Am 12. September 1848 entstand die Schweiz im Herzen Europas. Von nun an war sie ein eigenständiger und souveräner Staat. Die Bundesverfassung von 1848 brachte erstmals Freiheitsrechte und neue Institutionen. Das Zweikammerparlament geht genauso wie der siebenköpfige Bundesrat auf die Gründung des Bundesstaats zurück. Kein Grund zum Feiern? Ich finde doch. 1848 ist die Geburt der heutigen Schweiz.

Bis 1648 war die Schweiz zuerst ein abhängiger, dann ein autonomer Teil des Kaiserreiches gewesen. Danach galt man als loser Staatenbund. 1798 formten die revolutionären Franzosen daraus die zentralistische Helvetische Republik. Der Wiener Kongress 1815 machte aus der Schweizerischen Eidgenossenschaft, wie sie jetzt hiess, einen Pufferstaat zwischen Frankreich und Österreich. Formell war sie wieder ein Staatenbund. Aussenpolitisch neutralisiert, bekam sie die Möglichkeit, eine eigene Armee aufzubauen.

Die Schweiz von 1815 blieb ein Kunterbunt an politischen Regimes. Da gab es die Landsgemeinde-Kantone wie Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden. Aus früheren Reichsstädten wie Bern, Zürich, Luzern waren Adelsrepubliken geworden. Und es existierten die von Napoleon geschaffenen Kantone wie Tessin, St. Gallen, Thurgau, Aargau und Waadt. Hinzu kamen Föderationen wie Graubünden und Wallis und mit Neuenburg gar Teil einer Monarchie.

Nur 51 Tage für eine Verfassung

Die eigentliche Wende kam in den 1830er Jahren. Alles begann im Kanton Tessin, wo im Kampf gegen die katholische Kirche die erste repräsentative Demokratie entstand. Aufgeklärt wie sie war, basierte sie auf einer Verfassung, Menschenrechten, einem allgemeinen Männerwahlrecht und Gewaltenteilung, gestützt von der freien Presse.

Neuneinhalb Kantone folgten bis 1833: Alle wurden repräsentative Demokratien. Der Versuch, einen Bundesstaat zu gründen, scheiterte allerdings. Erst der zweite Anlauf brachte den Durchbruch. Selbstverständlich war das auch diesmal nicht. Progressive und Konservative standen sich unversöhnlich gegenüber. Streitpunkte waren die Volksmitsprache und die Klosterschliessungen.

Die Schweizer radikalisierte sich. Weltanschauungen und Konfessionen überlagerten sich und verschärften den Konflikt, bis die Tagsatzung die militärische Auflösung des Bundes Abtrünniger beschloss. Den Bürgerkrieg Ende 1847 gewannen die regulären eidgenössischen Truppen gegen die Aufständischen des Sonderbunds. Den katholisch-konservativen Kantonen blieb nur die Kapitulation. Das machte den Weg für die Staatsgründung durch den Freisinn frei.

Die friedliche Einigung über die neue Staatsform ging von der Verfassungskommission der Tagsatzung aus. Vertreter aller Kantone formulierten in bloss 51 Tagen die erste Bundesverfassung. Strittig war vor allem die Parlamentsfrage. Da einigte man sich auf eine ausbalanciertes Zweikammerparlament nach amerikanischem Vorbild. Am 12. September erklärte die Tagsatzung im Berner Rathaus zum Äusseren Stand die Annahme der neuen Verfassung. Der Bundesstaat war geboren!

Rückblickend erweist sich erstens der Kompromiss in der Staatsform als entscheidend. Demokratie- und Föderalismus-Prinzipien fanden in der Republik Platz. Ein zweiter Grund war der Ausbruch aus der wirtschaftlichen Not. Geschaffen wurde 1848 ein Binnenmarkt ohne Zölle an den Kantonsgrenzen, dem Schweizer Franken als gemeinsam Währung und der Post als erste nationale Institution. Die Gründung des Polytechnikums als eidg. Hochschule vollendete den ambitionierten Modernisierungsplan.

Vor allem Grossbritannien stand der Schweiz zur Seite. Das Interesse an der Industrialisierung machte beide Staaten zu Partnern. In den Nachbarstaaten herrschte zuerst ein revolutionärer Geist, bevor die Reaktion überall siegte. Die Schweiz von 1848 war die einzige dauerhafte Staatsgründung ihrer Zeit.

An der Spitze der Demokratie

Noch war man 1848 keine reife Demokratie wie heute. Man schaffte den ersten Schritt zur «electoral Democracy», basierend auf dem Volkswillen. Die Mängel beim «institution building» wurden bald behoben. 1874 bekamen auch die Juden die Grundrechte. Mit dem ständigen Bundesgericht wurde die Gewaltenteilung vollendet. Und dank dem Gesetzesreferendum machte man den ersten Schritt zu Volksrechten. Das katapultierte die Schweiz an die Spitze der Demokratie.

Kritik blieb wegen dem unvollständigen «nation Building». Erst 1891 schlossen Sieger und Verlierer des Bürgerkriegs einen Burgfrieden, näherten sich an und teilten sich die Machte im Bundesrat. Gar bis 1971 mussten die Frauen warten, bis auch sie als vollwertiger Teil der Nation angesehen wurden und die politischen Rechte bekamen.

1848 war die Schweiz auf dem Kontinent eine veritable Ausnahme. Denn nirgends gab es damals eine stabile Republik, die gleichzeitig demokratisch und föderalistisch war. Daran sollte man sich an jedem 12. September erinnern!

 

Claude Longchamp ist Politologe und Experte für politische Analyse und Meinungsforschung.

Die 3 Top-Kommentare zu "Die Schweiz entstand am 12. September 1848: Plädoyer für einen neuen Nationalfeiertag"
  • Frank Z. Marg

    Was Herr Longchamp schreibt, das kann man auch sehr gut am 1. August feiern. Es braucht kein neues Datum, mit dem kein Schwein Heimatgefühle, schweizer Geschichte und auch niemand das schweizerische System in Verbindung bringt.

  • Kulti S

    Herr Longchamp eben schon, man muss nur schauen auf welcher Seite er ist. Klar links. Nun wundert es nicht mehr, die stehen ja auch nicht mehr zur Schweiz.

  • fmj

    Neues Datum, um aufzufallen? Das Jahr 1848 hat seine berechtigte Bedeutung, die aber in unserer Geschichte nicht so wichtig ist. Auch die Verfassung von 1874 könnte man feiern. Jedoch der Ursprung unseres kleinen Landes, sein stetes Wachsen zum heutigen Staatswesen ist einmalig – weltweit! Wenn das nicht d e r Grund ist für eine Feier, dann gibt's keinen Grund irgend etwas zu feiern. Lassen wir's dabei!