Die Schweiz leidet unter politischen Dauerproblemen, etwa in der Altersvorsorge-, der Gesundheits-, Energie-, Arbeitsmarkt-, Europa- und Zuwanderungspolitik. Weshalb wurden sie nicht schon längst gelöst? Unsere Erklärung: Gute Politik entsteht im Wettbewerb zwischen realistischen Problemlösungsvorschlägen. Doch diese müssen hart erarbeitet werden. Dafür brauchen politische Entscheidungsträger neben Ressourcen wie Arbeitskraft, Wissen und Geld auch die richtigen Anreize. Diese fehlen dem eidgenössischen Parlament und dem Bundesrat.

Hoffnung bieten nur Volksinitiativen. Allerdings werden sie heute zwar oft für die politische Profilierung, aber selten für echte Problemlösungen eingesetzt. Denn auch hier braucht es die richtigen Anreize und Ressourcen. Wir schlagen deshalb vor, das Instrument Volksinitiative zu stärken. Für Volksinitiativen, welche die Mehrheit des Volkes finden, soll den Initiativkomitees eine Art «Grosser Preis der Schweiz» oder eine «Ervolksprämie» (Erfolgsprämie) von wenigstens einer Million Franken winken.

 

Bern im Abseits

Die Parlamentarier werden in kantonalen Wahlkreisen gewählt, und in den Proporzwahlen des Nationalrats reichen oft schon kleine Stimmenanteile für die Wahl. Viele Repräsentanten sind deshalb weniger Kämpfer für das Wohl aller Schweizer, als vielmehr Beutejäger zu Bern für regionale, sektorale und ideologische Partialinteressen. Sie setzen ihre knappen Ressourcen nicht für die Entwicklung von Lösungen der Probleme der Schweiz ein, sondern um Projekte anderer zugunsten ihrer eigenen Klientel umzubiegen.

Für die harte Projektarbeit sind die Bundesräte zuständig. Sie werden in weltweit einmaliger Weise persönlich vom gesamten Parlament in einer Mehrheitswahl gewählt. Das gibt ihnen Anreize, bei der Projektentwicklung auch ans grosse Ganze zu denken. Nur verbiegt danach das Parlament diese Projekte im politischen Prozess zugunsten von Partialinteressen. Bisher schränkten zwei Mechanismen das Parlament ein, die aber zunehmend unterlaufen werden.

– Die direkte Demokratie erlaubt den Bürgern, schlechte Parlamentsvorlagen mit Referenden zu blockieren. Doch das wird immer schwieriger, weil das Parlament in der nächsten Runde zuweilen noch schlechtere Projekte liefert und zunehmend internationale Verpflichtungen, Zeitdruck und Alternativlosigkeit vorspielt.

– Der Föderalismus wirkt als Motor für Politikinnovationen und beeinflusst durch kantonale Vorbilder auch die Entscheidungsträger auf Bundesebene. Doch Zentralisierung und Harmonisierung unterwandern ihn, und der Finanzausgleich minimiert die Anreize der Kantone, ihre Standortattraktivität zu verbessern.

Zugleich scheint der Bundesrat seine Funktion als guter Projektentwickler zunehmend zu verlieren. Konkordanz, Kollegialität und gesamtheitliche Perspektive weichen zunehmend der Departementalisierung und Parteiideologie.

Wie also kann die Schweiz wieder zu echten, schnellen Lösungen kommen? Dazu braucht es Reformen des politischen Entscheidungsprozesses. Wir vertreten hier folgende:

– Beim Finanzausgleich sollte Kantonen, die ihre Finanzkraft verbessern können, nicht mehr sogleich fast alles weggenommen, sondern für eine gewisse Zeit eine Belohnung bezahlt werden. Das gäbe Kantonsregierungen starke Anreize, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern und neue Problemlösungen zu erarbeiten, die dann auch andere Kantone und den Bund inspirieren würden.

– Der Bundesrat könnte statt vom Parlament so wie alle Kantons- und Gemeinderegierungen vom Volk gewählt werden. Eine Mehrheitswahl aller Mitglieder in einem schweizerischen Gesamtwahlkreis würde die Konkordanz und die Anreize der Bundesräte stärken, wieder Vorlagen im Interesse der gesamten Schweizer Wählerschaft zu erarbeiten.

– Damit das Parlament die Vorschläge des Bundesrates verbessert statt verbiegt, könnte eine unabhängige, volksgewählte «Gegenvorschlagskommission» geschaffen werden. Diese hätte ähnlich wie die heutigen kommunalen Rechnungsprüfungs- und Geschäftsprüfungskommissionen den Auftrag, die Parlamentsvorlagen zu evaluieren, zu kritisieren und Gegenvorschläge zu Abstimmungsvorlagen zu entwickeln.

Vorschläge für effektivere Politik und Institutionen litten bisher immer am gleichen Problem: Das Parlament hat kaum Interesse an ihrer Verwirklichung. Deshalb braucht es: Volksinitiativen! Doch auch das kann problematisch sein, denn Volksinitiativen werden zumeist von Parteien getragen, die ebenfalls kein Interesse an diesen Vorschlägen haben.

Was also tun? Der Clou: Die von uns vorgeschlagene «Ervolksprämie» von wenigstens einer Million Franken für eine vom Volk angenommene Volksinitiative gäbe den politischen Akteuren Anreize, Initiativen zu erarbeiten, die ernsthaft auf die Lösung unserer grössten Probleme zielen, indem sie mehrheitsfähige Vorschläge einbrächten für Verbesserungen etwa der Altersvorsorge und der Energiepolitik sowie produktive institutionelle Reformen – vielleicht auch die obenskizzierten.

Doch wieder gilt: Parlament und Parteien haben kaum Interesse, eine solche Regelung einzuführen. Das aber macht nichts. Denn die Ervolksprämie kann durch privates, oder besser gesagt, zivilgesellschaftliches Engagement umgesetzt werden, durch Mäzene, Organisationen oder Stiftungen.

Entscheidend für Erfolg und Akzeptanz der Ervolksprämie ist ihre absolute politische Neutralität. Schon heute werden die Initianten erfolgreicher Volksinitiativen belohnt, aber nicht neutral, sondern interessengebunden. So zielen Volksinitiativen zumeist auf Umverteilung zugunsten derjenigen, welche die Initianten für ihren Aufwand monetär oder nichtmonetär entschädigen können, sprich gutorganisierte Interessengruppen. Nur eine neutrale Ervolksprämie schafft für potenzielle Initianten Anreize und Möglichkeiten, sich auf Volksinitiativen zu spezialisieren, die der Allgemeinheit nützen. Das wiederum dürfte Parlament und Parteien anstacheln, die gesellschaftlichen Probleme selber wirkungsvoll anzugehen, da sie ansonsten regelmässig durch Volksinitiativen vorgeführt würden.

Unser Vorschlag weckt Befürchtungen und Fragen, etwa folgende:

– Wird so Politik nicht käuflich? Nein, im Gegenteil. Heute spielt Geld eine grosse Rolle in der Politik. Allein die jährliche Entschädigung der National- und Ständeräte durch den Bund summiert sich auf rund 40 Millionen Franken. Hinzu kommen noch höhere Zahlungen von Interessengruppen und Firmen für «Dienstleistungen» wie Einsitz in Verbandsfunktionen, Verwaltungs- und Stiftungsräten. Dagegen sind die Ervolksprämien, die nur Politik belohnen, die nachweislich der Mehrheit der Bevölkerung dient, fast schon verschwindend klein.

_ Bringt der Vorschlag eine Initiativen-Überflutung? Eigentlich kann es gar nicht genug Initiativen geben, die vom Volk angenommen werden. Denn jede erfolgreiche Initiative steigert die erwartete Wohlfahrt der Bürger. Aber da das Parlament ja reagieren und selber nach besserer Politik streben würde, gäbe es für die Mäzene vielleicht gar nicht so viel zu bezahlen.

– Werden nicht zuweilen schlechte Volksinitiativen angenommen? Die angeblich schlechten Initiativen wurden ja ohne den von uns vorgeschlagenen grossen Preis lanciert und angenommen. Die entscheidende Frage ist deshalb, ob der grosse Preis bewirkt, dass mehr sinnvolle und vielleicht auch weniger «schlechte» Initiativen lanciert werden. Die Prämie würde den Initianten Anreize geben, ihre eigenen Initiativen so auszugestalten, dass sie bessere Chancen auf eine Mehrheit haben. Dass sie also mehr Wählern nützen und weniger Wählern schaden. Zudem würde dies Gegner anspornen, gegen «schlechte» Initiativen weitere Initiativen zu ergreifen. Wer beispielsweise findet, dass die Minarettinitiative schlecht war, könnte eine Gegeninitiative lancieren, die zwar Minarette grundsätzlich erlaubt, aber verlangt, dass sie stumm sind, keinerlei Beschallung bringen dürfen.

– Würde das Parlament die angenommenen Volksinitiativen angemessen umsetzen? Auch dieses Problem entschärft sich durch den Vorschlag selbst: Falls das Parlament den Volkswillen nicht umsetzt, werden Initiativen mehrheitsfähig, die dieses Problem angehen.

– Bräuchten die Initianten das Geld nicht schon für die Erarbeitung und Lancierung ihrer Initiativen? Da unser Vorschlag auf strenge Symmetrie und Neutralität setzt, können nicht einzelne Initiativen schon vor ihrer Annahme unterstützt werden. Aber: Dank dem grossen Preis könnten andere Organisationen auftreten, die als eigentliche «Policy Angels» den Initiativen-Start-ups gegen eine Erfolgsbeteiligung mit Rat, Tat und Kapital zur Seite stünden und so die fruchtbare gesellschaftliche Wirkung des grossen Preises noch multiplizieren würden.

Entscheidend für Erfolg und Akzeptanz der «Ervolksprämie» ist ihre absolute politische Neutralität.Unser Vorschlag stärkt die direkte Demokratie. Er macht Volksinitiativen zu einem Motor der Entwicklung guter Politik und guter politischer Institutionen. Dafür sollte die Vergabe durch ein unparteiisches beziehungsweise politisch breit abgestütztes Gremium erfolgen. Die Geber sollten selbst innovativ sein. So könnten sie die Höhe der Belohnung mit der erreichten Zustimmung variieren oder Belohnungen für Initiativen aussprechen, die erfolgreiche Gegenvorschläge provozierten, oder auch erfolgreiche Referenden belohnen. Oder sie könnten auch auf Crowdfunding setzen. Sodann müssen sie Strategien von Initianten antizipieren, etwa statt einer Initiative gleich einen ganzen Schwarm aufzusetzen. Auch dabei zeigt sich der grosse Vorteil zivilgesellschaftlichen Engagements: Private können in einem solchen Fall viel flexibler reagieren als staatliche Stellen, etwa indem sie einfach nur eine Belohnung auszahlen. Höchste Zeit also, dass sich die Bürger und die Zivilgesellschaft wieder ans Steuer der Demokratie schwingen.

 

Reiner Eichenberger ist Professor für Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg und Forschungsdirektor des Center for Research in Economics, Management and the Arts (Crema).

Yves Kläy ist Diplomassistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Fribourg und doktoriert im Bereich «Politische Ökonomie der Schweiz».

Die 3 Top-Kommentare zu "Grand Prix der Demokratie"
  • ZEidgenosse

    Was wir dringend brauchen ist ein zusätzliches Volksrecht in der Verfassung. Jede und jeder kann mittels Unterschriftensammlung vor ein Volkstribunal gestellt und aus Amt und würde gejagt werden. Ohne Abfindung, Härtefallgelder oder Ruhegehalt. Das Volkstribunal ist wie das Impeachment in den USA ein 'politischer' Prozess. Kein juristischer. Immunität wird automatisch aufgehoben. Begründete Zweifel und Indizien genügen. Selbstverstöndlich können auch ganze Gruppen impeached werden.

  • Frank Z. Marg

    Ja, gute Ideen. Aber ich sehe schon die Schlagzeile dagegen: "Demokratie durch Millionenprämie korrumpiert" oder so ähnlich. Die Argumente widerlegen zwar klar dieses "Problem" (siehe Artikel), aber was sind schon Argumente gegen ideologische Scheuklappen?

  • chruez-u-quer

    Schon erstaunlich, dass das Thema so wenig Leser der WW interessiert. Rumhacken auf Andersdenkende ist einfach und bequem. Aber Lösungen suchen für die Bewältigung unserer Staats- und Gesellschaftsprobleme braucht Zeit, Energie und persönliches Engagement. Daran scheint es zu mangeln.