Für Hugo von Hofmannsthal sollte sich Tiefe immer in der Oberfläche verbergen. Das literarische oder dramatische Werk entfalte dann, wie unter Strom, einen elektrisierenden Charme («Buch der Freunde»). Geradezu leichtfüssig gelingt das Jesse Eisenberg mit «A Real Pain». Der hibbelige Nerd mit dem Hang zu Quasseleien reüssierte als Schauspieler (wunderbar als Mark Zuckerberg in «The Social Network», 2010), ehe er 2022 mit «When You Finish Saving the World» ins Regiefach wechselte und das Komische mit dem Ernst geschickt zu mixen verstand.
Das Debüt wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen; mit «A Real Pain» wird ihm das nicht mehr passieren. Sicherlich auch wegen Kieran Culkin, Jesses Partner in «A Real Pain», der für seine Rolle einen Golden Globe erhielt und nun als Anwärter für einen Oscar gilt. Zu Ruhm kam der jüngere Bruder von Macaulay Culkin («Home Alone, 1990») durch seine Rolle als verwöhnter Filius des Medienzars Roy in «Succession». Aber nicht nur wegen der berührenden Leistung Kieran Culkins ist Eisenberg (der auch das Buch schrieb) ein grosser Wurf gelungen; sondern auch aufgrund seines betörend spielerischen Umgangs mit dem Stoff einer Reise zu jüdischen Wurzeln, verwoben mit Motiven des Buddy- und des Roadmovie-Genres. Das macht aus der ernsten Reise auch eine humorvolle. Die Inspiration dazu kam Eisenberg durch eine Werbung, die eine «Holocaust-Tour mit Mittagessen» anpries, was er irgendwie irritierend und zugleich völlig normal fand.
Reise zu den jüdischen Wurzeln
David (Jesse Eisenberg) und Benji (Kieran Culkin) sind Cousins, die zu Ehren ihrer Grossmutter, die den Holocaust überlebte und kürzlich gestorben ist, nach Polen reisen, um das Geburtshaus der Grossmutter mal zu sehen und überhaupt ihrer jüdischen Herkunft nachzuspüren.
Die Idee zu einer organisierten Reise hatte David, der ein solides, bürgerliches Leben führt, um mit dem kiffenden, ziel- und rastlosen Benji (Kieran Culkin) wieder in Kontakt zu treten. Als Kinder waren sie dicke Freunde, dann blieb der eine trödelig, der andere wurde zielstrebig. David, der an Angstneurosen leidet und Tabletten schluckt, hatte das Bedürfnis, das Verhältnis wieder aufzufrischen, und die Reise schien ihm der richtige Anlass.
Am Flughafen trifft sich die kleine Gruppe, zu der ein jüdisches Ehepaar gehört, der junge Eloge (Kurt Egyiawan), der zum Judentum konvertierte, und die gerade geschiedene Marcia (Jennifer Grey). Geleitet wird sie von einem jungen Briten, der, wie er gleich offenlegt, kein Jude sei, aber ein studierter Fachmann. Die Motive der Teilnehmer sind mehr oder weniger von äusseren Interessen geprägt, bis auf Eloge; er überlebte den Genozid in Ruanda.
Die Reise führt die Gruppe von Warschau nach Lublin, ins KZ Majdanek und über jüdische Friedhöfe, begleitet von den sachkundig-formelhaften Kommentaren ihres Tour-Führers. Die dezent anschaulichen Reaktionen der Teilnehmer auf die Orte der Vergangenheit, ihr Bemühen um angemessenes Verhalten sind oft von hintersinnigem Witz. Nur Benji verzichtet auf Betroffenheit. Er bittet den Tour-Führer unverblümt, nicht wie ein Seminarleiter mit der Gruppe zu reden. Es gehe hier um Menschen, nicht um irgendwelche Daten.