Wolodymyr Selenskyjs Dekret, wonach mit seinem russischen Kollegen Wladimir Putin keinerlei Verhandlungsbasis mehr existiert, löst in Russland keinen Stimmungs-Erdrutsch aus.

Niemand dort macht sich Illusionen, wie weit das Tischtuch zerschnitten ist. Es ist.

Ein stellvertretender Aussenminister kommentiert: «Wir werden warten, bis entweder der derzeitige [ukrainische] Präsident seine Meinung ändert oder ein künftiger Präsident seine Position im Interesse des ukrainischen Volkes formuliert.»

Von offiziellen russisch-ukrainischen Verhandlungen kann ohnehin seit dem Frühjahr keine Rede mehr sein. Einzige Ausnahme sind wiederholte Vereinbarungen zum Gefangenen-Austausch. Dabei existieren zahllose Kontakte im Hintergrund und auf allen Kontinenten, auch unter Vertretern der politischen Eliten.

Viel zu eng und zu bewährt sind die freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Bande. Doch der russische Angriff hat das Verhältnis der Brudervölker in einer Weise herausgefordert, dass beide Seiten nur noch dem Schlachtfeld vertrauen.

Zumal das Engagement des Westens die Kontrahenten in eine Art existenzielles Armageddon zwingt. Zwei in jeder Hinsicht ähnliche Gesellschaften, in tausendjähriger Geschichte miteinander verwoben, werden als Gladiatoren in den Kulturkampf der westlichen Demokratie mit der asiatischen Autokratie geschickt.

Der Ausgang ist offen.

Auch ohne Selenskyjs Dekret existieren kaum Zweifel, dass es unter einem Präsidenten Putin keinen Frieden geben wird – es sei denn einen russischen Siegfrieden.

Gleichzeitig wünscht sich, von den altbekannten Anti-Putinisten abgesehen, kaum ein Russe eine Blamage seines Vaterlands. Die ist angesichts der bisherigen militärischen Leistungen allerdings näher als gedacht.