Dieser Text erschien im WW Magazin.
Unter dem Begriff «Nestmodell» versteht man in der Regel ein Betreuungskonzept, das nach einer Trennung der Eltern zum Einsatz kommt. Die Idee ist, dass der Nachwuchs in der ehemaligen Familienwohnung bleibt, während Mama und Papa alternierend ein und ausfliegen. «Kinderorientiert» nennt sich das.
Auch Ines Triebenbacher und Daniel Zeindlhofer leben in einem Nestmodell. Dabei sind die beiden weder getrennt – ganz im Gegenteil, die gemeinsame Tochter Yuna ist eineinhalb, und seit August dieses Jahres sind sie verheiratet –, noch handelt es sich bei dem gemeinsamen Nest um die Familienwohnung. Nein, das Nest von Ines und Daniel ist ein Restaurant. Und zwar nicht irgendein Restaurant, sondern das mit 17 Gault-Millau-Punkten und zwei Michelin-Sternen dekorierte «Igniv by Andreas Caminada» im Zürcher Niederdorf. Und dass «igniv» auf rätoromanisch «Nest» bedeutet, könnte in diesem Fall als eine Art Zwinkern des Schicksals aufgefasst werden.
Geteilte Gaumenfreuden
Das «Igniv» selbst ist ebenfalls Teil einer Familie, die aus vier Restaurants besteht; zwei davon befinden sich in Bad Ragaz respektive Bangkok, und in Andermatt eröffnet am 13. Dezember ein vierter Ableger. Das «Igniv» in Zürich gehört zum Hotel «Marktgasse». Es gibt dort auch eine Bar, wo fantasievolle Cocktails auch mal in einem Glas serviert wer-den, das die Form eines Spatzes hat. Dazu isst man Snacks von Spareribs über truffled fries bis zu Baos mit Schweinebauch. Das Restaurant wurde im Februar 2020 eröffnet, also kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, und auch hier wird ein sharing menu-Konzept zelebriert, und das auf spektakulärem Niveau. Schliesslich gehört Freude zu den wenigen Dingen im Leben, die grösser werden, wenn man sie teilt. Das gilt auch für Gaumenfreuden. Das sehen Ines und Daniel genauso.
«Wir servieren zwar auch Gerichte à la carte, doch 90 Prozent unserer Gäste entscheiden sich für das Menü», sagt Küchenchef Daniel Zeindlhofer. Wobei die Vokabel «Menü» im Fall des «Igniv» etwas zu kurz greift oder zumindest erklärungsbedürftig ist. Der Gast wird hier nämlich zum Beobachter eines genussvollen Schauspiels, das weit über die rund zwanzig Speisen hinausreicht, die im Verlauf einer «4-Gang-Sharing-Experience», die mit 186 Franken pro Person veranschlagt ist, aufgetischt werden. Die eingespielte, sorgsame Performance des Servicepersonals um Ines Triebenbacher beim Auftragen der Gerichte, das verspielte Design der ausgesuchten Teller, Schälchen und Bestecke, das mit Kunstinstallationen und edlen Materialien abgerundete stimmungsvolle Interieur, das locker als Filmset dienen könnte, der Candy-Shop, wo man sich noch etwas Süsses von Ines in die Papiertüte steckenlassen kann zum Nachhausenehmen – all das ist Teil des gastronomischen Gesamterlebnisses.
Und das erste und das letzte Gesicht, das die Gäste sehen, ist eben dasjenige von Ines Triebenbacher, Restaurant-Managerin und Sommelière des «Igniv». Nun lassen sich Charme, Freundlichkeit, Wärme, Effizienz und Kompetenz nur schlecht bewerten oder berechnen. Klar, man könnte eruieren, wie viele Gäste nicht nur des Essens und der Atmosphäre wegen, sondern eben auch wegen Ines wiederkehren. Oder man kann Quellen wie dem Gastroführer «Gault-Millau» trauen, der Ines Triebenbacher eben zur «Gastgeberin des Jahres» ernannte.
Zwischen Porridge und Langustine
Wie aber sind Ines und Daniel überhaupt hier in Zürich gelandet? Kennengelernt haben sich die gebürtige Bayerin und der Österreicher einst auf einem Schloss vor über zehn Jahren. Auf diesem haben sie in der Folge gemeinsam gearbeitet, er zu Beginn als Souschef, sie als Serviceangestellte. Die Rede ist natürlich von Schloss Schauenstein in Fürstenau, wo Andreas Caminada vor genau zwanzig Jahren seine Karriere gestartet hat. Angesprochen auf die Auszeichnung von Ines Triebenbacher, hat der Bündner Drei-Sterne-Ausnahmekoch nichts als Lob: «Für mich ist Ines die Definition einer perfekten Gastgeberin. Sie schafft es, mit unglaublicher Leidenschaft und Fürsorge die Gäste abzuholen und mit kleinen, durchdachten Gesten zu überraschen.»
Ähnlich klingt es, wenn man andere Genussmenschen befragt. «Für mich ist Ines die Meisterin der Vertrautheit», sagt Kochbuchautor und WW Magazin-Kolumnist Claudio Del Principe. «Wie niemand anders schafft sie es, auf Anhieb Nähe zu schaffen, ohne zu nahe zu kommen. Als hätte man schon zusammen im Sandkasten gespielt.» Er erlebe die Managerin des «Igniv» als ungekünstelt, warmherzig und aufrichtig daran interessiert, dass es einem als Gast gutgehe. Food-Scout Richard Kägi sagt: «Ines gibt dem Lokal eine Seele. Man spürt sie, noch bevor sie strahlend die Gäste begrüsst.» Und Weltwoche-Restaurantkritiker David Schnapp bringt seine Begeisterung in aller Kürze auf den Punkt: «Ines ist eine Wucht!»
Doch nicht nur die Herrenwelt ist hin und weg ob der 34-Jährigen. Adriana Hartmann, Miteigentümerin des Restaurants «Magdalena» in Rickenbach, sagt über ihre Berufskollegin: «Ines hat ein wahnsinnig gutes Gespür dafür, ihre Gäste abzuholen, auf sie einzugehen und dafür zu sorgen, dass sie sich im ‹Igniv› wohl- und willkommen fühlen, egal, ob sie jemanden kennt oder nicht. Sie ist nicht aufgesetzt herzlich, offen und wirkt auch im grössten Stress entspannt. Ines lebt Gastfreundschaft ganz authentisch.»
Dass Ines Letzteres weiterhin tun darf, obschon sie heute die Abende zu Hause mit der Tochter verbringt, hat sie natürlich auch ihrem Vorgesetzten zu verdanken. Andreas Caminada und seine Frau Sarah, die unter anderem für die Finanzen zuständig ist, gehörten mit zu den Ersten, die vom geplanten Familienzuwachs wussten. «Wir haben sie bereits zwei Jahre bevor Ines schwanger wurde, über unsere Pläne informiert», sagt Daniel. Die Dankbarkeit für die Unterstützung, die sie bis heute erhalten, ist den jungen Eltern anzuspüren.
Im Gespräch zeigt sich, wie eingespielt das Gastro-Paar ist. Man hört sich gegenseitig zu, ergänzt, wo nötig, und berichtet offen aus dem Berufs- und Familienalltag. So erzählt Daniel, wie er seiner Tochter jeweils in aller Früh das Frühstück serviert. «Seit Yuna ein halbes Jahr alt ist, isst sie jeden Tag eine riesige Menge Porridge», sagt er. Dieses bereite er, der mehrheitlich mit Saiblingsrogen, Kalamansi-Gel und Langustinen zu tun hat, mit frischem Gemüse und rohen Nüssen zu. Das sei gesund und nahrhaft.
In aller Deutlichkeit tritt dabei immer wieder ihre Liebe zutage – die Liebe zueinander, zur Tochter, aber auch jene zum eigenen Beruf. Ein Kind zu haben, ein Restaurant zu führen sowie Grosseltern, die sechs Autostunden weit entfernt in der Nähe von Linz leben, das sei dann doch tough, sagt Daniel. Da hilft es, dass die Aufgaben klar verteilt sind, auch daheim. «Ich mache die Küche, Ines die Wäsche, alles andere teilen wir uns auf», so der gebürtige Österreicher.
Doch natürlich gibt es auch Vorteile. So sei Daniel in seiner Vaterrolle heute viel stressresistenter und geduldiger als früher, wie er beobachtet. «Kleine Probleme sind heute keine eigentlichen Probleme mehr», so der Küchenchef. Von dieser Einstellung profitiere auch sein Team im «Igniv». «Ich bin der netteste Küchenchef, den es gibt», sagt Daniel Zeindlhofer, «aber sobald etwas passiert, was man nicht mehr kitten kann und der Gast direkt mitgekriegt hat, dann werde ich richtig unentspannt.» Wobei er dabei nicht nur an Unverzeihliches denkt, etwa wenn eine Nussallergie nicht berücksichtigt wird, sondern auch an ein Soufflé, das nicht richtig aufgegangen ist. Das erklärt auch die Philosophie seiner Küche, die sich in drei Wörtern zusammenfassen lässt: «Gast, Gast, Gast.»
Diesen Anspruch an seine Arbeit legt Zeindlhofer auch privat an den Tag. Lade er Freunde ein und lägen die Teigwaren drei Minuten zu lange im kochenden Wasser, dann nerve ihn das wahnsinnig. «Oder wenn ich ein Fünf-Minuten-Ei koche und das Eigelb in der Mitte so richtig perfekt ist, dann muss es genau zu diesem Zeitpunkt gegessen werden, da kann die Wäsche auch mal warten», sagt der Perfektionist.
Sein Tipp an alle Hobbyköche zu Hause: vorkochen. «Wenn die Gäste kommen, musst du so safe wie möglich sein», so der Profi. Für Gesellschaften ab drei, vier Personen seien Gerichte geeignet, die wie im «Igniv» geteilt werden können. Ein Eintopf etwa, aus dem jeder selber schöpfen kann, oder ein aufgeschnittenes Rindsfilet, das – präsentiert auf einem schönen Geschirr – einfach in die Tischmitte gestellt wird.
Gefragt nach Hobbys ausserhalb der Küche, muss Daniel kurz überlegen. Sofort springt seine Frau ein: «Uns! Wir sind unser Hobby.» Ines lächelt neckisch. Genau so kennen sie auch ihre Gäste und Stammgäste, von denen viele nicht zuletzt ihretwegen immer wieder vorbeikommen. Früher zum Abendessen, heute auch mal über Mittag.
«Schönes Zeichen für alle Mütter»
«Wir haben das coolste ‹Igniv› mit den coolsten Gästen», sagt Daniel Zeindlhofer einmal ganz selbstbewusst. Doch was ist es denn, was er an seiner Frau am meisten schätzt? Die Antwort des Küchenchefs: «Ines probiert jedes unserer neuen Gerichte als Erste. In ihrem Urteil ist sie knallhart!» Und Daniel lobt den unermüdlichen Einsatz seiner Frau: «Bis zur Geburt stand sie hier», sagt er und schaut seine Frau bewundernd an.
Ines Triebenbacher selbst bleibt allem Lob zum Trotz gewohnt relaxt. «Es gibt ja doch ganz viele tolle, erfahrene Gastgeber in der Schweiz», sagt sie. «Dass ausgerechnet ich diesen Titel schon so jung erhalten durfte, darüber habe ich mich wirklich sehr, sehr, sehr gefreut.» Besonders freue sie sich darüber, dass sie als junge Mutter diese Anerkennung erhält, die zwar ganztags im Restaurant arbeitet, aber – in Anführungszeichen – nur noch den Mittagsservice verantwortet. «Das ist ein schönes Zeichen für uns Frauen und für alle Mütter, die ihr Leben zwischen Kind und Arbeit aufteilen.»
Wenn sie eines Tages ein Nest weiterzügeln müssten, wo würde es sie hinziehen? «Nach New York», sagen beide wie aus einem Mund. Dort war man schon einmal, 2016, in dem Jahr, als Ines ihre Sommelière-Ausbildung abschloss. Doch dürfte sie Zürich noch eine gute Weile erhalten bleiben. Und immerhin darf sie miterleben, wie ein anderes Küken gerade flügge wird: Hannah van den Nieuwenhuizen, die unter ihr gelernt und sie abends vertreten hat, wird Gastgeberin im neuen «Igniv Andermatt». Und genau diese Lebendigkeit ist es, was das Nestmodell so attraktiv macht.
Diese abgehobene Küche mag ja excellent gekocht sein, aber für ein Normalverdiener in Schweiz immer mehr unbezahlbar! Mir wäre lieber, wir würden wieder auf eine bezahlbare, gutgekochte bürgerliche Küche, mit solidem Handwerk, mit ungezwungener Atmosphäre und ohne Status Schnickschnack, zurückkehren. In einem Restaurant bei dem eine tatsächliche Wärme herrscht, und ich beim verlassen des Restaurants auch das Gefühl habe, dass ich durch und durch satt und zufrieden bin!!
overrated chabis.