Die Schweizer Stromwirtschaft hat in Laufenburg Pionierwerke errichtet. Das Kraftwerk und der legendäre Handelsplatz brachten die Schweiz voran. Was läuft heute?

Die Elektrizitätsversorgung der Stadt Laufenburg kauft den Strom für ihre Einwohner beim Kraftwerk Laufenburg (KWL). Beim Start 1914 war es das grösste Kraftwerk Europas. Und die jetzt befürchtete Strommangellage ist für das KWL, das erste quer zum Fluss gebaute Laufwasserkraftwerk, nichts Neues. Als damals in den 1930er Jahren der eigenproduzierte Pfuus knapp wurde, beteiligte sich das KWL an der deutschen Schluchseewerk AG und sicherte sich somit Strom für Spitzenverbrauchszeiten.

Das war damals der Startschuss, um neben der lokalen Versorgung auch den nationalen Markt mit Strom aus dem Ausland zu bedienen. Die einmalige Grenzlage der Habsburgerstadt begünstigte nach dem Zweiten Weltkrieg den Ausbau des Stromhandels mit Deutschland und dem kriegsgeschwächten Frankreich. Statt Devisen aus Paris gab’s ein Tauschgeschäft: Schweizer Elektroanlagen gegen Winterstrom der Electricité de France.

1956 wurde das rentable Kraftwerk aufgeteilt: Die Stromproduktion aus Wasserkraft verblieb beim KWL. Der speziell lukrative Stromhandel dagegen wurde in die neugegründete Elektrizitätsgesellschaft Laufenburg (EGL) ausgelagert. Eine 220-Kilovolt-Leitung im Unterwerk Kaister Feld ermöglichte technisch die Weiterleitung des eigenproduzierten und des zugekauften Stroms.

Zwei Jahre nach der Gründung der EGL wurden im April 1958 die Übertragungsnetze der Schweiz, Deutschlands und Frankreichs erstmals zusammengeschaltet: Der «Stern von Laufenburg» entstand. Er schuf mit einer bis dato unerreichten Netzstabilität für die Schweiz und ganz Mitteleuropa die Basis für einen europäischen Verbund im Energiemarkt. Diesem Meilenstein in der europäischen Stromgeschichte folgte 1967 die Zusammenschaltung der höherspannigen 380-kV-Ländernetze: Die EGL stieg damit in die oberste Liga des europäischen Stromhandels auf und verdiente so mehr als ein Vierteljahrhundert lang gutes Geld.

Schrittweise Liberalisierung des Marktes

Noch heute, sagt Swissgrid-Sprecherin Stephanie Bos, sei dieser Hub «ein wichtiger Knotenpunkt im schweizerischen Übertragungsnetz und für die Vernetzung mit Deutschland und Frankreich von grosser Bedeutung». Allein: Die Stadt Laufenburg hat praktisch nichts mehr davon – die grossen Player von einst haben allesamt ihr Business verkauft.

Es begann 1969, als das KWL seine Mehrheit an der EGL, am «Stern», an die Zürcher Industrieholding Elektrowatt verscherbelte. Mitte der 1990er Jahre lief die Deregulierung des Strommarkts im EU-Raum an, und die Elektrowatt verabschiedete sich aus dem Energiegeschäft; die EGL kam zur Watt AG.

Das Unternehmen investiert in die klimafreundliche Mobilität und die Dekarbonisierung.

Letzter Höhenflug

Mit dem neuen Jahrhundert begann nicht nur die Debatte über die schrittweise Liberalisierung des schweizerischen Strommarkts, sondern auch der langsame Untergang des «Sterns» EGL: Das Unternehmen priorisierte den Stromhandel, trennte die Netz- und Handelsgeschäfte voneinander und zog den grössten Teil des Personals in das neugeschaffene Trading Center in Dietikon ab.

Während Laufenburg den Ruf der Energiestadt verliert, setzt die EGL nochmals zu einem Höhenflug an: 2006, vier Jahre nach der Übernahme der Watt AG durch die Nordostschweizerischen Kraftwerke (NOK), feiert das Unternehmen den 50. Jahrestag mit dem höchsten Gewinn aller Zeiten.

Doch sechs Jahre später ist die EGL definitiv Geschichte: 2012 – die ehemalige EGL-Verwaltungsrätin und Bundesrätin Doris Leuthard präsentiert gerade die Energiestrategie 2050 mit dem Ausstieg aus der Kernenergie – wird die EGL, mittlerweile im Eigentum der NOK-Nachfolgeorganisation Axpo, an der Börse dekotiert. Das Handelsgeschäft wird in die Axpo Trading integriert. Damit fehlen in Laufenburg fortan jährlich 250 000 Franken Aktiensteuern – die Gemeinde muss ihren Steuerfuss um 4 Prozent erhöhen.

In die weitläufigen Gebäulichkeiten in Laufenburg zieht am 1. Januar 2000 die Etrans, deren fünfzig Mitarbeiter sich um den Betrieb des 220/380-kV-Übertragungsnetzes kümmern. Im Januar 2005 wird sie vom neugegründeten Übertragungsnetzbetreiber Swissgrid abgelöst, deren erster Chef mit Hans Peter Aebi ein ehemaliger CEO der EGL wird: Die unabhängige nationale Netzgesellschaft Swissgrid ermöglicht die störungsfreie Nutzung der 6700 Kilometer langen Stromautobahn für alle Marktteilnehmer und garantiert die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Stromversorgung in der Schweiz.

2010 baut die Swissgrid für mehrere Millionen eine neue Kommandozentrale in Laufenburg: «Das Herzstück des Schweizer Stromversorgungssystems», pries der damalige Swissgrid-Chef Pierre-Alain Graf das hochmoderne Kontrollzentrum – zwei Jahre später informierte er per Mail die Behörden der Stadt Laufenburg, dass die Swissgrid auch aufgrund des regionalen Fachkräftemangels das Fricktal verlassen und 2018 ihren Hauptsitz nach Aarau verlegen werde.

Das Laufenburger Areal wird an eine neugegründete «Entwicklungsgesellschaft Stern Laufenburg AG» verkauft, die seit vier Jahren erfolglos versucht, dort ein Technologie- und Gründerzentrum im Bereich Energie und sichere Kommunikation anzusiedeln.

Es bleibt «Natur Energie»

Das langsame Sterben des europäischen Strom-Rütli prägte auch Laufenburg: 2020 kaufte die städtische Elektrizitätsversorgung beim KWL noch die notwendige Energie für die Jahre 2021 und 2022. Für die Zeit danach wurden Warnungen der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom) vor einer Stromlücke ignoriert, in Laufenburg hoffte man auf sinkende Preise im Frühling 2023. Vergeblich. «Der Krieg in der Ukraine hat genau das Gegenteil bewirkt: Durch die ausbleibenden Gaslieferungen stieg der Marktpreis für Strom sprunghaft an», jammert nun der Gemeinderat, ohne einen Fehler einzugestehen. Ab 2023 steigen darum die Strompreise in Laufenburg um 182 Prozent.

Die Einwohner bezahlen also die Zeche, doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung: Das KWL, das 2002 zusammen mit dem Kraftwerk Rheinfelden für eine Milliarde Franken von der Watt AG an die deutsche Energie Baden-Württemberg (EnBW) verkauft wurde, bleibt dem Standort treu. Das als «Energiedienst-Holding» firmierende Unternehmen der EnBW, das mit dem Label «Natur Energie» derzeit dreimal mehr Ökostrom verkauft, als es selbst produzieren kann, baut seinen Hauptsitz am Rhein bei Laufenburg aus – und investiert, wie seinerzeit mit der EGL, in die Zukunft, diesmal in die klimafreundliche Mobilität und die Dekarbonisierung der Energiesysteme: Gleich neben den marodierenden Gebäuden der einstigen EGL ist der Bau einer Produktionsanlage für grünen Wasserstoff mit einer Elektrolyseleistung von zehn Megawatt geplant.