Die russischen Medien schäumen, Putin droht in finsteren Tönen, auch die Weltwoche schlug Alarm, zu Recht, als US-Präsident Joe Biden noch kurz vor seinem Abgang dem in den Seilen hängenden Regime des nothalber ohne Wahl sich an die Präsidentschaft klammernden Staatschefs Selenskyj Waffen des Typs Atacms für den Angriff auf russisches Gelände zur Verfügung stellte. Riskiert der greise Amtsinhaber in einem Anfall von geistiger Umnachtung noch mal schnell den Weltenbrand?

Diese Befürchtung hat viel für sich. Aber vielleicht ist eine andere Deutung auch erlaubt. Was, wenn sich Biden und Trump in einer Art «Geheimplan» abgesprochen haben? Was, wenn sich der von der eigenen Partei abgesägte Präsident an den Demokraten rächt, trojanisches Pferd gewissermassen, freiwilliges Werkzeug seines Nachfolgers? Was, wenn alles nur Theater ist? Biden markiert den «Bad Cop», damit «Good Cop» Trump den Krieg beendet und die USA doch stark dastehen.

Zugegeben, das klingt nach Hollywood. Mein Szenario hat den Hauch einer etwas steilen Verschwörungstheorie. Wunschdenken schwingt mit, doch von der Hand zu weisen ist es nicht. Es gibt Indizien. Beginnen wir am Anfang: Die Demokraten setzten Biden gegen dessen Willen ab. Möchtegern-Nachfolgerin Kamala Harris fiel ihrem Ex-Chef in den Rücken. Der rächte sich bereits, als er Trumps Wähler darauf als «Müll» bezeichnete und damit natürlich vor allem dem Harris-Lager schadete.

Erinnern wir uns sodann an die Bilder trauter Herzlichkeit, als Biden und Trump nach der Wahl im Weissen Haus zusammensassen, ein Herz und eine Seele. Von Erbitterung fand sich keine Spur, und die beiden Grossväter plauderten dermassen einvernehmlich, dass man sich gut vorstellen kann, wie Trump dem maikäferhaft strahlenden Biden soeben versprochen haben könnte, auf jegliche Strafverfolgung zu verzichten in der Aktensache Korruption, Familie Biden, Ukraine, China. Alles nur Fantasie? Ein Weihnachtsmärchen?

Zuzutrauen wäre es den beiden abgefeimten, mit allen Wassern gewaschenen Polit-Schlitzohren durchaus. Bidens Entfremdung von den Demokraten ist gross. Mit der Partei verbindet ihn nichts mehr. Und die Machenschaften des Biden-Clans sind durchaus himmelschreiend. Musste der abtretende Präsident nicht fast zwangsläufig mit Gefängnis rechnen? Hatte er nicht allen Grund, mit dem Neuen im Weissen Haus einen «Deal» zu schliessen? Seltsam, aber so könnte es gewesen sein.

Biden also sichert sich einen ungestörten Ruhestand. Was aber ist das Motiv von Trump? Vielleicht dies: Wenn Biden jetzt mit seiner Lizenz zum freien Raketeneinsatz gegenüber den Russen den Bösewicht, den «Mad Man» markiert, gibt er seinem Nachfolger mehr Spielraum für Verhandlungen. Trump kann die Feindseligkeiten herunterfahren, zuerst den Raketeneinsatz stoppen, dann den Frieden aufgleisen. Er hat jetzt mehr Poker-Chips am Tisch der Diplomatie.

Zum anderen: Mit seiner kontrollierten Eskalation rückt Biden sein Image und das der USA zurecht. Nach dem jammervollen, fluchtartigen Abrücken aus Afghanistan stand die Supermacht mit abgesägten Hosen da. Jetzt liess Biden nochmals die Muskeln spielen, die Krallen des amerikanischen Adlers ausfahren, Feldzeichen auch der Legionen Roms. Gegenüber dem Bündnispartner in der Ukraine steht man gut da, aber im Grunde ist alles Theater, denn Putin wird den grossen Schlag nicht wagen.

Und wenn doch? Seine jüngste Rede fühlte sich an wie eine allerletzte Warnung. So hat man den Chef einer Atommacht noch nie reden hören. Jeder Angriff werde spiegelbildlich gekontert. Die unzerstörbare Superwaffe stehe bereit. Man sah die Projektile schon einschlagen in den Hauptstädten Europas. Würde Putin dies tatsächlich tun, wäre er der Schurke, den viele in ihm sehen. Denn: Nicht die trommelnden, schwachen Europäer sind es, seine wahren Gegner sitzen in den USA.

Stolpern wir in einen dritten Weltkrieg? Oder beginnt bereits das Endspiel nach einem Drehbuch, das die Mächtigen unter sich abgesprochen haben? Die gute Nachricht lautet: Keiner hat wirklich Interesse an einer Fortsetzung des Kriegs. Die Ukraine will, dass er aufhört. Die Amerikaner profitieren heftig, haben inzwischen aber realisiert, dass es eine strategische Dummheit ist, die russischen Rohstofflager mit dem Know-how der Chinesen zu vereinen. Europa schlingert, liegt darnieder, braucht das Russengas.

Und auch Russland sucht den Exit. Bei Neonlicht betrachtet, und gegen die Darstellungen in unseren Medien, hat Putin die meisten seiner Ziele erreicht. Seine Macht im Innern ist gefestigt. Seine Wirtschaft, erstaunlich stark, trotzt den westlichen Sanktionen. Den Amerikanern hat er die Zähne gezeigt, den Nato-Vormarsch in der Ukraine abgeblockt. Putin steht heute stärker da als vor dem Krieg, und Russland bleibt in Europa eine Macht. Man wird sich, trotz den Toten, wieder arrangieren müssen.

Wem das alles zu kalt und zu zynisch klingt: Ich empfinde es genauso, aber Geopolitik ist nichts für schwache Nerven. Das muss auch die Schweiz erst wieder lernen. Leichtsinnig, kopflos, gefühlsverwirrt hat unser Bundesrat die Neutralität verspielt, nicht vollständig, aber weitgehend. Das ist ein Riesenschaden für unser Land, auch wirtschaftlich. Die Banken spüren es bereits. Araber und Chinesen wundern sich, manche ziehen Gelder ab. Man vertraut dem Schweizerkreuz nicht mehr.

Doch es geht um mehr als nur ums Geld. Es geht ans Lebendige. Manche sehen klarer, wenn sie in den Abgrund blicken. Neutralität oder Krieg: Das ist die Alternative für die Schweiz. Wir müssen uns entscheiden. Der Neutrale ist niemandes Feind. Das allein schützt ihn nicht, verringert aber das Risiko eines Angriffs. Ohne ihre Neutralität macht sich die Schweiz verwundbar und ist auch nichts mehr wert, weniger als nichts, «das Loch in einem Donut», wie US-Botschafter Scott Miller unfreiwillig ehrlich sagte.

Die Neutralität bringt Nutzen für die Welt. Damit schützt sie auch die Schweiz. Ist die Schweiz nicht mehr neutral, wird sie nutzlos, wertlos für die Grösseren und für Plünderer eine leichte Beute. Merken es die Schweizer? «Wo die Gefahr ist, wächst das Rettende auch» (Hölderlin). Zurück zur schweizerischen Neutralität!