Dieser Artikel schliesst an den in der Weltwoche Grün Nr. 7.23 erschienen Beitrag an.Unter dem Motto des «New Green Deal» haben zahlreiche Länder als auch Unternehmen weltweit das Ziel netto null 2050 ausgegeben – dass also in 27 Jahren nur noch so viel CO2 ausgestossen werden darf, wie absorbiert wird. Zahlreiche nationale Regierungen haben für ihre Länder ebenfalls «Netto null 2050» proklamiert, desgleichen zahllose Unternehmen weltweit. Der amerikanische Politberater Jeremy Rifkin etwa fordert gar den Zeithorizont 2040 für Europa.

Was bedeuten solche Planungen? Im Folgenden wird dargelegt, dass CO2-Neutralität ohne Kernenergie (also nur mit Wind- und Solarstrom) unter mitteleuropäischen klimatischen Verhältnissen ohne massiven Verlust an Lebensstandard, Lebenserwartung und – viel schlimmer noch – an Innovations- und Produktionspotenzial nicht umsetzbar ist. Es muss beim Stand der Technik als technische Illusion angesehen werden, ohne Nutzung von Kernenergie bis 2050 CO2-neutral zu werden, ohne dass man den Abstieg auf Drittweltniveau in Kauf nimmt.

Weltanteil von 2 Promille

Um die technischen Schwierigkeiten und Konsequenzen der völligen Dekarbonisierung zu begreifen, muss man sich gerade beim Thema Energie die Grössenordnungen vergegenwärtigen, mit denen man es hier zu tun hat. Zur Einführung in das Problem sei technisch versierten Lesern ein exzellenter Artikel, «Physik, Fracking, Brennstoff und die Zukunft», in der vom American Institute of Physics herausgegebenen Zeitschrift Physics Today empfohlen.

In diesem Thema ist es entscheidend, die sehr starke Korrelation zwischen Bruttoinlandprodukt pro Kopf pro Jahr (also Lebensstandard beziehungsweise Wirtschaftsleistung) und Energieverbrauch pro Kopf zu verstehen. Diese Korrelation zeigt sich über mehrere Grössenordnungen hinweg, durchgehend von ganz niedrigen bis zu ganz hohen Werten. Verlässliche Rohdaten von 194 Ländern liefert beispielsweise das CIA World Factbook.

Diese Korrelation als Beziehung zwischen Lebensstandard und Energiekonsum ist in der Grafik zur Story veranschaulicht. Jedes Land ist als Punkt dargestellt. Beide Achsen sind logarithmisch skaliert, die höheren Werte sind also quasi gestaucht aufgetragen. Sinnvoll erscheint zunächst folgende grobe Einteilung der Punktewolke: unten, Mitte, oben. Ein Energieverbrauch pro Person pro Tag von bis zu 10 Kilowattstunden (kWh) entspricht dem Stand der Dritten Welt. Ein Pro-Kopf-Energiekonsum pro Tag von 10 bis 100 kWh widerspiegelt das Niveau der Zweiten Welt (frühere Planwirtschaften plus stärker entwickelte Schwellenländer), und ein Tagesverbrauch von über 100 kWh kennzeichnet die Verhältnisse der Ersten Welt.

Der globale Gesamtenergieverbrauch pro Jahr liegt derzeit bei etwa 670 Exajoule (EJ), das sind 670 000 Petajoule (PJ). Deutschlands Weltanteil beträgt also 2 Prozent, jener der Schweiz etwa 2 Promille. Die Zahl umfasst alle verbrauchte Energie (fossil, nuklear, erneuerbar), also nicht nur Elektrizität. Diese riesige Ziffer kann man sich schwer vorstellen, denn das sind 187 Billionen kWh. Bei einem Äquivalent von 0,1 Dollar pro kWh entspricht dies einem Gesamtumsatz von gut 18 Billionen Dollar. Das wären etwa drei Viertel des amerikanischen BIP.

Groteske Illusionen

Um diese Summe in verständlichere Grössenordnungen zu bringen, berechnen wir daraus den Energieverbrauch in kWh pro Tag und pro Person: Der Durchschnitt für jeden Erdenbürger liegt, so die Rechnung, also derzeit bei etwa 187 Billionen kWh/365/7,9 Milliarden Menschen = 64 kWh. Allerdings variieren die Unterschiede zwischen den Ländern im Bereich von etwa 1:1000, und das zieht bezüglich BIP pro Kopf pro Jahr einen Schwankungsbereich von 1:160 nach sich. In den USA beträgt der Konsum, wie die Grafik zeigt, 245 kWh pro Person und Tag, in Deutschland 130 kWh, in der Schweiz 111 kWh, in China dagegen nur 85 kWh, in Indien 19 kWh und in Afghanistan 2,6 kWh.

Und was die grafische Darstellung klar illustriert: Eine Verringerung der Verfügbarkeit von Energie (oder eine nennenswerte Verteuerung und damit verbundene Reduktion der Verwendung) ist für ein Industrieland mit höchster Wahrscheinlichkeit der Weg in die Zweite oder Dritte Welt. Denn die Verbesserung der Energieeffizienz hat physikalische Grenzen. Die Illusionen, man könne das Problem durch etwas Stromsparen oder durch Einschränkungen beim Duschen beschränken, sind grotesk.

Die Grafik spricht eine deutliche Sprache. Würde die USA ihren Energieverbrauch von derzeit 109 EJ pro Jahr auf 50 Prozent senken, wäre man bezüglich Lebensstandard immerhin noch etwa auf dem Niveau Japans. Würde Deutschland seinen jährlichen Energieverbrauch (etwa durch mangelnde Verfügbarkeit oder Bezahlbarkeit) von heute 13,5 EJ (2016) auf 50 Prozent senken, käme man auf das Niveau der Türkei. Wenn, wie von Rifkin propagiert, schlagartig alle fossilen Brennstoffe und Kernenergie ersatzlos wegfallen würden, wenn nur die derzeit verfügbare erneuerbare Energie verwendet würde (und das unter der idealisierenden Annahme, dass sie ständig zur Verfügung steht), dann wäre man bei 14 Prozent · 130 kWh = 18,2 kWh, und Deutschland hätte einen Lebensstandard unter dem Niveau Indiens (BIP pro Kopf: 6100 US-Dollar), nahe dem von Honduras.

Gewiss, die Unterscheidung zwischen sogenannter Erster, Zweiter und Dritter Welt mag problematisch sein, aber sie macht deutlich, dass ein grosser Teil der Menschheit, nämlich 6,5 Milliarden Menschen, weniger als 100 kWh pro Tag zur Verfügung haben. Diese Population misst das 20-Fache der US-Bevölkerung oder das 80-Fache der Einwohner Deutschlands. Der tägliche Energieverbrauch dieser Gruppe liegt bei durchschnittlich 40,1 kWh. Alles in allem verbrauchen diese 6,5 Milliarden Menschen der Zweiten und Dritten Welt heute aber doch bereits 343 EJ, also den 3,1-fachen Energieverbrauch der USA oder den 25-fachen von Deutschland.

Ganz brisant: Wollte man bei konstanter Weltpopulation erreichen, dass besagten 6,5 Milliarden Menschen im Durchschnitt wenigstens 100 kWh pro Tag zur Verfügung stehen, was etwa dem Lebensstandard des Westens in den 1980er Jahren entspräche, müsste man die heutige globale Energieproduktion um weitere 511 EJ steigern – also auf das 5-Fache des US-Verbrauchs oder das 38-Fache des deutschen Konsums.

Das bedeutet gewaltige Herausforderungen. Auch wenn klimatische Veränderungen unvorhersehbare und zerstörerische Konsequenzen haben können – muss man im Lichte dieser Zahlen sagen, dass die Welt beziehungsweise die Menschen, die auf ihr leben, vorrangig nicht ein «Klimaproblem» haben. Nein, die Menschheit hat primär ein Energieversorgungsproblem. Denn solange man billige, nahezu unerschöpfliche und umweltfreundliche Energie verfügbar hat, kann man fast in jedem Klima gut überleben – von Sibirien oder Alaska bis Saudi-Arabien oder Südkalifornien. Man kann heizen, kühlen, Meerwasser entsalzen und energieintensive Industrien betreiben.

Unrealistische Erwartungen

Und wenn man die Gesamtenergie zudem CO2-frei erzeugen wollte, müsste man viel mehr (wenn nicht alle) Energie als elektrische Energie produzieren. Dies würde noch mehr als eine Verfünffachung im Vergleich zur derzeitigen Produktion von Elektrizität bedeuten.

Eine Verringerung der Verfügbarkeit von Energie ist der Weg in die Dritte Welt.

Die damit verbundenen Probleme sind mindestens zweifacher Natur: grosser Flächenbedarf und bisher mangelnde Speicher für elektrische Energie im industriellen Massstab. Und sofern man sich auf Wind, Sonne, und Wasser beschränkt (also auf Nuklearenergie verzichtet), ist der Flächenbedarf erst recht überwältigend.

Gewiss, Innovationen können immer wieder neue Möglichkeiten eröffnen. Man sollte denn auch alles Erdenkliche tun, um die energetische Effizienz von Prozessen, Anlagen und Technologien weiter zu verbessern. Aber es ist physikalisch unmöglich, Verbesserungen um Grössenordnungen zu erwarten, also um ein Zehn- oder Hundertfaches. In mitteleuropäischen Industrienationen sind vielleicht noch Verbesserungen im Bereich von 10 bis 15 Prozent möglich.

So wird der Energieverbrauch zahlreicher metallurgischer und chemischer Prozesse, etwa bei der Herstellung von Aluminium, Ammoniak, Zement usw., primär von unabänderlichen und unumgehbaren physikalischen und chemischen Konstanten bestimmt. Das heisst, ein bestimmter Mindestwert an Energiezufuhr kann bei aller technischen Prozessoptimierung prinzipiell nicht unterschritten werden.

Der Bau und Betrieb von Gebäuden ist global mit etwa 40 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs grundsätzlich ein wichtiger Ansatzpunkt für Energieeinsparung. Allerdings sind in Mitteleuropa, im Unterschied zu den USA, die meisten Häuser bereits gut thermisch isoliert. Weitere Einsparungen sind eher durch thermisch besseres Design von Gebäuden möglich. Aber da darf man keine Wunder erwarten.

Auch im Langstreckenverkehr von Autos und Lastwagen gibt es fundamentale Grenzen. Während der nur Sekunden dauernden Beschleunigungsphase wird die im Fahrzeug mitgeführte chemische oder elektrische Energie in kinetische Bewegungsenergie des Fahrzeuges umgewandelt (die Elektrofahrzeuge zurückgewinnen können). Beim anschliessenden stundenlangen Fahren mit konstanter Geschwindigkeit wird zum überwiegenden Teil Energie verwendet, um Luftreibung der Karosserie gegenüber der Atmosphäre zu überwinden und zu einem geringeren Teil der Rollreibung der Räder. Dabei ist es völlig irrelevant, ob das Fahrzeug durch einen Verbrennungsmotor oder einen Elektromotor angetrieben wird.

Viele moderne PKW sind bereits aerodynamisch weitgehend optimiert mit Luftwiderstandswerten (cw) im Bereich von 0,2 bis 0,3. Kleiner heisst besser, spätestens bei 0,15 dürfte aber Schluss sein. Eine weitere Verbesserung und damit Verringerung des Energieverbrauches ist da bei Fahrzeugen praktisch nicht mehr zu erwarten. Dagegen kann ein in 11 km Höhe fliegendes Flugzeug den dort auf etwa 22 Prozent reduzierten Luftdruck und damit auch einen bei gegebener Geschwindigkeit auf 22 Prozent reduzierten Strömungswiderstand (und damit Leistungs- und Energiebedarf) nutzen. In Verbindung mit modernen Düsentriebwerken bleibt Fliegen in Bezug auf Energie pro Person pro Entfernung pro Zeit eine effiziente Reisemethode.

Daher rührt die gutgemeinte, aber – bei allem Respekt für Elon Musk – leider fehlgeleitete Idee mit dem von vielen Medien so geliebten Hyperloop-in-Vakuum-Transportsystem. Warum? Man würde natürlich den Luftreibungswiderstand der Transportkapsel eliminieren, aber hier vergessen (fast) alle zu fragen: zu welchem Preis? Wie viel Energie (und Kosten) braucht man zur Erzeugung und Aufrecherhaltung des Vakuums?

Schliesslich gelangt man zur grundsätzlichen Frage: Was ist eigentlich das Optimierungsziel der «Klimaretter»? Befürworter von rigoroser «Klimapolitik» – also schnellster, kompletter Ausstieg aus fossilen und nuklearen Energiequellen – sollten bitte einmal öffentlich sagen, was sie überhaupt erreichen wollen. Warum will man denn eigentlich das «Klima retten»?

Um menschliches Leiden zu minimieren? (Aber woran leiden Menschen auf der Welt?) Um die menschliche Lebenserwartung zu erhöhen? (Wobei man dann mehr Menschen hat, die Energie brauchen . . .) Um die Anzahl Menschen auf der Erde zu erhöhen oder zu verringern? Um landwirtschaftliche oder industrielle Produktion zu sichern oder zu erhöhen? Um die Kosten landwirtschaftlicher oder industrieller Produktion zu senken oder zu erhöhen? Um Energieverbrauch und Lebensstandard der Ersten Welt zu erhöhen oder zu verringern?

Umverteilungskämpfe im Zentrum

Dies ist vielleicht das Kernproblem der gesamten Klimarettungsdebatte: Was ist eigentlich das Optimierungsziel? Die nächste Frage muss dann lauten: Welche gravierenden Nebenwirkungen, die diese Punkte betreffen, wird es geben, und kann man diese in Kauf nehmen? Sind der Bevölkerung die Implikationen dieses potenziell problematischen Handels klar, und wurde dies von den Medien verständlich vermittelt?

Oft steht indessen der Kampf um Umverteilung im Zentrum. Bei der im November 2022 in Ägypten abgehaltenen UN Climate Change Conference COP 27 wurde in einer weiteren Runde um den modernen CO2-Ablasshandel gefeilscht, die Idee eines «loss and damage fund», also eines internationalen Schadenersatzfonds, wurde weiter diskutiert.

Am Ende war man sich erwartungsgemäss einig, dass man sich nicht einig war, und die offiziellen Stellungnahmen waren schwammig: Man propagiert weltweite CO2-Neutralität als Ziel für 2050 und suggeriert gewaltige Gewinne daraus: Investitionen von 1,8 Billionen US-Dollar zwischen 2020 und 2030 könnten, so die Darstellung, ein Plus von 7,1 Billionen erbringen. Dabei sind allerdings nirgends Analysen zur physikalisch-technischen Machbarkeit, geschweige denn zu Nebenwirkungen zu finden.

Länder der Zweiten und Dritten Welt versuchen verständlicherweise, beim Energieverbrauch so nah wie möglich zur Ersten Welt aufzuschliessen. Aus obengenannten Gründen ist dies innerhalb weniger Jahre mit sogenannten erneuerbaren Energien jedoch technisch nicht realisierbar. Das Aufholen wird wahrscheinlich über fossile Energie stattfinden. Besser wäre natürlich, von der Ersten Welt preiswert zur Verfügung gestellte Kernenergie und Technologie.

Was soll dann aber die Umverteilung von «Klimageld» («loss and damage fund») an die Zweite oder Dritte Welt erreichen? Soll es eine Strafe («punitive damages») für die Erste Welt sein? Soll dies die industrielle Entwicklung der Ersten Welt umkehren und damit den dortigen Energieverbrauch senken? Soll es die industrielle Entwicklung in der Zweiten und Dritten Welt stimulieren, die indessen fast zwangsläufig zur Erhöhung der Nutzung von fossilen Brennstoffen führen wird?

Eine bessere Verwendung des Geldes bestünde vermutlich darin, dieses in die Entwicklung von neuartigen Technologien zur Erzeugung, Speicherung und effizienten Verwendung von Energie einzusetzen.

Dies setzt jedoch freie Wissenschaften auf Spitzenniveau wie auch funktionierende Hightech-orientierte Gesellschaften voraus, die den Nährboden und hilfreiche Randbedingungen für solche Entwicklungen bieten.Es darf ernsthaft bezweifelt werden, dass entsprechende wissenschaftlich-technische Entwicklungen – neue Kernreaktoren, Nanomaterialien, Speichertechnologie, Solarthermie usw. – in der Zweiten oder Dritten Welt durchgeführt werden, nur weil ein paar Milliarden Dollar aus dem Norden regelmässig überwiesen werden.

Eines ist aber ziemlich sicher: Wie schon oft in der Geschichte von Technik und Wissenschaften werden Antworten und Lösungen dieser globalen sozialen Probleme bezüglich Energie durch Erfindungen im Bereich Physik, (Bio-)Chemie und Ingenieurwissenschaften kommen, unterstützt durch intelligente, weitsichtige Investoren – und nicht aus Klima-Instituten oder Parteizentralen. Wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Fortschritt setzt notwendigerweise, den freien Austausch von Fakten, Daten, Ideen, Meinungen und Interpretationen voraus. Niemand kann für sich in Anspruch nehmen, per Definition oder durch Geburt oder Parteizugehörigkeit die Wahrheit und den richtigen Weg zu kennen.

Wohlstand und Entwicklung – eine Frage der Energie

Die Grafik zeigt die Länder der Welt in einer speziellen Geografie: Links und unten heisst niedriger Energieverbrauch und geringes BIP pro Person. Rechts und oben heisst hoher Energiekonsum und hohes BIP pro Kopf. Zwischen den zwei Kenngrössen gibt es einen Zusammenhang. Die gut 190 Punkte hier zeigen: Energieverbrauch und Wohlstand gehen offensichtlich Hand in Hand.

Dr. Andreas Hieke, Physiker, ist Gründer und Inhaber von Themis Scientific, LLC. Er ist u. a. Erfinder und Inhaber von elf Patenten im Bereich energieeffizientes solarthermisches Management von Gebäuden und notwendiger Nanomaterialien. andreas.hieke@stanford.edu