Vom Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde China überrascht. Zwar hatten drei Wochen vor dem Angriff Chinas Staatspräsident Xi Jinping und Russlands Präsident Putin ihre «grenzenlose Partnerschaft» bekäftigt. Daraus zu schliessen, dass Putin Xi in seinen Kriegsplan eingeweiht hätte, wäre jedoch falsch. Die russische Aktion würde China grossen Schaden zufügen, warnte der chinesische Botschafter in den USA Qin Gang Mitte März in der Washington Post. «Über 6000 Chinesen leben in der Ukraine. China ist der grösste Handelspartner von Russland und der Ukraine. Ein Krieg zwischen den beiden bringt China keinerlei Vorteile. Hätte China von einem bevorstehenden Krieg gewusst, hätte es alles getan, um ihn zu verhindern.»

Seit Beginn des Krieges wird die Strategie der Zentralregierung in Peking immer deutlicher: Sie meidet eine Parteinahme, ergreift weder für die USA noch für Russland Partei. Sie beteiligt sich nicht an der von den USA angeführten Allianz gegen Russland und hat sich bei der Uno-Resolution, die Russland verurteilt, der Stimme enthalten. Peking tut das in der Annahme, dass eine Anbiederung die USA nicht von ihrer «Eindämmungspolitik» abbringen würde. Washington werde weiterhin alles unternehmen, um Chinas Aufstieg aufzuhalten, ist Peking überzeugt.

Auch wenn von der offiziellen Seite immer wieder betont wird, dass China gegen einen Angriffskrieg sei, will es sich Peking mit dem militärisch mächtigen Nachbarn im Norden nicht verscherzen. Die Geschäfte mit Russland laufen weiter.

Für diesen Mittelweg zahlt China einen hohen Preis. Da sich Peking den Sanktionen gegen Russland nicht anschliesst, drohen chinesischen Unternehmen Strafmassnahmen. Etliche Partner der USA haben bereits signalisiert, dass sie gegen chinesische Firmen vorgehen würden, die mit Russland im Geschäft bleiben. Dass sich Peking weigert, Putin zu verurteilen, hat auch für Ärger unter europäischen Partnern und einer Reihe von Entwicklungsländern gesorgt.

Die Strategie des Mittelweges würde sofort ihr Ende finden, sobald die USA Taiwans Streben nach Unabhängigkeit unterstützen. Die internationale Isolation Russlands hat Peking keine Sekunde von seinem Vorhaben abbringen können, die Wiedervereinigung mit Taiwan, notfalls auch militärisch, durchzusetzen.

*Li Ju ist ein Pseudonym. Die chinesische Journalistin ist der Redaktion bekannt. Sie wohnt in Peking und möchte ihren Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen.