Mit Wörtern lässt sich lügen; wir glauben, was wir mit eigenen Augen sehen. Darauf weist schon die Bibel hin. Die Künstler der Renaissance erfanden die Zentralperspektive und verliehen den biblischen Geschichten eine visuelle Realität. Die Realitätssuggestion damals ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. Jüngst verbreitete sich ein Bild viral, das den Pontifex in modischer Daunenjacke zeigt. Das Bild hat keinen Wahrheitsgehalt, es wurde mit Hilfe künstlicher Intelligenz geschaffen. Auch Bildgeübte fielen tausendfach darauf rein. Nicht die handwerklich fast schon einwandfreie Machart schafft den suggerierten Wahrheitsgehalt, sondern der dokumentarische Wert der Abbildung; das «Es könnte ja sein» verleiht dem Bild die Aura der Hyperauthentizität. Der Umgang mit Bildern muss neu erlernt werden. Vielleicht stehen wir am Anfang einer neuen Renaissance, am Übergang zu einer neuen Moderne. Dass wieder ein kirchliches Motiv am Anfang einer Entwicklung steht, scheint fast schon prophetisch.

Die 3 Top-Kommentare zu "Hyperauthentizität: Jüngst verbreitete sich ein Bild viral, das den Pontifex in modischer Daunenjacke zeigt. Der Umgang mit Bildern muss neu erlernt werden"
  • Ludwig Detusch

    Mit Bildern wird schon seit tausend Jahren gelogen (falscher Zusammenhang, falsche Untzerschriften, "Symbolbilder", Fälschungen, Ausschnitte usw.). Und mit Worten natürlich noch viel länger. Nicht der Umgang mit Bildern muss also neue gelernt werden, sondern der Umgang mit der Wahrheit. Lügen, Verleumdungen, Verdrehungen, Unterstellungen usw. haben viel zu wenig oft Folgen - jeder kann daherschwätzen, was er will. Die Welt will belogen sein und hält nur für wahr, was sie ohnehin schon glaubt.

  • Alpensturm

    Nicht nur das. Wer jetzt noch Jus, Medizin, Banking oder Buchhaltung studiert, baut sein Schloss auf digitalem Sand. Die Masse hat keine Ahnung, was mit AI auf uns zukommt.

  • raedi butz

    "Dass wieder ein kirchliches Motiv am Anfang einer Entwicklung steht, scheint fast schon prophetisch." Das ist Quatsch. Das ist beileibe nicht der Anfang der Entwicklung. Aber es könnte ihr Ende sein. Das Ende der KI insgesamt. Und es würde nicht funktionieren, wenn Politik, Medien und Wirtschaft parallele dazu nicht ein Substrat geschaffen hätten, wo man langsam, aber sicher tatsächlich alles - eben auch das Gegenteil davon - für möglich hält.