Die zweite Runde der französischen Parlamentswahlen haben mit der seit 1981 höchsten Wahlbeteiligung von 67 Prozent überrascht. Statt eines Rechtsrutsches gewann das aus rund einem Dutzend links-grünen Parteien zusammengewürfelte Zweckbündnis «Nouveau Front populaire» (NFP) mit 178 von 577 Sitzen.

Der Rassemblement National (RN) steigerte seine Mandatszahl zwar auch um 36 auf 125, aber das ist weit weniger als die hochgerechneten 230 bis 280 Mandaten, nachdem der RN in der ersten Wahlrunde in 222 Departementen als Sieger hervorgegangen war. Insgesamt erreichte der RN auch im zweiten Wahlgang mit 32 Prozent erneut den höchsten Stimmenanteil, während der NFP lediglich auf 25,7 Prozent, die Macron-Partei auf 23,1 Prozent und die Republikaner auf 5,4 Prozent kamen.

Auf Platz zwei – und damit weit besser als befürchtet – ist «Ensemble», das Parteibündnis von Präsident Macron, gelandet, das auf 150 Sitze (minus 94 Mandate) kommt.

Kein Lager hat eine absolute Mehrheit gewonnen. Es könnte zu einem politischen Stillstand kommen, denn in Frankreich wurde noch nie eine Regierungskoalition gebildet. Viel eher ist eine Kohabitation angesagt. Der Präsident und der Premierminister werden unterschiedliche politische Richtungen vertreten.

Die alte Regierung wird voraussichtlich noch bis zum 11. August – bis nach den Olympischen Spielen in Paris – im Amt bleiben, weil die Regierungsbildung einige Zeit in Anspruch nehmen wird, denn vorerst muss sich das Linkslager auf einen gemeinsamen Kandidaten als Nachfolger des zurücktretenden Premierministers Gabriel Attal einigen. Die NFP setzt sich aus rund einem Dutzend links-grüner Parteien zusammen, wobei die Sozialistische Partei, La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, Les Écologistes und die Französische kommunistische Partei das Sagen haben. Sie werden sich wohl mit weiteren linken und extrem linken kleineren Wahlbündnissen zusammenschliessen, um eine Regierung zu bilden.

Dass der RN nicht besser abgeschnitten hat, ist auf das französische Wahlsystem zurückzuführen. Die Macron-Partei sprach sich sogar mit den Linken ab, eigene Kandidaten aus dem Rennen zu nehmen, um in den einzelnen Departements jeweils den erfolgversprechendsten Kandidaten gegen den RN ins Rennen zu schicken. In der zweiten Runde reicht das relative Mehr für einen Mandatsgewinn aus, während in der ersten Runde das absolute Mehr notwendig ist. Die links-grünen Mainstream-Medien bejubeln den Linksrutsch, aber dieser könnte das Land wirtschaftlich ins Elend stürzen. Auch die Brüsseler EU-Elite frohlockte, denn der RN hatte im Falle eines Wahlsieges mit Kürzungen von Beiträgen an die EU und einer Abkoppelung Frankreichs vom EU-Stromnetz gedroht. Ob allerdings das Abschieben weiterer Schulden auf die EU und weitere Umverteilungsprogramme für die EU ein Gewinn sein werden, ist fraglich, zumal eine dauerhafte Wirtschaftsschwäche Frankreichs den Euro belasten und möglicherweise zu Zinserhöhungen führen wird.

Das Wahlergebnis dürfte viele Investoren aus Frankreich vertreiben, denn das Land stand bereits vor den Wahlen am Rande einer strukturellen Dauerkrise. Die Staatsfinanzen werden nun wohl rasch weiter verludern, denn die neue linke Regierung wird sich kaum um das Defizitverfahren der EU gegen Frankreich scheren. Frankreich weist bereits heute den höchsten Schuldenberg innerhalb der EU auf. Die Verschuldungsquote stellt sich auf 111 Prozent des BIP. Das Defizit dürfte nach 5,5 Prozent des BIP im letzten Jahr auch 2024 ausserhalb der EU-Toleranzgrenze von 3 Prozent des BIP zu liegen kommen.

Die Linke wird versuchen, die Rentenreform so rasch wie möglich rückgängig zu machen, die Mindestlöhne anzuheben und das Rentenalter auf 60 zu senken. Diese Vorhaben werden Milliarden kosten, einerseits den Staat, andererseits die Wirtschaft. Die Mindestlöhne sind zwar ein Kostenfaktor, aber die Senkung des Rentenalters von heute 64 auf 60 Jahre wiegt schwerer, denn sie wird dem Arbeitsmarkt Millionen von Arbeitskräften entziehen. Sollten die Linken wie angekündigt eine Reichensteuer und höhere Unternehmenssteuern einführen, wird die Investitionstätigkeit erlahmen.

Der «Sieg» der Linken mit Unterstützung der Bürgerlichen ist somit ein Pyrrhussieg. Die Unzufriedenheit im Land wird weiter zunehmen, und die Probleme werden sich aufstauen. Davon geht auch Marine Le Pen aus: «Die Flut steigt. Sie ist dieses Mal nicht hoch genug gestiegen, aber sie steigt weiter, und deshalb ist unser Sieg nur aufgeschoben.» Sie hofft, dass dannzumal die Dämme brechen und weitere Unzufriedene die Front wechseln werden. Aber vorerst werden weitere wertvolle Jahre verlorengehen, in denen statt Reformen und eine Sanierung der Staatsfinanzen neue Schulden und ein Ausbau der sozialen Sicherheit vorangetrieben werden, die kaum innert nützlicher Frist wieder korrigiert werden können. Präsident Macron wird wohl trotz neuer Mehrheiten im Parlament bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen am 11. April 2027 im Amt ausharren.

Die 3 Top-Kommentare zu "Frankreich: Warum der Wahlsieg der Linken eigentlich eine Niederlage ist"
  • JOhannes

    Da passt das altbewährte Sprichwort von den allerdümmsten Kälbern doch wie die Faust aufs Auge. Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient. Frankreich geht den Bach runter wie die gesamte westliche Werte-Gemeinschaft.

  • Socrates9Zico10

    Macron wollte dem RN in der Regierungsverantwortung den Schwarzen Peter zuschieben, den jetzt die Linken von ihm bekommen haben! Der Zauberlehrling Macron bekommt die linken Geister, die er rief, nicht mehr los und hat perspektivisch auf der ganzen Linie verloren! Sein Innenminister wird einen linken Premierminister nicht dulden und einen Misstrauensantrag gegen ihn stellen! LePen wird gestärkt aus diesem linken Desaster hervorgehen und 2027 französische Präsidentin werden!

  • UKSchweizer

    Eine Niederlage ist dieser Sieg vor allem für diejenigen welche in Frankreich Reformen zur Verminderung der Verschuldungsrate erwartet haben. Das Ergebnis der Wahlen garantiert am besten "ein weiter so". Die Franzosen wollen immer mehr vom Staat ohne sich zu kümmern woher das Geld kommen soll. Aber auch ein Sieg vom Marin Le Pens RN hätte da nicht viel ändern können. Sobald nötige Reformen im Volk Verzicht erfordern, und das geht nicht anders, übernehmen die Gelbwesten die Macht.