Zwei Filme geben zu reden. Beide beschäftigen sich mit dem Bösen. «Macbeth», die berühmte Tragödie von William Shakespeare, neu verfilmt mit Staraufgebot von US-Regisseur Joel Coen, beschreibt, wie die Hauptfigur, ein mittelalterlicher schottischer Adliger, der wirklich gelebt hat, an sich kein schlechter Mensch, vom Bösen verführt, übermannt und schliesslich zerstört wird.

Der andere Film ist die beängstigend präzise Inszenierung der Wannseekonferenz, auf der Grundlage der Originalprotokolle, jener monströsen Sitzung in einer herrschaftlichen Berliner Villa vor achtzig Jahren, als führende Funktionäre des nationalsozialistischen Deutschlands ganz bürokratisch, fast alltäglich die Ermordung von elf Millionen Juden in Europa planten.

Beide Filme ergründen das gleiche Rätsel, von unterschiedlichen Seiten. Wie ist das Böse möglich? Wie kommt es über die Menschen? Und was können wir heute daraus lernen? «Macbeth» geht die Frage von innen, gleichsam seelisch an. Der Titelheld ist sich des Bösen bewusst. Er mordet, um an die Macht zu kommen. Dauernd mit sich selber ringend, endet Macbeth in Wahnsinn und Tod.

Eine beunruhigendere Seite des Bösen beschreibt «Die Wannseekonferenz» von Matti Geschonneck. Die in gepflegter Ambiance einen noch nie dagewesenen Massenmord beratenden Deutschen, kultiviert, viele promovierte Akademiker, halten sich nicht für die Bösen. Im Gegenteil. Sie scheinen überzeugt, mit ihrem Verbrechen der Menschheit einen Dienst zu erweisen.

«Was wir auf uns nehmen», sagt zu Beginn der Sitzungsleiter Reinhard Heydrich, «wird für die kommenden Generationen ein Glück sein.» Anders als Macbeth hadern die Massenmörder des 20. Jahrhunderts nicht mit sich und ihren Plänen. Heydrich, ein begabter Geiger, steht für den Typus des Killers, der seine Untat im Licht einer übergeordneten Ideologie als moralische Heldentat empfindet.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat den Vorgang in seiner Studie «Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft» erforscht. Gegen die Tendenz, die Nazi-Massenmörder als geisteskranke Verbrecher oder dämonische Erscheinungen abzustempeln, was sie auf komfortable Distanz zu uns gewöhnlichen Menschen rückt, öffnet Lübbe den Blick auf eine weit grusligere Wirklichkeit.

Gerade nicht eine Veranlagung krankhafter Bösartigkeit, ihre angeblich teuflische Natur befähigte die Teilnehmer der Wannseekonferenz zu ihren Gräueltaten. Es ist vielmehr ihr absolutes ideologisches Überzeugtsein, der fast schon religiöse Glaube an die Richtigkeit und moralische Wünschbarkeit ihrer Ziele und Absichten, der diese kultivierten Deutschen zu lebenden Monstern machte.

Es gibt das pure, destruktive Böse, die dunkle Seite. Shakespeare war auch dafür ein Spezialist. Sein faszinierendster, finsterster Bösewicht ist Jago im Drama «Othello». Intrigenreich stürzt er alle Menschen um sich herum ins Unheil, ohne ersichtliches Motiv, ohne persönlichen Nutzen, ausser dem Vergnügen an der von ihm selber so virtuos orchestrierten Zerstörung.

Macbeth ist anders. Er beginnt als ruhmreicher Heerführer, wird von seinem König, der ihn liebt, mit Ehren und Titeln überhäuft. Trotzdem sinnt er, gegen seine Natur, auf Mord, um sich an Stelle seines Förderers auf dessen Thron zu setzen. Lady Macbeth treibt ihren Gatten kaltblütig an, doch nicht die Frau ist schuld. Der von der Macht bereits Verführte erliegt aus eigener Schwäche seinen Dämonen.

«Macbeth» handelt davon, wie Menschen, die von Natur aus nicht böse sind, vom Bösen überwältigt werden. Die Botschaft des Stücks ist alles andere als tröstlich, auch wenn am Schluss die Guten gewinnen. Wenn es einen Macbeth erwischt, dann kann es alle treffen. Soll sich niemand etwas einbilden. Unser Immunsystem ist schwach. Jeder Mensch bleibt verführbar, korrumpierbar.

Macbeth allerdings weiss, was er tut, und er ahnt, dass es schlimm ausgehen wird für ihn. Sein schlechtes Gewissen kann er nicht betäuben. Die Teilnehmer der Wannseekonferenz haben kein schlechtes Gewissen. Sie sind sich ihrer Sache sicher, so sicher, dass sie das Böse, das sie ins Werk setzen, für das Gute halten. Wer wie Heydrich glaubt, das Glück künftiger Generationen zu bewirken, fühlt sich zu allem ermächtigt, was seinen Zielen dient.

Das Böse kann, mit Macbeth, der klare, das Gewissen peinigende Bruch mit der hergebrachten moralischen Ordnung sein. Das Böse kann aber auch, noch gefährlicher, unheimlicher, das überschiessende, angebliche Gute sein, Giftfrucht der Ideologie, die den Menschen verblendet, sein Gewissen narkotisiert, ja abtötet, wie es «Die Wannseekonferenz» so eindringlich vorführt.

Beide Filme sind, grundverschieden, auf ihre Weise grossartig. Ihre Wirkung besteht auch darin, dass sie ein Gefühl der Beklemmung hinterlassen. Sie bieten keinen Zuspruch, keine moralische Bestätigung. Man lernt allerdings den Menschen und damit sich selber besser kennen, die Abgründe unserer Natur, die oft das Gute will und doch immer wieder das Böse schafft. R. K.