Ute Dahmen: Aenne Burda. Wunder sind machbar. Biografie. Petrarca-Verlag. 2009.

Sie war ehrgeizig und luxusorientiert, fast bieder praktisch und mondän, machtgetrieben und resolut. Vor allem aber war sie in jeder Beziehung unkonventionell – eine eigenwillige Selbstdenkerin. Dank diesen Eigenschaften katapultierte sich Aenne Burda mit Hilfe von Burda Moden ab Mitte des 20. Jahrhunderts für Jahrzehnte in die Position einer der einflussreichsten Frauen in Europa, die in den entbehrungsreichen Nachkriegsjahren und dem Mief der 1950er Jahre den Weg zu einer neuen weiblichen, emanzipierten Rolle zeigte.

Sie demokratisierte den Zugang zur Mode. Mit den Burda-Heften und den mitgelieferten Schnittmustern machte sie Träume von Mode und Luxus erschwinglich. Sie war es, die quasi im Alleingang die Frauen lehrte, wie sie die Merkmale bewunderter Idole am eigenen Körper mit Hilfe von Mode, Frisur, Kosmetik und Sport selber realisieren und damit die patriarchalische Rollendominanz unterlaufen konnten. Ihrer Zeit war sie in jeder Beziehung voraus: nicht nur als erfolgreiche Unternehmerin, sondern auch weil sie die Ich-Inflation und den Narzissmus vorausnahm, die inzwischen charakteristisch für die westliche Gesellschaft sind.

Spiel um gesellschaftliche Sichtbarkeit

Sie begriff schon damals, dass sich der Marktwert am schöngekleideten Körper entscheidet und dass Mode im Spiel um soziale Positionen und gesellschaftliche Sichtbarkeit zentral werden würde. Mehr noch: Sie «witterte» geradezu, dass «Sehen und Gesehenwerden» zum zentralen Anliegen der modernen Industriegesellschaft werden und dass die eigene Identitätskonstruktion nur durch harte Arbeit an Körper und Kleid erreicht werden würde.

Wie Hunderttausende von Frauen in ganz Europa war auch ich während der Jugend geradezu süchtig nach ihrem Heft, Burda Moden. Am verführerischsten unter den Modevorschlägen fand ich die – aus der Optik des damaligen durchschnittlichen Schweizer Alltags – völlig absurden «Cocktailkleidchen»; die eleganten «Nachmittags- oder Teekleider» für die stilvolle Dame mit Tulpenrock und Tropfensilhouette, von denen ich bis heute nicht weiss, wann sie getragen werden sollten; «den kapriziösen Ballonrock»; «Elegantes für die Strandpromenade» mit Anleitungen für selbstgeschneiderte Badeanzüge sowie die der britischen Modedesignerin Mary Quant nachempfundenen Miniröcke.

Auch glamouröse «Abendroben» für den gesellschaftlichen Empfang, für den es gar keine passende «Bühne» gab, fesselten mich, attraktive Kleidersignale aus einer fremden Welt. Die Abteilung «Schön zu Bett» amüsierte mich, als fremdartig taxierte ich die empfohlene Brautmode, die Frauen als Königinnen inszenierte. Die «Modeseite für die Vollschlanken» unter der Überschrift «Die frauliche Note, charmant betont» in Grösse 54 übersprang ich jeweils schnöde, und die vielen Schnitte für «Faltenrockkostüme» kamen mir unglaublich spiessig vor.

Aenne Burda bot für jede Frau in jeder Lebenslage etwas. Das Wichtigste: Die fotografierte Mode musste zugleich inszenierte Wunschbilder verkörpern und dank den beigelegten Schnittmustern in verschiedenen Grössen und den akribischen Nähanleitungen auf dem eigenen Nähtisch einfach realisierbar sein. Mehr noch: Sie legte in ihren Heften Wert auf gestochen scharfe Bilder, damit jeder Knopf, jeder Abnäher, jede Falte nachvollziehbar war. Die exzentrische Aenne Burda war berühmt für ihre Wutanfälle, in denen sie nicht gelungene Bildstrecken zu Boden warf und zerstampfte.

Sie kannte keine Tabus

Ungewöhnlich waren aber auch ihre Kolumnen auf der zweiten Seite jedes Modeheftes. Sie wandte sich direkt an die Frauen. Was sie dort in aller Offenheit diskutierte, war in der Schweiz Ende der 1960er Jahre für durchschnittliche Frauen revolutionär. Sie kannte keine Tabus und sprach in ihren Editorials über alles, was Frauen umtrieb: über Beziehungen zu Männern, über konstruktive oder krisenhafte Ehen, über Formen von libertärem Sex, uneheliche Kinder, sexuelle Orientierungen, Hausfrauenklatsch, Kochrezepte, Häkeln oder Inneneinrichtungen.

Sie nahm die Ich-Inflation voraus, die inzwischen charakteristisch für die westliche Gesellschaft ist.Von einer emanzipierten Identität hatte Aenne Burda, die sich einmal selbst als «Rebellin von Geburt an» charakterisierte, klare Vorstellungen. Sie weckte verborgene Wünsche und veränderte das Denken, indem sie die geltenden Frauen- und Mode-Ideale, die gesellschaftlichen Konventionen und moralischen Werte neu verhandelte. Die Frau, die selber von sich sagte, dass sie keine Freundinnen habe, da sie deren Loyalität grundsätzlich misstraue, die auch beruflich keine Frauensolidarität kannte, sondern alles allein erreichen wollte, die viel Neid erlebte – diese Frau empfahl den Frauen, auf keinem Feld den Männern die Macht zu überlassen. Sie sollten die Dinge selbst an die Hand nehmen.

Dabei war sie durchaus widersprüchlich: Von Frauenquoten hielt sie nichts, von der Emanzipationsbewegung, die Ende der 1960er Jahre einsetzte, ebenso wenig. Von sich selbst sagte sie, dass es ihr immer nur um das «Streben nach Reichtum und Macht ging». Und dass Frauen härter als Männer arbeiten müssten, um sich durchzusetzen. Sie hatte also auch negative männliche Rollenmuster für sich selbst adaptiert. In ihrem Verlag duldete sie weder interne Kritik noch geschäftliche Widersacher.

Wirft man einen Blick auf Aenne Burdas Biografie, wird schnell klar, dass sie nur das empfahl, was sie kompromisslos selber gelebt hatte – als eine Art frühe Influencerin. Die Verlegerin ist das Paradebeispiel einer sozialen Aufsteigerin, allerdings nicht einfach (nur) dank kalkulierter Heirat, sondern dank Einfallsreichtum. 1909 wurde sie in Offenburg als Kind eines Lokomotivführers geboren, dessen Leistungsbereitschaft und Genügsamkeit sie prägten. Aenne Burda setzte sich von Anfang an gegen alle durch. Sie verlangte, dass sie nicht die Volksschule, sondern eine angesehene Klosterschule besuchen konnte. Schon früh liess sie sich einen Bubikopf schneiden – nach dem Krieg ein Signal emanzipierter Frauen. Ihren Namen Anna wandelte sie zu «Aenne» um, nach ihrem Lieblingslied «Ännchen von Tharau», aber mit apartem Umlaut.

Während ihrer Arbeit als Angestellte eines Elektrizitätswerkes lernte sie den promovierten Unternehmer, Drucker und späteren Senator Franz Burda kennen, den sie 1931 heiratete. Ihr grosser Schachzug gelang ihr durch ein taktisches Manöver, als sie eines Tages feststellte, dass ihr Mann, von dem sie drei Söhne hatte, sie seit Jahren betrog, mit seiner Geliebten sogar ein Kind hatte und dieser den inzwischen defizitären Verlag Effi-Moden geschenkt hatte.

Aenne Burda dachte nicht daran, sich scheiden zu lassen. Sie verzichtete auf Skandal und Trennung, verlangte aber als Gegenleistung den hochverschuldeten Effi-Verlag. Von da an liess sie sich nicht mehr bremsen. Für ihre drei Söhne interessierte sie sich nicht mehr, für deren Betreuung wurden Haushaltshilfen eingestellt. Sie wurde zur bestangezogenen Frau, kaufte sich ein nagelneues Karmann-Cabriolet, mit dem sie morgens die 25 Kilometer zum Verlag in Lahr brauste, legte sich später einen italienischen Liebhaber zu und etablierte sich als Unternehmerin, die nur noch expandierte.

Reizwort «Taille»

1950 brachte sie mit Hilfe von 48 Mitarbeitern das Periodikum Burda Moden heraus, in einer Auflage von 100 000 Exemplaren. Ihr Erfolgsrezept war die Verbindung einer gängigen Modezeitschrift mit dem Prinzip einer Illustrierten. Durchschlagend war 1952 die Idee, dem Heft Schnittmusterbögen beizulegen. Mit diesem Geschäftsmodell wurde sie viel erfolgreicher als ihr Mann. Dabei kam ihr einerseits ihr praktischer Zug zu Hilfe, andererseits ihr Hang zu Extravaganzen. Trends von internationalen Stardesignern ignorierte sie nicht, brach sie aber auf ein praktikables Niveau herunter.

Entscheidend war immer die Tragbarkeit. Keine aufdringlichen Décolletés, Röcke nicht zu hoch geschlitzt, Hosen waren lange als unweiblich verpönt. Aber Aenne Burdas Philosophie war beweglich. Jungen Frauen wurden dann doch Keilhosen und vor allem Capri-Hosen zugestanden, vor allem nachdem Audrey Hepburn sie in Filmen wie «Sabrina» oder «Frühstück bei Tiffany» populär gemacht hatte.

Ein weiteres Dilemma der 1950er Jahre war die glorifizierte Wespentaille, die mit Hilfe eines Taillenmieders gerne auf die Traumgrösse von 57 Zentimetern getrimmt wurde. Als Christian Dior 1954 die Wespentaille provokativ mit seiner neuen H-Linie erstmals negierte, was zu heftigsten Diskussionen führte, sprach man in Burda Moden lediglich von einer «heute modernen» Taille, kündigte aber vier Jahre später doch das neue «Sackkleid» an. Man propagierte diskret eine vom «Stil befreite Linie» und später auch gerade geschnittene Shift- und diskrete Blousonkleider, ohne das Reizwort «Taille» überhaupt noch zu erwähnen.

1968 wurde Burda Moden mit einer Auflage von 1,5 Millionen die weltweit grösste Modezeitschrift. 2005 wurde sie in 89 Ländern und in sechzehn Sprachen vertrieben. Als sich Aenne Burda nach 45 Jahren Geschäftsführung mit 85 Jahren aus der Verlagsleitung zurückzog, tat sie es mit blutendem Herzen. Sie hatte sich inzwischen auch gesellschaftlich zu einer Dame der sogenannten High Society hochgearbeitet und sich, ganz royalistisch, vom Pop-Art-Künstler Andy Warhol porträtieren lassen. Sie bewegte sich in Kreisen der Polit- und Medienprominenz, wollte auf Bällen immer noch «die Schönste» sein und hinterliess nach ihrem Tod 2005 ein Lebenswerk, das ihr so schnell keiner nachmacht.