Die Schweiz ist in der Reduktion der Treibhausgasemissionen bereits erheblich weiter als viele andere Länder. Diese Einschätzung teilt auch der Chefökonom des Bundes, Seco-Vizedirektor Eric Scheidegger im Interview auf zur Story. Auf den ersten Blick mag das angesichts des realisierten Wirtschaftswachstums erstaunen, aber man muss eben die aussagekräftigen Messgrössen heranziehen: Wenn man schaut, wie viel CO2 pro Einheit des Bruttoinlandprodukts (BIP) ausgestossen wird, erreicht die Schweiz Spitzenwerte. Die Produktion kommt im internationalen Vergleich mit besonders wenig Energie aus, die Entkoppelung läuft, die Effizienz steigt, entsprechend weit ist die Dekarbonisierung gediehen.

 

Auf die Effizienz kommt es an

Der amerikanische Umwelt- und Polit-Wissenschaftler Roger Pielke von der University of Colorado Boulder kommt zu ähnlichen Schlüssen. Er verwendet bei seinen Vergleichen dieselbe Messgrösse: Treibhausgasemission pro Einheit BIP. Er bringt dazu die folgende Gleichung: Die Emissionen entsprechen dem BIP multipliziert mit der eingesetzten Technologie. Ineffiziente Technologie erzeugt viele Emissionen, effizientere Methoden mindern den Ausstoss. So gesehen, ist ein Land im Dekarbonisieren dann erfolgreich, wenn es bessere Technologien einsetzt.

Dieser Tage hat Pielke aus dieser Optik aufsehenerregende Befunde zur Reduktion der Treibhausgase publiziert. Wussten Sie, dass Polen unter den grösseren Ländern dasjenige mit der erfolgreichsten Dekarbonisierung ist? Pielke konzentrierte sich auf die zwanzig grössten CO2-Emittenten im Jahr 2022, die zusammen rund 83 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen aus dem Energiebereich und etwa 72 Prozent des weltweiten BIP ausmachen. Er berechnete die länderweisen, jährlichen Dekarbonisierungsraten – bezogen auf Emissionen pro BIP – einerseits für den Zeitraum seit 1992, dem Jahr, als das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen auf dem Erdgipfel in Rio eingeführt wurde, andererseits für die Periode seit 2015, als das Pariser Abkommen angenommen wurde.

Die Ergebnisse: Nimmt man die Periode seit 1992, steht Polen an erster Stelle mit einer Jahresrate von minus 4,6 Prozent. Eine BIP-Einheit wurde also jedes Jahr immer wieder mit 4,6 Prozent weniger Emissionen erzeugt. Auf Platz zwei steht Grossbritannien (3,7), dann folgen China (3,7), Russland (2,6), USA (2,5) und Deutschland (2,5). Der Weltdurchschnitt beträgt minus 1,6 Prozent, es ergab sich also auch über alles gesehen ein Effizienzgewinn in der Produktion des Wirtschaftsoutputs.

Blickt man auf die Periode seit 2015, steht Grossbritannien an der Spitze mit einer Jahresrate von minus 4,7 Prozent, Polen ist an zweiter Stelle (3,8). Dahinter folgen Deutschland (3,6), China (3,5) und Australien (3,4). Nur zwei Länder verschlechterten sich bei der Emissionseffizienz: Iran (0,3) und Indonesien (1,8). Der Weltdurchschnitt liegt bei minus 2,1 Prozent. Neun der zwanzig Länder liegen in jedem Zeitraum über dem weltweiten Durchschnitt der Dekarbonisierungsrate.

Warum steht Polen so gut da? Pielke: Die hohe Dekarbonisierungsrate sei das Ergebnis eines starken Wirtschaftswachstums, das mit einem leichten Rückgang der Emissionen einherging. Polens Wirtschaft hat sich bei praktisch gleichbleibenden Emissionen mehr als verdreifacht. Das nennt man Entkoppelung. Chinas hohe Dekarbonisierungsrate ist laut Pielke ebenfalls auf ein Wirtschaftswachstum zurückzuführen, das das Emissionswachstum bei weitem übersteigt.

Dann der harte, abschliessende Befund: Kein Land hat Dekarbonisierungsraten erreicht, die auch nur annähernd mit den Zielen des Pariser Abkommens oder netto null 2050 übereinstimmen. Um aggressive Ziele für eine tiefgreifende Dekarbonisierung zu erreichen, sind sehr hohe Dekarbonisierungsraten erforderlich.