Sind Sie ein Mann auf Partnersuche? Dann würde ich mir das Kennenlernen von Damen im Internet nochmals gut überlegen. «Are we dating the same guy?» heisst eine weltweite, von Frauen erstellte Facebook-Gruppe, gegründet 2020 in New York. Darin posten die Mitglieder Screenshots von männlichen Profilen aus Dating-Plattformen und tauschen sich über die Herren aus. Kennt ihn jemand? Wie ehrlich ist der Typ? Was sind eure Erfahrungen? Die Schweizer Gruppe hat über 2000 Mitglieder. Laut der Recherche von 20 Minuten geben die Mitglieder nebst Namen und Foto auch persönliche Angaben preis, Arbeitgeber, Gesundheitsinformationen, Wohnort. Eine Userin warnt etwa: «Achtung vor diesem Typen. Er will nicht ‹eines Tages ein Kind›, er hat schon eins.» Eine andere schreibt: «Er sagte mir, er habe eine Vasektomie gehabt.» Oder: «Lustiger Typ, aber er nimmt Drogen.» Andere berichten von sexuellen Tätigkeiten ihrer Bekanntschaften.

Die privaten Gruppen bezeichnen sich als safe spaces für Frauen, gegründet, «um andere Frauen zu schützen und zu stärken», um vor Männern zu warnen, «die möglicherweise Lügner, Betrüger oder Misshandler sind» oder irgendein ein toxisches Verhalten zeigen. In der Beschreibung der Disclaimer: «Diese Gruppe ist keine Anti-Männer- oder Männerhasser-Gruppe.» Die Betroffenen bekommen oft gar nicht mit, dass sie Gegenstand solcher Lästergruppen sind – und können sich nicht verteidigen. Ein Mann erzählt, er habe plötzlich von Kolleginnen gehört, er sei ein «creep» und habe sich unangemessen verhalten. Es habe sich aber anders zugetragen, als die Frau es in der Gruppe geschildert habe.

Das Problem beginnt dort, wo man hinterrücks (und leichtfertig) Privates über andere öffentlich macht. Egal, ob Beobachtungen oder Anschuldigungen: Sie basieren oft auf subjektiven Empfindungen, und die Behauptungen sind nicht verifizierbar. Es gibt aber – wer hätte es gedacht! – Missverständnisse unter den homines sapientes, auch kann die Wahrnehmung einer Situation unterschiedlich sein; harmlose Begebenheiten, vorgeführt werden die Betroffenen trotzdem. Und was, wenn sich der Arbeitgeber eines durchleuchteten Individuums in der Gruppe aufhält, und jemand informiert über dessen Drogenkonsum? Das Posten persönlicher Informationen ohne Einwilligung, etwa zur Gesundheit, kann strafbar sein.

Die nackte Wahrheit: Auf solchen Plattformen wird gelogen und betrogen – geschlechtsunabhängig.

Vielleicht hält sich aber auch eine Spielverderberin in der Gruppe auf, die über jeden etwas Negatives zu berichten hat. Es ist unmöglich, die Absichten von 2000 meist anonymen Mitgliedern zu durchschauen; man weiss doch gar nicht, wem man vertrauen kann. Und ja, eine Internetbekanntschaft kann sich als unehrlich erweisen; gerade fand eine Studie heraus, dass zwei Drittel der User auf Tinder schon in einer Beziehung sind. Die nackte Wahrheit: Auf solchen Dating-Plattformen wird gelogen und betrogen – geschlechtsunabhängig.

Während man sich früher im Freundinnenkreis über eine neue Bekanntschaft austauschte, teilt man sich heute in der trüben Anonymität des Internets mit. Ich verstehe jede Frau, die Angst vor Enttäuschung hat oder Angst vor gefährlichen Männern. Ich verstehe das Bedürfnis nach Schutz oder dass man andere vor Widerlingen warnen will. Natürlich sind auch creeps auf diesen Plattformen unterwegs.

Wenn aber Männer beim Daten die Enthüllung ihrer privaten Daten fürchten müssen, weil sich Frauen unter Einsatz von grenzwertigen Mitteln eine 100-Prozent-Garantie gegen schlechtes Verhalten erhoffen, läuft im modernen Dating etwas schief. Vielleicht sollten wir wieder zum guten alten Kennenlernen zurückkehren, als wir in Sportklubs, Bars, bei der Arbeit oder beim Dinner unter Freunden nach dem Richtigen Ausschau hielten.

Wenn man sich anderen gegenüber so verhält, muss man es ja auch umgekehrt gutheissen; wenn also Männergruppen mit Tausenden anonymen Mitgliedern im Internet sensible Angaben von einem selbst teilen würden. Ich liege wohl nicht komplett daneben, wenn ich behaupte, jede Frau fände das grauenhaft.

Diese Gruppen rechtfertigen ihre Aktionen mit dem Anspruch eines höheren Ziels, dem Schutz der Frauen. Das ist ein gutes Ziel. Der Zweck heiligt aber nicht alle Mittel. Auf die Rechte des Individuums zu pfeifen zur Absicherung der Gruppe, die möglicherweise gar keine ist – hilfreich scheint mir diese Taktik nicht.