window.dataLayer = window.dataLayer || []; function gtag(){dataLayer.push(arguments);} gtag('js', new Date()); gtag('config', 'UA-5295837-6');
Anzeige
Weltwoche logo

Die Atmosphäre war unterkühlt. Das lag nicht an der Laune des Interviewten, im Gegenteil. Eine Anekdote ergab die andere, ein Witz folgte dem nächsten. Unser Problem war ein klimatisches: Endo Anaconda, wie er sich nannte, rauchte Kette. Darum konnte das Gespräch nicht im Café «Rosengarten» stattfinden mit dem weitem Blick auf die Alpen und die enge Berner Altstadt. Sondern davor, an einem kalten Oktobertag. Wir tranken einen Kaffee mit Milch, er leerte einen Liter Weissen.

So einer wird nicht sehr alt; jetzt, mit 66 Jahren, hat ihn der Lungenkrebs geholt. Alles war masslos an ihm, nicht nur sein Drogenkonsum. Dabei konnte er so poetisch schreiben, so humorvoll und schwermütig. Diesen Hang zur Melancholie, den man von Berner Liedermachern kennt, erklärte er mit der Erfahrung aus der Geschichte: «Vergessen Sie nicht, dass die Berner Herrschaft mit enormer Gewalt über das Land herrschte.» Die Leute hier hätten gelernt, «dass ein falsches Wort den Tod bedeuten konnte».

Ihm gingen die Worte nie aus, weder auf der Bühne noch im Studio, und er war grossartig mit seinen dadaistischen Kaskaden. «Schifahre» braucht er als Slangwort fürs Koksen, «Bärejage» spielt auf den Stempel an, mit dem der Beamte dem Arbeitslosen die Bescheinigung gibt, «I han e Moudi» meint den Kater, der ihn am Morgen plagte. Bei ihm waren Gmögigkeit und Wahn nur ein Refrain weit weg. Endo Anaconda war ausfällig und mitfühlend, ein intensiver «Has».

Ein Einfacher war er nicht, was dazu führte, das Endo und sein Kollege Balts Nill zeitweise getrennt an ihre gemeinsamen «Stiller Has»-Konzerte reisten. Sie trennten sich aber in Freundschaft. Bevor die beiden einander kennenlernten, hatte Andreas Flückiger, wie Endo bürgerlich hiess, einen weiten Umweg machen müssen. Er kam 1955 in Burgdorf auf die Welt, Sohn eines Schweizer Polizisten und einer Gastronomin aus Kärnten. Als der Bub vier Jahre alt war, starb der Vater bei einem Verkehrsunfall. Die Mutter zog mit den beiden Söhnen nach Österreich zurück. Endo kam in Klagenfurt in ein katholisches Internat, in dem er misshandelt wurde. Später verkam er zum Kleinkriminellen, wurde drogensüchtig. Als die Mutter starb, zog er 1981 nach Bern. Arbeitete als Dieb und hatte gelegentlich Jobs. Balts Nill stellte er sich bei der ersten Begegnung als Gangster vor.

Die beiden arbeiteten trotzdem miteinander. 1989 veröffentlichten sie eine erste Kassette. Konzerte wurden abgehalten, «Stiller Has» brachte sich ins Gespräch, die Platte «Moudi» von 1995 machte das Duo berühmt, mit Nills Laubsägesound, Endos wuchtiger Bluesstimme und den brillanten Texten. So einen wie ihn gibt es selten, jetzt gibt es ihn gar nicht mehr. Letzte Woche ist Endo Anaconda nach kurzer Krankheit gestorben. Er hinterlässt drei Kinder mit drei verschiedenen Frauen. Sein Tourneekalender war bis Ende Jahr gefüllt. Und seine Fans werden sich leerer fühlen. Jean-Martin Büttner