Schottland hat Denker und Macher hervorgebracht, deren Ausstrahlung nicht an der Grenze des kleinen Lands endet, sondern bis weit nach Europa und Amerika reicht (Beispiele findet man auch in dieser Zeitschrift). Das bekannteste Popkultur-Exportgut dürfte der Kilt sein. Der knielange Rock, getragen von Männern, geht auf den Little Quilt oder modernen Quilt zurück, der im 18. Jahrhundert entstand und im Wesentlichen die untere Hälfte des Grossen Quilts ist. Seit dem 19. Jahrhundert wird er mit der schottischen Kultur im Allgemeinen und mit dem gälischen oder keltischen Erbe im Besonderen in Verbindung gebracht.
So weit, so Wikipedia. Hat das traditionelle Stück aber auch Einfluss auf die zeitgemässe Herrenmode? Oder anders gefragt: Wie viel Kilt steckt in der Fashion von heute? Die einfache Antwort lautet, leicht enttäuschend, wenig. Doch bevor Sie weitergehen, verweilen Sie kurz auf dem Gebiet respektive blicken Sie tiefer, unter den Kilt sozusagen. Und, ja, eine Antwort auf die ewige Frage – was tragen Schotten unter dem Rock? – bekommen Sie auch.
In den 1990er Jahren, vor einer Ewigkeit im schnellen Geschäft mit der ständig wechselnden Mode also, zeigten Alexander McQueen, der verstorbene britische Designer mit schottischen Vorfahren, oder die ebenfalls nicht mehr unter uns weilende Engländerin Vivienne Westwood Kilt-ähnliche Modelle in ihren Kollektionen. Die Entwürfe waren allerdings für Frauen gedacht, und deshalb kürzer sowie knapper gehalten als die traditionell knielangen Männerstücke aus schwerem Stoff, hinten gefaltet, vorne übereinandergeschlagen getragen. Das Ergebnis darf als Achtungserfolg beschrieben werden; Must-haves, die gefragtesten Teile der Saison, wurden sie aber nicht.
Weiter brachten es die Karomuster der Kilts, die sogenannten Tartans; es gibt über fünfzig klassische Ausführungen, und sie verwiesen ursprünglich auf die Zugehörigkeit der Träger zu bestimmten Clans, doch der erwähnte McQueen beispielsweise entwickelte ein eigenes Schottenkaro für seine Kollektion. Auch andere Designer entwarfen respektive entwerfen aktuelle Kleidung sowie Accessoires im Tartan-Look, so etwa Christopher Bailey, als er Kreativdirektor von Burberry war, für die Heritage-Kollektion – die Stücke mit dem auffälligen Schottenmuster zählen zu den bestverkaufenden der englischen Marke.
So war’s die längste Zeit. Und bald könnte der gesellschaftliche Megatrend du jour dem Kilt Rückenwind verschaffen: Die Entwicklung zu gender fluidity, geschlechtliche Vielfalt, und non-binary Menschen, nichtbinäre Geschlechtsidentität, oder jedenfalls Mode für solche, hebt den Schottenrock in bisher ungekannte Höhen an, vielleicht. Die Avantgarde jedenfalls hat’s erkannt: Lil Nas X, ein homosexueller Rapper aus Amerika, setzte sich im Kilt auf den heissen Stuhl einer Late-Night-TV-Show. Virgil Abloh, der Männermodedesigner von Louis Vuitton, zeigte in einer seiner letzten Shows Röcke mit Karomuster (er starb Ende 2021). Alles old news für Kanye West, natürlich: Ye, wie er sich heute nennt, nicht bekannt als besonders woke, ging berockt an die Kunstmesse «Art Basel Miami Beach» – bereits 2012.
From the highlands to the runway: why the kilt is taking over fashion, vom Hochland auf den Laufsteg, weshalb der Schottenrock Mode ist, war vor zwei Jahren eine grosse Geschichte in Dazed, einem Trendmagazin. Warum? Kleider hätten kein Geschlecht bekanntlich, schreibt die Autorin. Und was für ein Kleidungsstück wäre folglich besser geeignet, die gesamte sich ebenfalls zunehmend geschlechtslos verstehende Modekundschaft zu bedienen, als der Kilt? Immerhin handelt es sich dabei im Grundsatz um einen Rock, ein Kleidungsstück also, das früher, als noch engstirnig-binär gedacht wurde, als weiblich galt, das in der Schottenversion aber betont männlich daherkommt – Ye sagte seinerzeit, als jemand über seinen Look witzelte, kaledonische Krieger hätten in solchen ihre Feinde totgeschlagen, «was gibt’s da zu lachen?».
Die Verantwortlichen von Modemarken jedenfalls teilen die Einschätzung der Vordenker, vielleicht weniger aus weltanschaulichen, mehr aus wirtschaftlichen Gründen: Neue Kleider für neue Kunden, der mögliche Markt ist gross und zahlungskräftig. Falls sich der Trend durchsetzt, hier haben Sie es ziemlich früh gelesen. Und falls nicht: Unter dem Rock tragen Schotten Unterhosen oder auch nicht. Warm genug sei der Wollstoff, so dass Geschlechtsteile auch bei tiefen Temperaturen nicht frieren müssen. Egal, ob männliche, weibliche oder was es sonst noch für welche gibt.
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