Die USA sind und bleiben das Land der Überraschungen: Egal ob die Wahl Donald Trumps 2016 oder der seit Jahrzehnten verweigerte – obwohl von europäischen Intellektuellen sehnsüchtig herbeigeschriebene und oftmals angekündigte – Niedergang als Weltmacht. Immer wenn man meint, die Amerikaner durchschaut zu haben, kommt statt des erwarteten Zicks ein unvorhergesehenes Zack.

Dabei ist die US-Bevölkerung weniger wankelmütig, als die Wahlergebnisse der letzten Jahre vermuten lassen, und das Wahlverhalten lässt sich am besten mit zwei Worten beschreiben: common sense.

Auch wenn immer noch nicht eindeutig ist, wie die Machtkonstellation im Kongress nach diesen Midterms aussehen wird, so zeichnet sich ein eindeutiger Trend ab: Je woker oder Trump-affiner ein Kandidat war, desto geringer war die Wahrscheinlichkeit, eine der über 200 Einzelwahlen von letztem Dienstag zu gewinnen.

So gewannen die traditionell republikanischen Kandidaten für die Governeurs-Posten von Florida und Georgia – Ron DeSantis und Brian Kemp – ihre Wiederwahl mit Leichtigkeit, und Ersterer konnte seinen Vorsprung auf den demokratischen Herausforderer verfünzigfachen (von 30.000 Stimmen 2018 auf über 1,5 Millionen 2022). Aber selbst diese Erfolge liessen sich nicht einfach auf andere Kandidaten übertragen.

Kemp, der sich gegen Sabotageversuche von Trump wehren musste, konnte den handverlesenen Trump-Kandidaten Herschel Walker für Georgias Sitz im Senat nicht über die Ziellinie ziehen, obwohl beide auf dem gleichen Stimmzettel standen. Die Wähler entschieden sich, den generischen Republikaner Kemp zu wählen, aber den ehemaligen Footballstar Herschel Walker mit seiner skandalträchtigen Biografie wollten sie nicht.

Für die Demokraten ist das Bild ähnlich: Stacey Abrams ist ein Liebling der woken Twitter-Blase und forderte auf einer dementsprechenden Plattform Kemp bereits zum zweiten Mal heraus. Das Ergebnis spricht für sich: Vor vier Jahren gewann Kemp mit 50.000 Stimmen Vorsprung, diesmal mit 600.000. Auch in den gleichzeitig stattfindenden Wahlen für lokale Schulbehörden konnten anti-woke Kandidaten überraschende Erfolge erzielen, während Anti-Abtreibungs-Hardliner ebenfalls Niederlagen einfuhren.

Die USA reflektieren eine Trend, der uns auch in Europa zu denken geben sollte: Der Grossteil der angeblichen Polarisierung findet nicht in der Durchschnitts-Bevölkerung statt, sondern innerhalb der ideologisch fixierten Eliten und Meinungsmacher. Für die meisten Amerikaner und Europäer würde es schon reichen, einfach kompetent regiert zu werden und sich tatsächlich um jene Themen zu kümmern, die bei den Menschen räsonieren.

Ron DeSantis hat in Florida praktisch jede demografische Gruppe für sich gewonnen: Latinos, Frauen, Afro-Amerikaner, Asian Americans – und die meisten nannten einen relativ schlichten Grund für ihr Wahlverhalten: Neben dem üblichen Sprücheklopfen wurde in Florida effizient und kompetent regiert. Während Covid wurden keine extremen Lockdowns verhängt, die Schäden durch Hurricanes wurden rasch und unbürokratisch behoben, und in den Schulen machte man sich dafür stark, statt Gender-Ideologie Rechtschreibung und Mathematik zu unterrichten.

Unabhängig davon, wie die Wahl am Ende ausgeht, vielleicht sollten wir die Möglichkeit ins Auge fassen, dass die Wähler klüger sind, als man glaubt.

Ralph Schöllhammer lehrt an der Abteilung für Internationale Beziehungen der Webster Vienna Private University in Wien. Davor lebte er mehrere Jahre in Amerika.

Die 3 Top-Kommentare zu "Trend der US-Midterms ist eindeutig: Je woker oder Trump-affiner ein Kandidat war, desto geringer waren seine Wahl-Chancen"
  • DeSu

    Das sind ja gute und beruhigende Aussichten! Hoffenlich zeigt sich das Gleiche bei den Europäern.

  • Edmo

    Gute Nachrichten aus den USA. Leider sind sie sehr selten geworden. Hoffen wir, dass die Vernunft wieder Einzug halten kann.

  • stevenswissnew

    Trump machte einen argen Fehler, dass er Kandidaten mit dezidierten Ansichten in umstrittenen Wahlkreisen wie zB in Pennsylvania und Arizona antreten liess. Er hätte sich auf sichere republikanische Sitze beschränken sollen, wie die Demokraten die ihre Linksaussen nur in sichere Wahlen schicken. Trumps Politik war immer recht gemässigt. Um seine Chancen für 2024 zu wahren, sollte er sich auch verbal mässigen und als weiser, älterer Staatsmann auftreten. Kann er über seinen Schatten springen?