Dieses Votum hielt der Zuger Mitte-Ständerat Peter Hegglin in der Debatte zur Armeebotschaft am 4. Juni 2024. Wir dokumentieren seine Rede im Wortlaut.

Die sicherheitspolitische Lage in Europa und auf der Welt hat sich verändert, da bin ich mit meinen Vorrednerinnen und Vorrednern einverstanden.

In Bezug auf den Krieg in der Ukraine und den Krieg im Gazastreifen wurde treffend gesagt, dass bei diesen Gemetzeln sinnlos und unnötigerweise Menschenleben vernichtet sowie Infrastruktur und Natur zerstört werden. Die grossen Leidtragenden sind die Menschen und die Natur, und die Profiteure sind Waffenproduzenten und Investoren.

Die Schweiz hat sich zu entscheiden, wie sie sich in dieser Situation positionieren und wie sie reagieren will – einerseits im Verhältnis zu den Kriegsparteien, andererseits bezüglich der Ausrüstung unserer Armee.

Ich beginne mit dem Verhältnis zu den Kriegsparteien. Ich verorte mich in der westlichen Welt, und trotzdem möchte ich nicht einseitig Partei für die Ukraine ergreifen und die Russen als alleinigen Aggressor verurteilen. Auch die Ukraine und die sie unterstützende Nato tragen eine Mitschuld an diesem Konflikt.

Ebenso ist auch im Gaza-Konflikt nicht nur die Attacke der Hamas zu verurteilen, sondern auch die Israelis haben unentschuldbare Massaker an der Zivilbevölkerung verübt und verüben sie immer noch.

Beide Konflikte müssen möglichst schnell beendet werden. Ich bin davon überzeugt, dass beide Konflikte nicht mit Krieg zu lösen sind – es wird am Schluss eine diplomatische Lösung geben müssen –, im Gegenteil: Ich habe sehr grosse Sorge, dass die gegenwärtige Eskalation an beiden Krisenherden nur noch viel schlimmer und viel grösser wird. Sie kennen ja die Wirksamkeit der heutigen Waffen: Mensch, Natur, vielleicht sogar die ganze Welt könnten zerstört werden.

Ich meine, man müsste diesbezüglich mehr unternehmen. Bekanntlich stirbt in einem Krieg die Wahrheit zuerst. Deshalb ist es auch nicht an uns – wir sind hier ja Aussenstehende –, darüber zu entscheiden, wer Täter und wer Opfer ist.

Die Schweiz als Depositarstaat der Genfer Konventionen und als Gaststaat des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz täte jedoch gut daran, viel mehr Energie zur Konfliktvermeidung freizumachen, besonnen zu reagieren und zu Mässigung aufzurufen, anstatt mitzuhelfen, die Aufrüstungsspirale in immer grössere Höhen zu treiben. Ich meine, dies hätte schon viel früher begonnen und intensiver betrieben werden sollen. Eine Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock zu organisieren, an welcher eine Konfliktpartei nicht teilnimmt, weil sie die Schweiz als nicht neutral betrachtet, sagt genug aus. Schliesslich wird dies wahrscheinlich eine Aktion bleiben, die viel kostet und zum Frieden wenig oder nichts beiträgt.

Damit komme ich zur Armeebotschaft 2024. Erst vor einem Jahr zog der Bundesrat seine Bilanz zur Weiterentwicklung der Armee (WEA). Dabei kam er zum Schluss, dass die Armeereform gelungen sei. Die Verteidigungsfähigkeit sei gestärkt und die Mobilmachung wieder geübt worden. Die Armee sei in der angestrebten Version weiterzuentwickeln. Nur hatte die WEA ganz andere Zielsetzungen. Man plante damals aus finanzieller Optik mit einem Anstieg der Ausgaben von 5,5 Milliarden auf knapp 7 Milliarden Franken bis zum Jahr 2035.

Weiter baute man zum Beispiel während der WEA die Kriegslogistik zu einer Betriebslogistik um. Ich war anfänglich in der SiK und habe entsprechende Kreditanträge vorgestellt erhalten. In Emmen wurde ein Hochregallager geplant, um einen grossen Teil der 1000 Container mit Armeematerial zu versorgen. Es war ein Bau von 105 Meter Länge und 25 Meter Höhe. Ich konnte damals und kann heute nicht verstehen, weshalb man geschützte Lager aufgab und ungeschützte Lager baute. Man beschaffte während der WEA Grosssysteme, die teuer, technisch anspruchsvoll und verletzlich sind, so zum Beispiel sechs Drohnen für 300 Millionen Franken, also 50 Millionen das Stück, während man in der Ukraine für das gleiche Geld etwa 30.000 Drohnen kaufen würde. Vor dem Hintergrund dieser sich verändernden Situationen hat auch der Armeechef in einer kürzlich stattgefundenen Sitzung, an welcher ich teilnahm, von einer Revolution auf den Kriegsplätzen gesprochen. Auch die SiK schreibt, dass zunehmend von einer hybriden Konfliktführung auszugehen sei und dass anscheinend auch eine asymmetrische Kriegsführung erfolgreich sei.

Dies alles ist in etwa in die Botschaft eingeflossen. Der Bundesrat beantragt ja zusätzliche Mittel von eben diesen 7 Milliarden auf 10,5 Milliarden Franken, und er will mit den Massnahmen der Botschaft auch Fähigkeitslücken schliessen. Gegenüber der ursprünglichen Planung ist das ein Anstieg von 22 Milliarden Franken, gemäss Botschaft des Bundesrates.

In dieser Botschaft hat es meiner Meinung nach aber noch Lücken, und zwar zum Beispiel in Bezug auf die personelle Besetzung der Armee. Wenn wir für die Armee so viel mehr Geld ausgeben, müssen die Geräte, die damit gekauft werden, auch bedient werden. Wir alle wissen aber, dass zwar die Rekrutenschulen besucht sind, sich aber anschliessend sehr viele ausgebildete Rekruten von der Armee verabschieden und versuchen, ihren Dienst anderweitig zu erfüllen. Eine Frage ist auch, wie wir mit einer asymmetrischen Kriegsführung umgehen. Wollen wir einfach Lücken, die wir heute haben, auffüllen, oder wollen wir unsere Armee eben auf andere Bedrohungsszenarien ausrichten?

Insgesamt trage ich die Aufstockung der Armeeausgaben mit, aber nur im Rahmen des bundesrätlichen Antrages. Ich meine, für zusätzliche Begehren braucht es dann wirklich eine fundierte bundesrätliche Botschaft, zu Eckwerten, zur Organisation der Armee, zur Konzeption, aber auch zu den Fähigkeiten der Armee. Denn was die gesetzliche Grundlage des heute vorliegenden Bundesbeschlusses betrifft, so schreibt der Bundesrat in der Botschaft, er würde dem Parlament erstmals einen Bundesbeschluss unterbreiten, der die strategische Ausrichtung der Armee für die nächsten zwölf Jahre beschreibe, und er stützt sich dafür auf Artikel 28 Absatz 1bis Buchstabe c des Parlamentsgesetzes.

Diese Grundlage ist ungenügend. Diese Grundlage bezieht sich eben nur auf verselbstständigte Einheiten. Das VBS oder auch die Armee ist keine verselbstständigte Einheit. Ich denke, diesbezüglich müsste der Bundesrat das nochmals überprüfen und, wie gesagt, eine richtige Botschaft mit den entsprechenden Planungsbeschlüssen unterbreiten. Ich bin überzeugt, dass es zur WEA, die wir hatten, eine neue, eine zusätzliche WEA braucht und da auch eine Botschaft, welche dann im Gegensatz zu der Armeebotschaft, die uns vorliegt, referendumsfähig ist. Ich glaube, es reicht nicht, einfach zu sagen: Es gibt ein schwarzes Buch der Armee. Dieses Buch ist keine Botschaft des Bundesrates, es ist ein Bericht der Armee. Wir können uns doch bei der politischen Beratung nicht auf Berichte von Ämtern stützen, sondern es braucht dazu eine politische Würdigung durch den Bundesrat. Sonst könnte jedes Bundesamt kommen und einen Bericht erstatten und dann sagen, das Parlament habe entsprechend zu beraten und auch Beschlüsse zu fassen. Nein, ich meine, es braucht dazu eine politische Würdigung durch den Bundesrat.

Damit komme ich zum Schluss. Wie gesagt: Ich beantrage Ihnen, den Anträgen des Bundesrates zu folgen, nicht aufzustocken; denn mir kommt bei der Debatte heute auch wieder quasi ein Bild wie bei den Corona-Massnahmen in den Sinn. Wir als Parlament haben debattiert, gesprochen; wir haben Massnahmen beschlossen; wir haben Kredite in sehr, sehr grosser Höhe freigegeben. Wir reagieren leider dann immer wieder übermässig und, wie ich meine, zu wenig besonnen.

Aus diesen Gründen empfehle ich Ihnen, dem bundesrätlichen Antrag zu folgen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Mitte-Ständerat Peter Hegglin über die Kriege in der Ukraine und in Gaza: Die Schweiz täte gut daran, viel mehr Energie zur Konfliktvermeidung freizumachen, besonnen zu reagieren und zu Mässigung aufzurufen, anstatt mitzuhelfen, die Aufrüstungsspirale in immer grössere Höhen zu treiben"
  • Jürg Schneeberger

    Endlich meldet sich eine Stimme der Vernunft. Die Schweiz hat die Kriegstreiberei und die völlig dekadenten Sanktionen mehr als satt. Ganz wichtig, dass man solchen Stimmen eine Plattform und damit ein Gehör gibt. Grossartig WW!

  • Besonnene Worte, ausgewogene Position. Es gibt noch ein paar Politiker mit Hirn, die nicht mit viel Emotionen dem Zeitgeist hinterherhecheln.

  • koebi.zimmermann

    Wir brauchen weitere besonnene Politiker wie Peter Hegglin. Die Schweiz, der Bundesrat sollte alles Unternehmen, dass ein Friedensprozess in Gang kommt. Die guten Dienste für alle muss unsere Maxime sein. Der Bürgenstock ist schadet der Schweiz, weil der Bundesrat sich von Selenski die Agenda diktieren lässt.