Dieser Text ist eine Hommage. Es freut mich, dass ich mit meinen Worten schreiben kann, warum die Zeit in Parzivals Werk fallen wird – dies im Gegensatz und Widerspruch zum Ausdruck: «Er oder sie ist aus der Zeit gefallen.» Als Erstes will ich klären, dass Parzival ein Künstler ist; er ist kein «Original», kein «Verrückter», kein «Aussenseiter», wenn man davon ausgeht, dass wir Künstlerinnen und Künstler alle Aussenseiterinnen und Aussenseiter sind. Denn wenn wir das nicht wären, warum sollten wir Kunst machen?

Parzival ist deshalb ein ideales Beispiel dafür, dass der Begriff «Aussenseiter-Kunst» nicht greift und nicht zählt, denn dieser Begriff ist deshalb sinnlos, weil alles nur eine Frage der Zeit ist. Es gibt Künstlerinnen und Künstler, die sind «zeitgenössisch», und es gibt jene, auf deren Werk die Zeit wartet – Parzival gehört zu ihnen, denn, banal gesagt: Er ist seiner Zeit voraus. Erst kürzlich hat der Ausstellungsort Juraplatz/Place du Jura in Biel Parzivals Arbeit unter dem Titel «Weltwährungskiosk» eine Ausstellung gewidmet.

Wundervolles Atelier

Parzival – ich hatte das Glück, ihn 2017 bei den Vorarbeiten für die «Robert Walser-Sculpture» in Biel im einzigartigen «Café Brésil» kennenzulernen – verkörpert mit seiner Kunst, seiner Person und seiner Mission ein hochaktuelles Künstler-Sein, getragen von Universalität, Singularität und Radikalität.

Parzivals Kunst ist fordernd, überfordernd, exzessiv, unmässig, ausschweifend, ausufernd.

Wer mit Parzival zu tun hat, weiss, dass er oder sie es mit einem Künstler zu tun hat, das heisst mit jemandem, der eine Vision hat und der auch die Fähigkeit besitzt, dieser Vision eine Form zu geben. Eine Form, die sich in seiner Erscheinung zeigt, von den grünen Schuhen bis zu der mit Federn geschmückten Schweizer Soldatenmütze. Eine Form, die er laufend mit unbegrenztem Einfallsreichtum erfindet. Wie mit seinem selbstgemachten «Klima-Generalabonnement für Benzinmotorenfreies Reisen» oder dem von ihm in Umlauf gebrachten, nur einseitig bedruckten (die andere Seite muss mit einem persönlichen Kunstwerk bestätigt werden) und tatsächlich funktionierenden «Espero-Geld» – ich konnte in Biel tatsächlich einen Milchkaffe damit bezahlen.

Was immer Parzival macht, besitzt eine klare, kompromisslose, radikale Logik, es ist seine Logik, und aus dieser singulären Logik schöpft sich das Schöne in seinem Werk. Sein Atelierhaus in Sonceboz-Sombeval ist wunderbar und wundervoll mit unzähligen, dichten – mit Energie geladenen – Kunstwerken ausgestattet. Parzival arbeitet und lebt dort seit zehn Jahren «nuklearstromfrei», das heisst, er lässt sich dies vom lokalen Elektrizitätswerk bestätigen und bezahlt einen Aufpreis dafür. Früher hat er 28 Jahre lang absolut «stromfrei» gelebt. Nur schon daran sehen wir, dass die Zeit kommen wird – eigentlich ist sie schon da –, in der das Werk Parzivals als Kunst – als Form, als Haltung und als Aktion – inmitten der allgemeinen Kunstgeschichte verstanden werden wird. Die Zeit wird urplötzlich da sein, überreif: Sie wird in sein Werk fallen.

Parzival macht seit 1985 Kunst, er selbst bezeichnet seinen «Velotaxi-Prototyp», den er 1985 in Biel erfunden und aktiviert hat, als seine erste Kunstaktion. Er ist ein Künstler-Aktivist, er ist kein Künstler und Aktivist, sondern er ist beides, das heisst, er ist der Aktivist seiner Kunst, so, wie das jeder Künstler und jede Künstlerin sein muss. Das Beeindruckende dabei ist, wie Parzival «es durchzieht», wie man in der Schweiz sagt, und das seit Jahrzehnten.

Humor und Schlagfertigkeit

Beeindruckend ist, wie Parzival «es durchzieht», wie man in der Schweiz sagt, und das seit Jahrzehnten.

Mich besticht, neben ganz vielen seiner Kunstaktivitäten, wie er seit 25 Jahren in der Cafeteria der Migros-Filiale Madretsch in Biel jeden Donnerstag um 14 Uhr seine «Espero-Rondo de Bielo» aufbaut, einen Ort, wo Esperanto gesprochen wird und gelernt werden kann. Ob jemand kommt oder nicht: Parzival ist da, er ist präsent. Und es hat mich ungemein gefreut, dass Parzival, als wichtiger Teil der «Robert Walser-Sculpture», im Sommer 2019 jeden Tag, 86 Tage lang, den ganzen Tag präsent war und produziert hat.

Parzivals Kunst ist fordernd, überfordernd, exzessiv, unmässig, ausschweifend, ausufernd – so, wie es jede gute Kunst ist. Was gerahmt, was kalkuliert, was domestiziert ist, was abgeschlossen ist, was lohnend ist, ist keine gute Kunst. Er ist bereit, den Preis für seine Arbeit zu bezahlen, denn er macht seine Arbeit aus unwiderstehlicher Dringlichkeit und mit absoluter Notwendigkeit. Die Form dazu, überzeugend, leuchtend und insistierend, hat er gefunden: Er ist aktiv, er bewegt sich, er ist präsent, seine Gestalt – immer friedlich – ist «Mitteilung» an sich.

Dazu wird gearbeitet, er notiert, er füllt leere oder bedruckte Seiten, er überzeichnet, er collagiert, er kommentiert, er übersetzt (in Esperanto), er erfindet neue Begriffe. Mit Begriffen wie «Model Soldato», «Weltwährungskiosk», «Stabilité du climat oblige», «Le gouvernement mondial», «Klimasoldat» – in Esperanto, in Französisch oder in Deutsch – greift er ins Geschehen der Welt ein, mit Humor und Schlagfertigkeit. Parzival ist ein begnadeter Performer, weil er mit seinem inneren und äusseren Sein etwas zu sagen hat; er ist kein Künstler, der am Vernissageabend für das Eröffnungspublikum eine Performance darbietet. Er «performt» seine Kunst jeden Tag, jede Stunde, jeden einzelnen Moment seines Lebens.

Tischsets für Biden und Putin

Der Künstler Parzival insistiert mit seiner Form, und diese Insistenz ist an sich Form. Ich verstehe es als etwas für ihn sehr Wichtiges, Grundlegendes, Essenzielles, etwas, woran er immer arbeitet. Er formt, er bildet, er fügt hinzu, er schafft neu, er gibt neue Form; er macht keine Wiederholungen oder Varianten, und er schafft es im Gespräch, dass seine Obsession, «eine Weltregierung zu bilden, die Esperanto spricht und die den globalen Frieden verordnet», ernst genommen wird. Gerade weil es einerseits absolut zwingend und logisch und andererseits utopisch ist – was ist das sonst, wenn nicht grosse Kunst?

Parzival sagte mir, als ich ihn informierte, dass ich einen Text über sein Werk schreiben werde: «Wenn du als Erstes schreibst, dass Biden und Putin Esperanto lernen sollen, um sich in einem chinesischen Restaurant zu treffen und zu diskutieren, kannst du nachfolgend schreiben, was du willst!» So ist Parzival, so arbeitet der Künstler Parzival: Er versucht pausenlos, ohne Unterlass, bei jeder Gelegenheit hemmungslos einzig seiner Mission gewidmet, den anderen für sein Anliegen zu gewinnen oder einzusetzen. Selbst hat er bereits die Tischsets für das Treffen von Biden und Putin geschaffen, sie liegen im Restaurant «Senk Hok Buffet» im Bahnhof von Sonceboz-Sombeval bereit.

Soldat des Friedens

Parzival hat eine Mission, eine Mission, die er sich selbst gegeben hat. Es geht ihm um das Ganze, das Universelle, die eine Welt, den Planeten Erde. Nie geht es ihm um das Persönliche, um das Partikulare, um sein Talent oder um Selbstverwirklichung. Er arbeitet und kämpft für etwas, er kämpft für eine friedliche Welt, für eine gewaltfreie, für eine nuklearfreie Welt, für eine ökologische Welt. Eine Mission haben heisst: für etwas kämpfen, egal, ob man diesen Kampf gewinnt oder nicht, eine Mission haben ist der harte Kern des Künstler-Seins, denn nie kämpft der Künstler oder die Künstlerin gegen etwas. Parzival wird seine Mission erfüllen, das heisst, er wird weiterkämpfen, so, wie er schon seit so langer Zeit kämpft. Parzival ist ein Soldat.