Leidtragende der Zwangsfusion zwischen Credit Suisse und UBS werden nicht zuletzt die Apotheken um die Zürcher Bahnhofstrasse sein. Denn hier versorgen sich die Banker mit all den Pillen, die sie brauchen, um ihren stressigen Arbeitstag durchzustehen. Nun werden es ein paar tausend weniger sein.

Seit Buchhalter Nötzli an der grossen, weiten Welt des Investmentbankings schnuppern durfte, seit biedere Banker nicht mehr mit der abgewetzten Aktentasche im Tram ins Büro fuhren, sondern im Maserati, Porsche oder Aston Martin, mussten Körper und Seele für ganz neue Herausforderungen gestählt werden. Upper am Morgen, Downer am Abend, dazwischen all das, was Psychopharmaka bereithalten, wenn das Leben Kampf und Hauen und Stechen ist. Wenn die Seele mit Stahl ausgekleidet werden muss.

Als die Schweizer Kreditanstalt zur Credit Suisse First Boston wurde, schauten Schweizer Banker zuerst mit grossen Augen den Masters of the Universe zu, den «big swinging dicks», wie sich verrückt gewordene Gierbanker in den USA selbst nannten. Und dann begannen die Schweizer, sie nachzuahmen.

Und immer die Angst im Nacken

Die Ehefrau wurde mit einer trophy wife ergänzt, ein Personal Trainer musste her, dazu der Fashion Consultant, der Innenarchitekt; wer nicht im Investmentbanking mithalten konnte, verlegte sich auf die Betreuung von UHNWI, das steht für Ultra-High-Net-Worth Individuals, die Königsklasse der Privatkunden. Da gehört man dazu, wenn man mindestens fünfzig Millionen frei investierbares Privatvermögen auf die Waage bringt, gerne auch mehr.

Dafür lernte der Schweizer Private Banker, wie er sich nun nannte, obwohl überhaupt nichts an ihm einem altehrwürdigen Privatbankier gleicht, dass er bei der Betreuung solcher UHNWI rund um die Uhr zu allem bereit sein musste. Denn diese Superreichen sind es gewohnt, dass ihnen jederzeit jeder Wunsch erfüllt wird – eisgekühlter Wodka, natürlich nicht irgendeiner, sondern der Imperial Collection Fabergé, aber bitte schwarz metallisiert, gerne auch nachts um halb drei. Eingeschenkt von einer guterzogenen und willigen Dame des besten Escort-Service von Zürich, natürlich.

Aber die Schweizer Banker gewöhnten sich nicht nur daran, die absonderlichsten Wünsche ihrer Kunden zu befriedigen. Sie legten sich auch selbst die Marotten zu, die Menschen eigen sind, die eigentlich 24 Stunden am Tag in einem gnadenlosen Konkurrenzkampf stehen.

Denn wer den Sprung in die Bonusetage der Managing Directors geschafft hat, gehört zwar schon zu den Auserwählten, von denen es in der UBS oder der Credit Suisse nicht mehr als zwei-, dreitausend gab. Eigentlich möchte schon jeder ganz nach oben. Aber da kann es nur einen geben. Einen CEO, einen VR-Präsidenten. Und wer auf diesen Stuhl klettern will, um möglichst entspannt in die Kameras zu grinsen, muss unterwegs alle Hemmungen ablegen, jeden Anstand verlieren. Kampfgruppen bilden, Intrigen spinnen, Konkurrenten ausbooten, Mitglieder der eigenen Seilschaft im richtigen Moment vom Seil schneiden.

Wer ganz oben mitspielen will, muss sich aller menschlichen Gefühle entledigen, zum Raubtier werden.

Und immer die Angst im Nacken, ob er in den kurzen Zeiten der Nachtruhe, oder wenn im Flieger mal das Internet nicht zur Verfügung steht, nicht von anderen in die Pfanne gehauen wird. Auch Schweizer Banker fanden heraus: Wer ganz oben mitspielen will, muss zum Soziopathen und Psychopathen werden. Oder schon immer einer gewesen sein. Sich aller menschlichen Gefühle entledigen, zum Raubtier werden. Deshalb lächeln die meisten der Bankenlenker gar nicht, sondern blecken die Zähne.

Dieses Verhalten hat auch direkte Auswirkungen auf das Sexualleben. In der Führungsetage der beiden Grossbanken sind Männer überproportional vertreten, die auf harten Sex stehen, auf Erniedrigung, Quälerei, auf jede Art der Perversion, auf blutjunge Mädchen aus Brasilien, auf ephebenhafte Boys aus Bulgarien. Die Banken legten sich eine Abteilung von Cleanern zu – krisenerprobte Mitarbeiter, die jeweils die Schweinerei aufräumen, wenn ein Banker mal wieder über die Stränge geschlagen hat. Gesichter geflickt werden müssen, Wunden genäht, Schweigegelder gezahlt, verwüstete Wohnungen oder Hotelzimmer wiederhergestellt.

Testosterongesteuerte Egos

Neben Apotheken machen auch Detekteien das Geschäft ihres Lebens. Nicht nur Tidjane Thiam liess möglicherweise gefährliche Konkurrenten beschatten. Er hatte nur das Pech, dass es rauskam. Testosterongesteuerte Egos prallen aufeinander, immer angetrieben von der sinnlosen Gier, dass es nie genug sein kann. Nie genug Geld, Ansehen, Macht, Einfluss, Bedeutung. In dieser Welt wurde alles zum Schwanzvergleich, wer hat den grösseren Privatjet, die längere Jacht, die protzigere Villa, das teurere Chefbüro, die grössere Bank. In altehrwürdige Bankgebäude wurden neue Lifts eingebaut, wenn der CEO es nicht ertragen konnte, mit dem Fussvolk zusammen zu seiner Chefetage zu fahren. Genug war nie genug. Als einziger Antrieb galt nur: more. Mehr. Immer mehr.

Wer Milliarden bewegt, um Millionen zu verdienen, verliert jeden Kontakt mit der Wirklichkeit. Wer haftungsfrei Multimillionen verdient, unabhängig davon, ob er für seine Bank Milliarden Profit oder Verlust produziert, verliert jeden Massstab. Nach der Finanzkrise eins bis zu ihrem Ende machte die CS einen kumulierten Verlust von über drei Milliarden Franken. Und schüttete dafür Boni von über dreissig Milliarden Franken aus.

Es ist eine beeindruckende Reihe von Versagern, die bei der CS dafür sorgten, dass die Bank immer mehr in Schieflage geriet. Rainer E. Gut und Walter B. Kielholz legten das Fundament, Lukas Mühlemann war der erste vermeintliche Überflieger, der mit seiner Allfinanz-Strategie eine Bruchlandung hinlegte. Von solchen Experimenten liessen Brady Dougan und Thiam die Finger. Ihnen reichte es, über 160 Millionen (Dougan) und 50 Millionen (Thiam) abzukassieren. Und dafür den Börsenwert der CS um 62 Milliarden (Dougan) beziehungsweise 12 Milliarden (Thiam) zu verringern. Und über all denen thronte Urs Rohner; unter dessen Herrschaft als VR-Präsident schrumpfte der Börsenwert um über 26 Milliarden, zahlte die CS die grösste Busse aller Zeiten im Steuerstreit, während er eine weisse Weste behielt.

Muppet-Show in Bern

Selbst die beiden Nötzlis, unter deren Ägide die lange und stolze Geschichte der CS ihr armseliges Ende fand, zahlen sich, ohne rot zu werden, Millionengehälter aus. Denn im Pervers-Banking will jede Leistung honoriert sein. Selbst diejenige des Bestatters, der den Deckel auf 167 Jahre Geschichte nagelt.

Haben mit dem Ende der CS solche Zustände an der Bahnhofstrasse Babylon, am Purgatorium-Paradeplatz ihr Ende gefunden? Wieso sollten Banker freiwillig von solchen Gewohnheiten lassen? Wer die Muppet-Show am Sonntagabend in Bern miterlebte, als zwei überforderte und kenntnisfreie Bundesräte nicht mitbekamen, dass sie von cleveren Bankern über den Tisch gezogen wurden, der weiss: Das wird genau so weitergehen.

Haftungsfrei, verantwortungslos und pervers in der Chefetage. Während im Maschinenraum der Banken hart arbeitende Mitarbeiter für die Unfähigkeit der Bankenlenker bezahlen müssen. Mitsamt dem mal wieder in Geiselhaft genommenen Steuerzahler. Der eigentlich auch ein paar rosarote Beruhigungspillen bräuchte.

Die 3 Top-Kommentare zu "Babylon Bahnhofstrasse: Wie der biedere Schweizer Banker lernte, durchzudrehen"
  • juerg.lindenmann

    Auf den Punkt gebracht .

  • timo25

    Selten einen solch wirklich ehrlichen Bericht gelesen. Bravo👍👍👍👏👏👏

  • guidoschaffhauser

    Super, besser kann die perverse Bankenszene nicht beschrieben werden!