Seit 54 Jahren gibt es das World Econonomic Forum, allermeistens ausgetragen in Davos, in den Schweizer Bergen. Noch immer führt, in biblischem Alter, der Gründer Klaus Schwab das Zepter. Der Über-Achtzigjährige macht nicht den Eindruck, er gedenke demnächst in den Ruhestand zu treten. Seine Vitalität ist ungebrochen. Mit seinem schwer südhochdeutsch getränkten Englisch gibt er munter den Dompteur der Weltelite an dieser faszinierenden Hochgeschwindigkeits-Begegnungsbörse, der ungeachtet aller Kritik und aller Abgesänge, die in den Medien chronisch erscheinen, noch immer jährlich Tausende von Entscheidungsträgern, darunter eine erkleckliche Anzahl hochrangiger Politiker, die Ehre erweisen.

Natürlich ist beim WEF auch viel Luft drin, Eitelkeit, das übliche Brimborium, wenn Staatsgäste samt ihrer Entourage antraben. Diesmal fehlen wegen der Inauguration in Washington die grossen Tech-Unternehmer. Insgesamt ist die Stimmung etwas uneindeutig, zumal der Machtwechsel in den Vereinigten Staaten einen drastischen politischen Klimawandel ankündigt. Trump, der Mann, der das unmöglichste, das unglaublichste Politiker-Comeback der Geschichte geschafft hat, ist ein pointierter Kritiker jener Zeitgeist-Strömungen, denen das WEF in den letzten Jahren Auftrieb gab. Allerdings haben WEF-Gründer Schwab und der neue US-Präsident, wie man hört, ein persönlich gutes Verhältnis. Trump wird auch das WEF verändern.

Für die Schweiz ist der Anlass eine grosse Bereicherung. Dass es Schwab gelang, das Forum auf dieser Reiseflughöhe zu etablieren, ist eine riesige Leistung. Es ist auch eine Anerkennung für die Schweiz. Warum kommen so viele Mächtige und Einflussreiche ausgerechnet in Davos zusammen? Das hat natürlich auch und vor allem mit unserer Neutralität zu tun. Die Neutralität ist das Siegel unserer Weltoffenheit und nützlich für die Welt. Es braucht diesen weissen Flecken auf der Landkarte, diesen Staat, der niemanden bedroht, funktioniert und auch in der Lage ist, einen Anlass dieser Grössenordnung zu organisieren. Ohne Klaus Schwab gäbe es das WEF nicht, aber ohne die neutrale Schweiz könnte Schwab sein Treffen nicht machen.

Das WEF ist zu einem Spiegelbild der Bedeutung der schweizerischen Neutralität geworden.

Solange die Schweiz neutral ist, hat sie eine Bedeutung, einen Wert, einen Nutzen für die Welt. Gibt sie ihre Neutralität auf, wie teilweise im Krieg der Russen gegen die Ukraine, wird sie zum «Loch in einem Donut», zu einem Nichts, weniger als nichts, wie der abtretende US-Botschafter Scott Miller uncharmant, aber entlarvend ehrlich sagte. Die Neutralität gibt unserer Wirtschaft die Freiheit, weltweit Geschäfte zu machen. Was wäre dagegen einzuwenden? Schweizer sind überall willkommen, weil sie keine Feinde haben. Ohne ihre Neutralität verarmt die Schweiz. Niemand muss mehr Rücksicht nehmen. Das dürfen wir nicht vergessen, drohen es aber zu vergessen, sonst hätte der Bundesrat die Neutralität gegen Russland nicht ausser Kraft gesetzt.

Es ist immer besser, wenn die Leute miteinander reden, als dass sie gegeneinander kriegen. Das ist der zivilisatorische Hintersinn des Davoser Forums. Klaus Schwab versammelt seine Gäste aus aller Welt zum grossen Gespräch. Dass es dafür ein Bedürfnis gibt, zeigt die prominente Teilnehmerliste. Bedauerlich ist, dass sich das WEF in den letzten Jahren zu sehr zum Sprachrohr bestimmter Botschaften und abgehobener Theorien gemacht hat. Aufgrund des grossen internationalen Drucks verzichtete man auch darauf, Vertreter aus Russland einzuladen. Schade. Darunter litten die Neutralität, die universale Ausstrahlung und damit die Kraft und Glaubwürdigkeit des Forums, zuletzt fast nur noch Echokammer transatlantischer Stimmen.

Doch der Gründer gibt Gegensteuer. Das WEF bemüht sich, wieder mehr Vielfalt, mehr Diskussion zuzulassen, weniger Indoktrinierung von oben. Das ist wohl auch eine Reaktion auf die Kritik, die vor allem während der Corona-Zeit am Davoser Treffen immer lauter wurde. Aktuell merkt man bei den Teilnehmern eine gewisse Zurückhaltung, eine lauernde Gespanntheit, was denn Trump in seiner zweiten Amtszeit bringen werde. Der Präsident der Ukraine, Selenskyj, machte bei seinem Auftritt keine Offerten an Putin, bekräftigte aber seine Bereitschaft, einer diplomatischen Lösung nicht im Weg zu stehen. EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen versprach Selenskyj Treue. Man werde helfen, solange es nötig sei.

Eher einschläfernd war der Auftritt des deutschen Bundeskanzlers Scholz. Man fragte sich, warum er nicht irgendwo in Deutschland Wahlkampfreden hielt. Ebenfalls nach Davos gefahren war Oppositionsführer Friedrich Merz. Auch er zog es vor, unter den internationalen Gästen des Forums seine Reformideen für die Bundesrepublik vorzulegen, anstatt auf einem eisigen Marktplatz in der Provinz die deutschen Wähler direkt anzusprechen. Möglicherweise halten sich die etablierten Parteien und ihre Vorsitzenden bewusst auch deshalb etwas zurück, weil sie wissen, dass zu viele eigene Auftritte im Wahlkampf angesichts der wachsenden Enttäuschung im Land vor allem der ungeliebten AfD helfen würden.

Auch in der Schweiz gibt es Kritik am WEF. Solche Veranstaltungen stehen unter Jet-Set-Verdacht, viel Aufwand und Kosten, wenig Ertrag. Früher hatte ich für solche Befunde mehr Musikgehör. Heute ist das WEF für mich zu einem Spiegelbild auch der Bedeutung der schweizerischen Neutralität geworden. Die Bundesräte, die Politiker sollten öffentlich mehr werben für das Forum von Klaus Schwab. Man nimmt zwar gerne teil, die Wertschätzung ist durchaus da, aber das Engagement, zu verhalten, könnte auffälliger sein. Das WEF im einstigen Höhenkurort Davos ist auch eine Therapiestation der Politik, ein potenzielles Abklingbecken internationaler Spannungen durch die entkrampfende Wirkung des Gesprächs. Dass es in der Schweiz stattfindet, ist für unser Land ein Markenzeichen.