Mag schon sein, dass man im Alter weiser wird, gelassener und grosszügiger im Denken, gelegentlich zumindest, phasenweise. Der Weg zur Weisheit ist kein leichter, er führt über all die Enttäuschungen, die man durchlitten hat, ein bisschen auch über das Glück, das man erfahren hat, und dann sind da diese kleinen und grossen Verletzungen, die Narben verursacht haben an der Seele und am Weltbild.

David Bowie kommt mir in den Sinn, als er in einem seiner letzten Interviews sagte, dass es ziemlich schade sei, dass er jetzt gehen müsse, jetzt, wo er das Gefühl habe, ein klein bisschen vom Leben begriffen zu haben. Ich glaube, ich bin in jenem Alter, in dem ich in der möglichen Kindheit des alten weissen Mannes stehe. Ich bin privilegiert, erlebe kaum Diskriminierung ausser durch mich selbst. Vielleicht werde ich mal einer jener Typen, die zu Frauen weiterhin Baby sagen, MeToo für einen Ausrutscher halten und so tun, als sei die männliche Dominanz so selbstverständlich fraglos wie ein perfekter Frauenarsch. Vielleicht.

Meine Tage sind gerade so, dass das Unverständnis gegenüber all den Dingen, die der Mensch veranstaltet auf der Welt, grösser wird als das bisschen Verständnis, das ich einst gegenüber menschlichen Umtrieben aufbringen konnte, es war so eine Art Milde und Toleranz, gepaart mit Fatalismus. Aber jetzt ist da ein Gefühl, dass ich gerade aus der Zeit falle, und ich weiss noch nicht, wohin diese Haltlosigkeit führen wird.

Ich kann das Denken und die Prioritäten einer ganzen Generation nicht wirklich mehr nachvollziehen, jener, die sich gerade daranmacht, den Weltenlauf in die Hände zu nehmen. All die, die aufgewachsen sind in Wohlstand, mit besten Bildungschancen, Kreditkarten, die spätestens mit zehn Jahren schon karibischen Sand unter den Füssen hatten und so weiter. Vielleicht sind auch sie es, die aus der Zeit gefallen sind, mag sein.

Ich höre und sehe sie. Wie sie Öl auf Meisterwerke der Malerei giessen, sich auf der Leinwand festkleben, auf Strassen, wie sie sich als die letzte Generation stilisieren, die den Planeten retten und den Weltuntergang verhindern will. Vielleicht sind auch sie es, die aus der Zeit gefallen sind, mag sein.

Ich bin ein Cis-Mensch, vielleicht ist das wichtig oder wichtig geworden, einer, der sich mit dem Geschlecht identifiziert, mit dem er geboren worden ist. Ich bin im Grunde so was von stinknormal, dass mich das neue korrekte Verhalten bezüglich «kultureller Aneignung» oder «Intersektionalität» nicht woke, also wach, macht, sondern einschläfert. Vielleicht verstehe ich deshalb das ganze neue Mindsetting nicht, oder ich will es nicht verstehen. Nie werde ich zu Muttermilch «Menschenmilch» sagen, nie zu Sinti und Roma «Rotations-Europäer», nie zu einer werdenden Mutter «gebärende Person», und nie werde ich einen Menschen, der nicht weiss, ob er Mann oder Frau ist, eine nonbinäre Person, mit «Sier» ansprechen.

Mir ist es wurscht, ob einer oder eine oder ein irgendetwas dazwischen «Flinta» ist; Frau, Lesbe, Intersexuelle, Nonbinäre, Transgender oder Agender. Ich mag das neue Getue darum nicht, die Moralität hinter dem Ganzen, die Schuldzuweisungen, die Denkverbote, den Absturz der Meinungsfreiheit. Es gibt, wie seit Anbeginn, nur zwei Arten von Menschen: Idioten und keine Idioten. Und der wesentlichste Verhaltenskodex ist immer noch der Respekt. Respekt allem gegenüber.

Mag sein, dass die ganze Beschäftigung im gleichzeitigen Aufwerten und Neutralisieren der Geschlechter ein wesentlicher Baustein ist im Bemühen, die Stellung der Würde eines Menschen voranzubringen. Aber es ist nur ein Baustein, kein Dogma, und, ernsthaft, der Planet und die Gesellschaften auf ihm haben gerade grössere Probleme. Um sie zu lösen, nutzt es nichts, ein paar * in die Sprache einzuflechten, bei Stellenangeboten m/w/d (drittes Geschlecht) hinzuzufügen, sich am Boden oder an Bildern festzukleben, sich an Bäume zu fesseln, sich von Brücken baumeln zu lassen. Das ist alles Kindergarten.

Vielleicht habe ich den Anschluss verpasst und bin zu müde geworden zu versuchen, auf einen fahrenden Zug aufzuspringen. Es ist nicht mein Zug, ich mag seine Richtung nicht und seine Endstation.