Nichts, aber auch gar nichts haben unsere westlichen Super-Eliten, all die Think-Tanks und Nato-Experten, die Generäle und Polit-Zampanos in Washington, Brüssel und Berlin überlegt. Es wäre ein Leichtes gewesen, innerhalb der letzten zwei Jahre mit Russland einen Kompromiss zu finden, die westliche Aufmunitionierung der Ukraine zum Nato-Aussenposten zu stoppen und damit den Russen die gleichen Sicherheitsgarantien zu gewähren, die der Westen für sich selbstverständlich in Anspruch nimmt.

Wir hätten keinen Krieg in der Ukraine mit Tausenden von Toten, unsäglichem Leid, verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen und weltweiten Konflikten, derzeit eskalierend in der realen Möglichkeit eines Atomweltkriegs zwischen Amerika und Russland.

Wir hätten jetzt eine Ukraine als verbindende Brücke zwischen Ost und West mit teilautonomen, russisch dominierten Gebieten wie Donezk und Luhansk, in denen die Rechte der sprachlichen Minderheiten nicht mit Füssen getreten werden.

Wir hätten, endlich, die Anerkennung der Krim als Teil von Russland, was eine geopolitische Realität seit Jahrhunderten ist und dem Wunsch einer überwältigenden Mehrheit der dort lebenden Menschen entspricht.

Wir hätten eine Situation, in der die Nato keine Atomraketen aufzustellen droht im unmittelbaren Vorgarten der Russischen Föderation, auf einem der aus russischer Sicht wichtigsten und empfindlichsten Territorien, das immer wieder Durchmarschgebiet feindlicher Armeen war.

Die Amerikaner hätten ihre Raketen aus den alten Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts abgezogen und damit ihr altes Versprechen gegenüber den Sowjetführern, deren Truppenabzug nach der Wende 1989 nicht auszunützen, endlich eingelöst.

Diese Lagebeurteilung stammt nicht von mir. So hat sie sinngemäss formuliert der frühere US-Kongress-Abgeordnete und Wall-Street-Banker David Stockman. Es gibt vernünftige Stimmen in den USA, die sich gegen die Monopolisierung der US-Aussenpolitik durch diese «verdammten Neocons» zur Wehr setzen.

Putins Forderung vor dem Krieg hatte gelautet: Ich will von den Amerikanern die Garantie, dass die Ukraine niemals Nato-Mitglied wird. Washington sagte nein. Man berief sich auf den Istanbuler OSZE-Vertrag von 1999, der allen Unterzeichnern, darunter Russland und die Ukraine, das Recht zubilligt, ihre militärischen Bündnisse selber zu wählen.

Tatsächlich steht es so geschrieben. Aber es steht eben auch noch anderes drin. Zum Beispiel der Satz, auf den sich mit vollem Recht die russische Staatsführung beruft: dass nämlich kein Land seine Militärbündnisse auf Kosten der Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats wählen darf. Es gilt also die Sicherheit aller Länder gleichermassen zu gewichten.

Sturheit, Machtgier, Überheblichkeit: Die Amerikaner setzten sich einfach über diesen Vertrag hinweg. Denn natürlich ist es eine akute Bedrohung russischer Sicherheitsinteressen, wenn die Nato ihre Militärbasen in der Ukraine aufschlägt. De facto war die Ukraine bereits ab 2014, zum Teil schon vorher, vom Westen massiv aufgerüstet worden.

Man mag Putins Einfall in der Ukraine kritisieren, sich darüber empören, aber er macht nur das, was in einer ähnlichen Situation die Amerikaner auch getan hätten und immer wieder getan haben. Die USA dulden keinerlei Einmischung in ihre Interessensgebiete, genauso wenig wie die Chinesen, die Russen oder früher die europäischen Grossmächte. Stellen wir uns vor, Russland würde in Mexiko einen Staatsstreich gegen eine Amerika-freundliche Regierung mitbegleiten, wie die Amerikaner den Coup auf dem Maidan mitgestaltet haben. Putin schaute acht Jahre lang zu, wie sich in der Ukraine die Amerikaner militärisch festsetzten. Die Amerikaner hätten in ihrem Vorgarten mit Sicherheit weniger Geduld gehabt.

Das sind Spekulationen. Sicher ist, dass der Westen mit seiner doppelmoralischen, hochmütig-schnöden Zurückweisung legitimer russischer Forderungen, mit seiner betonierten Sturheit und Kompromissverweigerung den Kreml in eine unmögliche Lage manövriert hat, in eine Lage, in der die Amerikaner – siehe Irak – sogar in weit entfernten Weltgegenden völkerrechtswidrig einmarschierten und mit Flächen-Bombardementen ganze Städte dem Erdboden gleichgemacht haben.

Es ist sicher legitim, auch Putin als Kriegstreiber und skrupellosen Machtpolitiker anzuprangern, aber, bitte, die westliche, die amerikanische Seite ist in dieser Hinsicht doch keinen Deut besser, und was die Ukraine angeht, wird viel zu wenig, eigentlich gar nicht, über die krassen Fehler, über die zynisch-leichtsinnige Hochrisiko-Politik der Amerikaner, vor allem der amerikanischen Linken, gesprochen, die uns in dieses Debakel gestürzt haben.

Statt sich ehrlich über die Situation Rechenschaft abzulegen und in den Spiegel zu blicken, steigern sich die westlichen Politiker und ihre Medien in einen blinden Hass gegen Putin, den sie als Ausgeburt des Bösen zeichnen, als Alleinschuldigen und Universalteufel, der vom eigenen Versagen ablenkt. Moraltrunken berauscht man sich an Fantasien eines bereits erfolgten Siegs, redet sich ein, dass Putin am Ende sei, erledigt, immer noch mehr Waffen in die Ukraine pumpend.

Das macht alles nur noch schlimmer. Putin hat seine «begrenzte Militäroperation» beendet, weil die Nato faktisch diesen Krieg mit US-Waffen, US-Beratern und US-Aufklärung, aber mit ukrainischen Bodentruppen führt. Die Eskalation des Westens hat Putin zu einer Teilmobilmachung gezwungen, weil nur Blinde oder Verrückte der Auffassung sein können, der Kreml-Herrscher werde im Angesicht der Nato-Einmischung die Hände hochwerfen und sagen: «Sorry, ich ziehe ab, ich habe mich geirrt.»

Putin macht, wie zu erwarten war, das Gegenteil. Er legt nach. Mobilisiert die Armee, redet von 300.000 Reservisten, hat aber Zugriff auf 2,5 Millionen. Er wird jetzt noch mehr zivile Ziele angreifen, es wird noch mehr Tote, noch mehr Zerstörung, noch mehr Elend, noch mehr Krisen, Rezession und Energiemangel geben. Kann ja sein, dass auch Putin blufft, aber das sind Schönwetter-Szenarien, an die sich unsere Politiker und Medien klammern. In der Politik muss man immer mit dem Schlimmsten rechnen, um das Schlimmste zu vermeiden.

Irrig ist wohl auch die Annahme, die Chinesen würden einfach tatenlos zuschauen, wenn die Amerikaner in der Ukraine durchmarschieren, mit dem Ziel, einen Amerikaner-freundlichen neuen Jelzin im Kreml zu installieren, einen Weichling und Alkoholiker, der Russland als Ersatzteillager amerikanischer Interessen verwaltet. Die Chinesen, nehmen wir einmal an, sehen haargenau, dass es die USA eigentlich auf sie abgesehen haben. Deshalb haben sie das Interesse, die Russen an ihrer Seite zu haben.

Aber natürlich will Xi keinen übermässig starken Putin. Ihm wäre ein Juniorpartner lieber, deshalb warten die Chinesen ab, aber es fällt schwer, sich vorzustellen, dass sie nicht nach ihren Interessen handeln und sich früher oder später in diesem Krieg voll an die Seite Russlands stellen gegen die Amerikaner, die den Chinesen ja offiziell den Fehdehandschuh hingeworfen haben.

Kurz: Je mehr sich die Amerikaner und die Europäer in ihrer fiebrigen Aggressionsspirale verrennen, desto länger, globaler und gefährlicher wird dieser Krieg.

Deshalb ist jetzt, in den Tagen der Eskalation, der Frieden gefragt. Europa müsste vorangehen, die Biden-Regierung zurückbinden, den Ukrainern mit ihrem kameraerprobten Charisma-Präsidenten Selenskyj, der noch am Messias-Syndrom erkranken könnte, Grenzen setzen. Gegen Russland einen Weltkrieg zu riskieren, ist Wahnsinn. Friedensverhandlungen sind gefordert.

Unsere Politiker, unsere Eliten, unsere Medien machen das Gegenteil. Sie rasen mit Vollgas an die Wand. Seit Jahren, nachweislich.

Energiewende, Migrationspolitik, Euro-Fehlkonstruktionen und Irrtümer überall. Unsere Regierungen haben die Grenzen für die illegale Migration geöffnet, ihre Energiepolitik führt in den Abgrund. Geopolitisch haben sie es auf einen Atomkrieg gegen Russland ankommen lassen, nicht weil Putin spinnt, sondern weil sie die Russen, vermutlich auch aus tiefsitzenden rassistischen Vorurteilen heraus, nicht ernst nehmen, abschätzig behandeln, auf ihre Interessen pfeifen, während man die eigenen machthungrig und selbstbetrunken über alles stellt.

Unsere Politiker lassen es zu oder treiben es sogar aktiv voran, dass sich unter dem Modebegriff Woke der Sozialismus ausbreitet. Die in Wohlstandszeiten hochgespülte Linke, auch in den USA, ist im Begriff, die Demokratie abzuschaffen, weil die Linken die Demokratie generell nur so lange schätzen, wie sie ihnen zum Machtgewinn dient, dann aber, kaum sind sie oben, alles bekämpfen und ausschalten, was sich ihrer Macht entgegenstellt, Volksentscheide, Meinungsvielfalt, oft unterstützt von den Liberalen, denen die Kraft fehlt, sich dem linken Gutmenschentum entgegenzustellen.

Das sind die Leute, die sich heute aufplustern, von «europäischen Werten» sprechen und sich zu Gralshütern der Demokratie und Freiheit erklären, die sie selber schrittweise einschränken, Eigentum und Marktwirtschaft unter einem sich rabiat ausdehnenden Staat zusehends erdrücken und damit das grossartige Erbe ruinieren, das unsere Vorfahren leidensvoll erkämpft und verteidigt haben. Die Dämonisierung Russlands und Putins ist zum Denk- und Programmersatz geworden, die eigene Verblendung und den allgemeinen Hochmut hochpeitschend, der ihnen den Blick und den Weg zum Realismus und zur friedlichen Koexistenz versperrt.

Dringend gefragt sind jetzt die Konservativen, die Realisten, Leute wie Henry Kissinger, Otto Schily, Christoph Blocher in der Schweiz, Klaus von Dohnanyi und andere.

Es gibt Lichtblicke. Schweden löst sich vom Sozialismus. In Italien steht eine bürgerliche, darum automatenhaft als «Faschistin» verunglimpfte Frau der Rechten vor einem Wahlerfolg. In Deutschland steigt die Unzufriedenheit. Doch die Linke wird nicht einfach kampflos abtreten. Sie wird, wie ein verwundetes, in die Ecke gedrängtes Tier, aggressiv ausschlagen, bösartiger werden und, aus Mangel an Argumenten, das ganze Arsenal an Verfemungen und Verunglimpfungen mobilisieren, um die Rechte, um die Konservativen zu verleumden.

Die 3 Top-Kommentare zu "LEITARTIKEL: Biden, Baerbock, Cassis und Co.: Werden wir eigentlich von Wahnsinnigen regiert?"
  • Alpensturm

    Thumbs up. Die Weltwoche ist für mich die einzige grosse Zeitung in der Schweiz, die tacheless redet, das Kind beim Namen nennt und versucht, den Leser effektiv zu informieren. Genau das Gegenteil von all den anderen grossen Zeitungen, die sich meiner Meinung nach die Manipulation der öffentlichen Meinung zum Existenzzweck gemacht haben. Bravo an Sie Herr Köppel und an ihr ganzes Team für ihre Arbeit und Mut.

  • mosert

    Wow Herr Köppel, jetzt geben Sie aber Gas! Nicht schlecht.

  • Anna Meier

    Danke, Herr Köppel. Das ist wieder einmal ein hervorragender Artikel, der genau auch meine Meinung über den Zustand der heutigen Welt beschreibt. Leider gibt es ausser Blocher in der Schweiz keine Leute, die genügend Einfluss, Geld und oder Macht haben, um sich erfolgreich gegen die heutige Inquisition stellen zu können und das auch tun.