Man könnte ja meinen, angesichts ihrer zahlreichen Erfolge – von Quoten, medialer Dauerpräsenz bis zur Feminisierung zeitgenössischer Männer – würden moderne Feministinnen ihren Hang zur Empfindlichkeit, für ein Weilchen wenigstens, ablegen. Dass dem nicht so ist, zeigt eine amüsante Episode unter zwei bekannten Kolumnisten. Der Drang, sich als unterschätztes Wesen zu sehen, nimmt sogar zu.

Die Sachlage: Die Feministin und Kolumnistin der Süddeutschen, Teresa Bücker, twitterte: «Ich wurde heute im Frühstücksraum des Hotels schon von einer Gruppe Männer für die Bedienung gehalten, weil es offenbar sehr schwer ist, die einzige Frau im Raum ebenfalls für einen Gast auf Geschäftsreise zu halten.» Subtext: Männer unterschätzen Frauen, anerkennen ihre Fähigkeiten nicht, können sich erfolgreiche Frauen nicht vorstellen, werten sie ab. Bumm! Ich lese ihre Blogs hie und da, und auch wenn ich ihre Meinung meist nicht teile, halte ich sie für eine grossartige Autorin. Respektvoll uneins sein – es ist tatsächlich möglich.

Warum fühlen sich moderne Frauen eigentlich so schnell abgewertet?

Unnötig zu erwähnen, dass die ganz grosse Mehrheit der männlichen Spezies Frauen und ihre professionellen Fähigkeiten weder unterschätzt noch ihnen den beruflichen Erfolg nicht zutraut. Eine unserer beiden Realitäten findet offenbar in einem Paralleluniversum statt, aber in meinem Leben bin ich vor allem Männern begegnet, die genau wissen, zu welch grossen Leistungen Frauen imstande sind. Vielleicht war sie in Schwarz gekleidet und wurde darum für eine Kellnerin gehalten? Ich wurde auch schon mit einer Boutiqueverkäuferin verwechselt, von Männern und Frauen. Nur wäre es mir nicht im Traum eingefallen, das als Herabsetzung meines Schaffens zu empfinden.

Auftritt Jan Fleischhauer, Focus-Kolumnist, der auf Bücker reagiert: «Eine Frau, die sich der Linken zurechnet und in der Szene für ihre sensiblen Texte gerühmt wird, findet es ehrenrührig, dass sie für eine Kellnerin, also Teil der working class gehalten wird. Mehr muss man zum Stand der sogenannten intersektionalen Linken nicht wissen.»

Warum fühlen sich moderne Frauen eigentlich so schnell abgewertet? Wieso ist die Gewohnheit, stets das möglichst Negative in etwas hineinzuinterpretieren, gerade unter erfolgreichen Feministinnen so weit verbreitet? Und warum ist es überhaupt abwertend? Ist Kolumnistin ein ehrbarerer Beruf als Kellnerin, dass man nicht mit ihr verwechselt werden möchte? Bestimmt nicht. Serviceangestellte oder Verkäufer sind Berufe, die zur Produktivität einer Gesellschaft einiges mehr beitragen als mein Job als Kolumnistin. Gäbe es keine Kolumnisten, wäre das kein Weltuntergang, ohne Verkäufer und Serviceangestellte wären wir alle ziemlich aufgeschmissen. So in etwa interpretiere ich Fleischhauers Punkt, wenn er von working class spricht – auch wenn Bücker ihren Kommentar nicht auf den Bedienungs-Job an sich bezog, sondern auf die Geringschätzung ihrer Befähigung durch die reaktionäre Männlichkeit. Sein Einwand ist trotzdem nachvollziehbar.

Ja, Frauen auf Geschäftsreisen waren in der Vergangenheit eine Seltenheit; die patriarchale Gesellschaft pflegte ein unverkrampftes Verhältnis zum Bevormunden des weiblichen Geschlechts, dessen Stärken man systematisch unterdrückte. Nur leben wir da heute nicht mehr. Es ist universell geläufig, dass Frauen die gleichen Berufe ausführen wie Männer – abgesehen von den shitty jobs, etwa in der Kanalreinigung, beim Bau oder Holzabbau. Steht eine Germanistin neben einem Wagen der Müllabfuhr, muss sie nicht befürchten, mit einer Müllfrau verwechselt zu werden. Auch sind tatsächlich vor allem Männer auf Dienstreisen, doppelt so viele wie Frauen (diese verzichten tendenziell eher auf Berufe, die ihnen Reisen oder Pendeln abverlangen). Die Wahrscheinlichkeit, dass also die einzige Frau im Hotelraum tatsächlich eine Kellnerin ist und keine Bloggerin auf Businessreise, ist nicht gering.

Mein Verständnis von Männern ist selbstverständlich nicht repräsentativ, genauso wenig wie das einer modernen Feministin. Um aber in der Kombination selbstbewusst («Ich bin emanzipiert und stehe Männern in nichts nach») und zartbesaitet («Ich fühle mich ständig herabgewürdigt») einen eklatanten Widerspruch zu erkennen, muss man nicht Einstein sein. Oder besser: nicht Marie Curie.