Je älter ich werde, desto kitschiger und rührseliger werde ich. Also habe ich beschlossen, nach ein paar Jahren Pause wieder einen Weihnachtsbaum im Wohnzimmer aufzustellen. Der Weg zur festlichen Perfektion war mit Hindernissen gepflastert – von Kugeln, die nicht halten wollten, bis zu solchen, die vor ihrem Einsatz zersprangen, aber hey, das gehört zum Abenteuer dazu. Selbst die kleine Tanne auf der Terrasse schmückte ich mit einer Lichterkette, die von Basel nach Zürich reicht. Die Nachbarschaft braucht etwas Glamour und die Welt, wie ich finde, wieder mehr Besinnlichkeit und Wärme.

Und damit herzlich willkommen zum Wort am Donnerstag! Die Inspiration für meine kleine Weihnachtspredigt kam von einer ganz speziellen Kita in Hamburg. Dort hatten sie die glorreiche Idee, keinen Weihnachtsbaum aufzustellen – «im Sinne der Religionsfreiheit», um kein Kind und seinen Glauben auszuschliessen, wie es im Brief an die Eltern stand. Ich finde nicht, dass dieser Weihnachtsbaum-Entzug gleich Cancel-Culture ist, wie einige bemängeln. Es zeigt jedoch eine gewisse Ignoranz der Entscheidungsträger, die offenbar nicht verstehen, wofür diese 40 000 ​Nadeln (ungefähr so viele hat die Nordmann-Tanne) eigentlich stehen.

Der Weihnachtsbaum ist kein religiöses Machtsymbol, bei dem es darum geht, sich unterzuordnen – auch wenn er mit dem Christentum verbunden ist, das mit ihm eine Verbindung zur Weihnachtsgeschichte herstellt. Er hat seinen Ursprung in verschiedenen vorchristlichen Bräuchen, so wird vermutet, wie dem Heidnischen. Das immergrüne Geäst galt als Symbol der Hoffnung und des Lebens inmitten der Dunkelheit und Kälte – ein andächtiges Sinnbild, mit dem Menschen ihr Durchhalten ehrten und dem harten Winter trotzten. Kulturen vermischten sich, und der geschmückte Baum wurde in vielen Teilen der Welt zu einem festen Bestandteil der Festlichkeiten.

Die 40 000 Nadeln sind ein Symbol der Hoffnung und des Lebens inmitten der Dunkelheit und Kälte. Trotz seiner verschiedenen Verwendungszwecke – vom Verkaufsschlager bis hin zum majestätischen Hüter der Geschenke – ist er seiner Grundbotschaft als Symbol des Lichts und der Feier treu geblieben. Das Gute an dem Baum ist: Er ist so vielseitig, dass jeder aus ihm herausnehmen kann, was ihm wichtig erscheint – vom ästhetischen Blickfang bis hin zum begehrten Trainingsgerät für Hunde und Katzen; schliesslich ist das Klettern auf Zweigen und das Ausbalancieren auf Kugeln eine olympische Disziplin unter Vierbeinern. Aber es gibt auch Menschen, die den Trend des «In-den-Baum-Kriechens» begrüssen. So manchem ermöglicht er eine willkommene Atempause bei Gesprächen an Familienfeiern: «Entschuldigung, ich muss mal kurz den Christbaum inspizieren.»

Vor allem widerspiegelt er ein epochales Bedürfnis nach Nähe und Wärme. In einer Welt voller Routine, Alltagshektik und Egozentrik gilt die Weihnachtszeit für viele als ein Moment der Gemeinschaft, des Durchatmens und der Entschleunigung. Die Gesellschaft bremst etwas ab. Menschen werden ein bisschen netter zueinander und besinnen sich auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben. Die Zeit ist gekommen, seinen Liebsten Gedanken zu schenken, nicht nur sich selbst. Gute Taten stehen hoch im Kurs; man hilft in Gassenküchen mit, spendet für Bedürftige und versucht, niemanden auszuschliessen. Familien kommen zusammen, teilen gemeinsame Zeit, tauschen Wärme aus. Für eine kurze Zeitspanne im Jahr sind Mails nicht die oberste Priorität, und Probleme müssen nicht sofort gelöst werden. Überall glitzern Weihnachtslichter, und ein Zauber liegt in der Luft.

Der Weihnachtsbaum symbolisiert all das und mehr. Seine Verbannung ist nicht nur ein Verlust für die festliche Atmosphäre, sondern auch ein Paradebeispiel für falsch verstandene Toleranz – eine, die die Welt nur etwas kälter macht. Und zu guter Letzt: Er ist auch eine Möglichkeit, gemeinsam kreativ zu werden, er ist ein künstlerisches Gemeinschaftswerk, oft nach Familientradition. Er hat sogar einen nachhaltigen Nebeneffekt: Nach den Feiertagen spenden Leute ihre abgeschmückten Tannenbäume an Bauernhöfe, wo sie den Ziegen als natürliche Beschäftigung und Hindernisparcours dienen. In einer Art Ziegen-Tannenfreizeitpark springen diese dann happy ins neue Jahr. In dem Sinne: Frohe und besinnliche Weihnachten!

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Die 3 Top-Kommentare zu "Das Wort zum Donnerstag"
  • observer99

    Bravo ! Vollständig einverstanden mit Ihren Worten, Frau Wernli! Dieses Schwurbelgedöns von wegen sog, 'Religionsfreiheit' ist das Dümmste, ws man sich denken kann. Uebrigens heisst es nicht 'ReligionsFreiheit', sondern ReligionsAUSÜBUNGSFREIHEIT' nämlich das Recht, grundsätzlich seiner Religion nachzugehen, aber auch die Negative R.freiheit, nämlich keiner Religion anzugehören. Und zur R.ausübrungsfreheit gehört auch nicht, dass einem von jedem Minarett ein MuezzinGeheul entgegenschalle!

  • markusspycher

    Danke, Frau Wernli, für diese Hommage an den Weihnachtsbaum. Auch wenn es immer mehr Menschen in unserem Land gibt, die es nicht so mit christlichen Traditionen haben, tut es vorallem einer älteren Leserschaft gut, solches lesen zu können. Es reicht nämlich vollauf, wenn aktuell in einem Tages-Blatt-Verlag unsere deutschen Weihnachtslieder verhunzt werden. OK, es handelt sich dort um eine erklärte Polemik, ist aber trotzdem gerade in der heutigen Zeit ziemlich billig.

  • fredy-bgul

    Wunderbare Gedanken sind das, danke. Viel besser als unausgewogene Entscheide in einer KITA in Hamburg, wo das Denken wohl nur noch in Schubladen aber nicht mehr im Universum der freien Gedanken Platz hat. So ist gerade der Tannenbaum - um ein neutrales Wort zu verwenden - ein uraltes Sinnbild für vieles, aber vor allem für das Licht und das Leben, im dunklen Winter und inmitten der Familie, die sich wieder mal trifft. Frohe Weihnachten, mit vielen freien Gedanken und Frieden wünsche ich allen.