A Real Pain (USA/Polen 2024)von Jesse -Eisenberg. Mit Kieran Culkin, Jesse Eisenberg, Will Sharpe, Jennifer Grey

Für Hugo von Hofmannsthal sollte sich Tiefe immer in der Oberfläche verbergen. Das literarische oder dramatische Werk entfalte dann, wie unter Strom, einen elektrisierenden Charme («Buch der Freunde»). Geradezu leichtfüssig gelingt das Jesse Eisenberg mit «A Real Pain». Der hibbelige Nerd mit dem Hang zu Quasseleien reüssierte als Schauspieler (wunderbar als Mark Zuckerberg in «The Social Network», 2010), ehe er 2022 mit «When You Finish Saving the World» ins Regiefach wechselte und das Komische mit dem Ernst geschickt zu mixen verstand.

Das Debüt wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen; mit «A Real Pain» wird ihm das nicht mehr passieren. Sicherlich auch wegen Kieran Culkin, Jesses Partner in «A Real Pain», der für seine Rolle einen Golden Globe erhielt und nun als Anwärter für einen Oscar gilt. Zu Ruhm kam der jüngere Bruder von Macaulay Culkin («Home Alone, 1990») durch seine Rolle als verwöhnter Filius des Medienzars Roy in «Succession». Aber nicht nur wegen der berührenden Leistung Kieran Culkins ist Eisenberg (der auch das Buch schrieb) ein grosser Wurf gelungen; sondern auch aufgrund seines betörend spielerischen Umgangs mit dem Stoff einer Reise zu jüdischen Wurzeln, verwoben mit Motiven des Buddy- und des Roadmovie-Genres. Das macht aus der ernsten Reise auch eine humorvolle. Die Inspiration dazu kam Eisenberg durch eine Werbung, die eine «Holocaust-Tour mit Mittagessen» anpries, was er irgendwie irritierend und zugleich völlig normal fand.

Reise zu den jüdischen Wurzeln

David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) sind Cousins, die zu Ehren ihrer Grossmutter, die den Holocaust überlebte und kürzlich gestorben ist, nach Polen reisen, um das Geburtshaus der Grossmutter mal zu sehen und überhaupt ihrer jüdischen Herkunft nachzuspüren.

Die Idee zu einer organisierten Reise hatte David, der ein solides, bürgerliches Leben führt, um mit dem kiffenden, ziel- und rastlosen Benji (Kieran Culkin) wieder in Kontakt zu treten. Als Kinder waren sie dicke Freunde, dann blieb der eine trödelig, der andere wurde zielstrebig. David, der an Angstneurosen leidet und Tabletten schluckt, hatte das Bedürfnis, das Verhältnis wieder aufzufrischen, und die Reise schien ihm der richtige Anlass.

Am Flughafen trifft sich die kleine Gruppe, zu der ein jüdisches Ehepaar gehört, der junge Eloge (Kurt Egyiawan), der zum Judentum konvertierte, und die gerade geschiedene Marcia (Jennifer Grey). Geleitet wird sie von einem jungen Briten, der, wie er gleich offenlegt, kein Jude sei, aber ein studierter Fachmann. Die Motive der Teilnehmer sind mehr oder weniger von äusseren Interessen geprägt, bis auf Eloge; er überlebte den Genozid in Ruanda.

Die Reise führt die Gruppe von Warschau nach Lublin, ins KZ Majdanek und über jüdische Friedhöfe, begleitet von den sachkundig-formelhaften Kommentaren ihres Tour-Führers. Die dezent anschaulichen Reaktionen der Teilnehmer auf die Orte der Vergangenheit, ihr Bemühen um angemessenes Verhalten sind oft von hintersinnigem Witz. Nur Benji verzichtet auf Betroffenheit. Er bittet den Tour-Führer unverblümt, nicht wie ein Seminarleiter mit der Gruppe zu reden. Es gehe hier um Menschen, nicht um irgendwelche Daten.

Die Inspiration kam durch eine Werbung, die eine «Holocaust-Tour mit Mittagessen» anpries.

Für die Cousins, die einer Generation angehören, für die der Holocaust weit weg ist, wird der Trip zusätzlich zu einer Bewältigung eines Konflikts, der mit der Grossmutter nur lose verknüpft ist. Denn seit sie sich sozusagen ihrem Bild auf der Reise wieder nähern, entkrampft sich der Blick auf das, was sie einst auseinanderdriften liess und David jetzt wieder zu kitten versucht. Nur bringt der hemmungslose Benji den häufig panisch reagierenden Angstneurotiker immer wieder in Situationen, die er für schrecklich peinlich hält. Benjis Blick dagegen, auf die Tour wie auf die Teilnehmer, ist so gnadenlos wie weise, so kühl wie mitfühlend, so hemmungslos wie anrührend, so schweifend wie auf sich selbst gerichtet.

Der Besuch im KZ Majdanek geht ihm so nahe, dass er im Bus weint, und beim gemeinsamen Abendessen rastet er komplett aus: Er bekennt seine starke Bindung zur Grossmutter, im nächsten Moment rülpst er lautstark, verkündet, pinkeln zu müssen, und sitzt dann am Klavier und spielt. Ihm entgleitet alles, als hätte er seine Seele aus ihrem Versteck gerissen – da ist Culkin wieder nahe am «Succession»-Boy. Für David ist er «a pain in the ass» und dann wieder, vor dem Haus der Grossmutter, ein sensibler, aufgeschlossener und lustiger Freund.

Jesse Eisenberg erzählt die Konflikte zwischen den Cousins höchst anschaulich und emotional. Man ist gebannt und bei allem Ernst auch amüsiert. Das Aufregende und zugleich Menschliche an den Sticheleien der beiden ist die Wahrhaftigkeit, weshalb es unmöglich ist, sich für eine Seite zu entscheiden: Sie haben natürlich subjektiv beide recht.

Gering ist der erzählerische Aufwand, aber das Ambiente blüht wie eine Frühlingswiese. Die knappen Städte-Porträts von Warschau und Lublin sind von sinnlicher Kraft und kontrastieren mit den stummen, furchtbaren Bildern von Majdanek.