Am 16. Dezember soll Kanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen. Wird ihm das Vertrauen entzogen, so räumt das Grundgesetz dem Bundespräsidenten 21 Tage Zeit ein, die Auflösung des Bundestags zu prüfen. Sollte er das Parlament auflösen, muss spätestens nach 60 Tagen ein neues gewählt werden. Insgesamt beträgt die maximale Frist somit 81 Tage. Zwischen dem Tag der Vertrauensfrage am 16. Dezember 2024 und dem anvisierten Wahltermin am 23. Februar 2025 liegen 69 Tage.

Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) geht davon aus, dass all jene, die das Ende der Ampelkoalition herbeigewünscht haben, sich auf seine Seite stellen werden. Aber vielleicht hat er die Rechnung ohne die AfD gemacht?

Solange Merz seine Brandmauer-Hysterie weiterpflegt und die AfD ausgrenzt, indem er bereits vor den Wahlen jegliche Zusammenarbeit mit ihr ausschliesst, gibt es für die ungeliebte Oppositionspartei wenig Gründe, die CDU/CSU bei ihrer Machtergreifung zu unterstützten. Die AfD hat ausser weiteren Parlamentssitzen wenig zu gewinnen, wenn sie als wohl zweitwählerstärkste Partei weiterhin ohne vorgängige Verhandlungen von einer Regierungskoalition mit der CDU ausgeschlossen wird.

Auch unter den CDU-Wählern wird sich nach den Wahlen wohl eine Katerstimmung breitmachen, wenn die nächste Regierung lediglich eine Neuauflage der «Grossen Koalition» bedeutet. Ungewiss bleibt auch, ob es die FDP überhaupt erneut in den Bundestag schafft, denn ihre Umfragewerte pendeln um die kritische Hürde von 5 Prozent herum. Möglicherweise werden einige besorgte Bürger die CDU-Wähler dazu aufrufen, die FDP zu unterstützen, damit sie wenigstens im Bundestag verbleibt und diese bürgerlichen Stimmen nicht verlorengehen.

Als freiheitlich-bürgerliche Partei wäre die FDP auch die erste Wahl bei einer Koalitionsbildung, aber auch beide Parteien zusammen werden keine Mehrheit erringen. Viele CDU-Leute möchten lieber einen FDP-Juniorpartner als die SPD-Versagerelite in einer neuen Regierung sehen. Vielen traditionellen CDU-Wählern stösst auf, dass die CDU ausgerechnet wieder mit jener Partei zusammengehen will, die massgeblich zum wirtschaftlichen Niedergang der Bundesrepublik beigetragen hat. Sie deuten dies als klares Anzeichen dafür, dass es der CDU-Elite primär um eine Machtübernahme um jeden Preis und nicht um einen radikalen wirtschaftspolitischen Kurswechsel geht.

Aber auch den anderen Parteien schuldet die AfD nichts, denn 113 Bundestagsabgeordnete haben auf Initiative von Marco Wanderwitz (CDU), dem früheren Ostbeauftragten der Bundesregierung, einen Antrag für ein AfD-Verbot eingereicht. Unterstützt wird er bislang von Abgeordneten der SPD, der Grünen wie Claudia Roth, Anton Hofreiter, Katrin Göring-Eckardt, der Linken, der CDU und des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW). Abgelehnt wird das Ansinnen von der FDP und dem BSW.

Sollte die AfD am 16. Dezember gegen den Vertrauensentzug stimmen, müssten die Wahlen vom 23. Februar vorerst einmal abgeblasen werden, es sei denn, auch Abgeordnete der SPD und/oder der Grünen würden Kanzler Scholz mit ihren eigenen Stimmen aus dem Amt schiessen.

Der Bundestag umfasst derzeit 733 Mandate, und diese werden über die Vertrauensfrage abstimmen. Die CDU, die FDP, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht sowie die neun Unabhängigen kommen zusammen auf 333 Stimmen, während die SPD, die Grünen und die AfD zusammen auf 400 Stimmen kämen.

Verliert Friedrich Merz diese Abstimmung, würde er sich aufs Übelste blamieren und massiv an Glaubwürdigkeit verlieren. Ob er dann immer noch der unbestrittene Kanzlerkandidat bliebe, kann durchaus bezweifelt werden. Er hat sich derart in seine Brandmauer-Hysterie hineinverbohrt, dass er aus dieser Rolle kaum mehr ohne Gesichtsverlust aussteigen kann.

Merz hat einen grundlegenden Fehler gemacht, den man in der Politik nicht begehen sollte. Entscheidungen sollte man erst treffen, wenn man sich entscheiden muss. Sonst ist man an seinen Entscheid gebunden, auch wenn er, ohne sämtliche Optionen zu prüfen, voreilig oder falsch war. Ändert man seine Meinung doch, dann gilt man als unglaubwürdige Windfahne.

Es wird sehr wohl eine Rolle spielen, ob die Neuwahlen im Februar oder erst im September 2025 stattfinden. Bleiben SPD und Grüne als Minderheitsregierung noch während einiger Monate im Amt, wird sich die miese Wirtschaftslage vertiefen und den Zorn gegen das Polit-Establishment anheizen.

Die schleppende Verabschiedung des Budgets 2025 und die Versuche, die Schuldenbremse auszuhebeln, könnten die Missstimmung zusätzlich schüren. In der Verteidigungs- und Aussenwirtschaftspolitik gibt es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren.

Bei allfälligen Verhandlungen mit den USA zur Verhinderung von Strafzöllen würde eine deutsche Minderheitsregierung auf Abruf von der Regierung Trump kaum noch ernst genommen. Der Fortgang des Ukraine-Krieges und Entscheide über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern werden wohl selbst innerhalb einer Rumpfregierung zu Meinungsverschiedenheiten führen.

Vom Parteiengezänk, von weiteren Betriebsschliessungen und einer steigenden Arbeitslosigkeit würde vor allem die AfD profitieren. Das BSW könnte sich im zusätzlichen Halbjahr auch auf Bundesebene besser organisieren. Die Grünen bekämen die Chance, sich mit ihrer neuen Führungscrew zu profilieren. Und die CDU würde als Verlierer der Vertrauensabstimmung vorderhand auf der Reservebank Platz nehmen müssen.