Schulter unter grössten Schmerzen luxierte, d. h. dass der rechte Oberarm aus der Gelenkpfanne gerissen wurde»), prügelt der Staatsanwalt verbal auf die Aufdenblattens ein: Es sei ihnen gar nicht um die Einhaltung der Grundrechte gegangen, behauptet er, sondern «vielmehr darum, medienwirksam ihre Opposition gegen die Covid-19-Massnahmen des Bundes und ihren Vollzug durch behördliche und polizeiliche Organe des Kantons und der Gemeinde Zermatt zu inszenieren». Durch das «renitente Gehabe» der Inhaber sei die «Walliserkanne» so «zum Symbol des Widerstands gegen die Corona-Politik des Bundesrates und zum Pilgerort der Covid-19-Massnahmengegner geworden». Als ob dies ein Verbrechen wäre.

Es habe die Polizei gebraucht, «um die Betreiber zur Vernunft zu bringen» – und sie von ihrem «undemokratischen und rechtsstaatswidrigen Oppositionskurs» abzubringen, schreibt der Staatsanwalt weiter. Gegen die «Störer» sei «keine mildere Massnahme in Frage» gekommen als der massive Polizeieinsatz.

Auch die schweren Körperverletzungen und die – im Falle Ivans – unterlassene zeitnahe ärztliche Versorgung rechtfertigt der Staatsanwalt: Obwohl ihm die Schulter heraushing und er «über Schmerzen im Schulterbereich» klagte, sei nach Auffassung der Polizisten die Transportfähigkeit des Festgenommenen nicht beeinträchtigt gewesen, «zumal für sie nicht ersichtlich sein konnte, angesichts des steten heftigen verbalen Widerstands von Ivan Aufdenblatten, wie schlimm die Verletzung war». Und obgleich sich der Verhaftete nicht gewehrt hatte, dekretierte der Staatsanwalt, den Polizisten könne «keine fahrlässige oder gar vorsätzliche Körperverletzung angelastet werden, da sie im Rahmen ihres Auftrages handelten». Körperverletzung als Staatsauftrag: eine eher gewagte These eines Strafverfolgers.

Machtgebrauch und Machtmissbrauch

Die Familie Aufdenblatten wird von mehreren renommierten Anwälten vertreten (David Zollinger, Walter M. Haefelin, Hermann Lei, Philipp Kruse, Youri Widmer). Sie kritisieren insbesondere die Umstände der Verhaftung und die Begründung der mehrtägigen Isolationshaft, inklusive Nellys, einer sechsfachen Grossmutter. Für die Anwälte geht es neben der Herstellung individueller Gerechtigkeit auch darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass der überschiessende Machtgebrauch und Machtmissbrauch des Staates im Zuge der Corona-Politik aufgearbeitet werde. Sonst bestehe die Gefahr, dass sich Ähnliches wieder ereigne.

Zwei Müsterchen noch zum Schluss: Pendent ist auch ein verwaltungsrechtliches Verfahren um die der «Walliserkanne» verweigerte Auszahlung der Kurzarbeitsentschädigung. Dabei rechnete die Arbeitslosenkasse den Arbeitsausfall in nicht nachvollziehbarer Weise auf 9,99 Prozent herunter. Der Hintergrund: Erst ab 10 Prozent wird die Entschädigung ausbezahlt.

Seldwyla im Quadrat: Das gilt schliesslich ebenfalls für die Grossbank UBS. Sie sperrte nach erfolgreichen Spendenaufrufen zugunsten der Aufdenblattens sämtliche Konten der Familie. Als Begründung gab sie an: Verdacht auf Geldwäscherei.