Der Bericht klingt trocken, aber sein Urteil ist vernichtend: «Covid-19: Beschaffungsprüfung der IT-Applikation zur Impfung» – unter diesem Titel hat die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) das Bundesamt für Gesundheit (BAG) durchleuchtet. Dabei ging es um die Beschaffung der Software der Impfkampagne, konkret: um das Anmelde-, Registrier- und Terminsystem samt Impfdokumentation. Wie die EFK herausgefunden hat, ging so ziemlich alles schief, was aus Sicht der Kontrolleure schiefgehen kann. Es fängt an bei der Auswahl der Lieferanten, die aufgrund unvollständiger Unterlagen nicht nachvollziehbar sei. Weiter rügt die EFK eine «unklare Berechnung der Vertragsleistungen». Auf welcher Basis sich der Leistungsbedarf zusammensetze, habe das BAG «nicht abschliessend» darlegen können. Eine Verhandlung über die Konditionen habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.

Für die Lieferanten waren es paradiesische Zustände: Sie konnten dem Bund die Kosten diktieren und erhielten, was immer sie forderten. Entsprechend lukrativ waren die offerierten Tagessätze: Sie betrugen zwischen 1500 und 2000 Franken nicht nur für IT-Genies, sondern auch für Übersetzungs- und Supportleistungen. Dies sei im Branchenvergleich als hoch einzuschätzen, so die EFK. Was die Auftragnehmer genau leisteten, sei unbekannt. Unter dem Titel «Pauschale Abrechnungen ohne Leistungsnachweis» schreibt die EFK: «Die inhaltliche Kontrolle der in Rechnung gestellten Leistungen kann aufgrund der fehlenden Arbeitsrapporte durch das BAG nicht vorgenommen werden, obwohl die Lieferanten vertraglich zur Ablieferung von Arbeitsrapporten verpflichtet sind.»

Aufträge für den Geschäftspartner

Doch nicht genug damit, dass die Kosten nach Einschätzung der EFK zu hoch ausfielen: Es wurden auch Rechnungen ausgestellt, die «nicht plausibel» sind. Verrechnete Leistungen «in einem geschätzten Umfang von circa zwei Millionen Franken sind nicht nachvollziehbar», schreibt die EFK. Zwei Millionen an Steuergeldern für nichts? Dem BAG ist’s egal. Mehr noch: Alain Bersets Gesundheitsamt lehnt es kategorisch ab, zu viel verrechnete Leistungen zurückzufordern, wie es die EFK mit «Priorität 1» empfohlen hat.

Die EFK weist in ihrem Bericht auch auf «dem Anschein nach vorliegende Interessenkonflikte» hin: «Der Leiter Digitalisierung Covid-19 und der Geschäftsführer von Lieferantin 2 sind ehemalige Arbeitskollegen bei der Unternehmung X und zum Zeitpunkt der Prüfung Geschäftspartner bei der Unternehmung Y.» Dies hat über die Bundesverwaltung und die IT-Branche hinaus für Wirbel und Werweissen gesorgt: Wer steckt dahinter?

Die Weltwoche hat den Fall recherchiert. Es zeigt sich, dass das BAG während der Covid-Pandemie wie ein Selbstbedienungsladen funktionierte. Der erwähnte Leiter Digitalisierung Covid-19 heisst Pascal Walliser und ist IT-Unternehmer und Arzt. In der Person von Walliser hat das BAG diesen zentralen Posten der Pandemie-Bürokratie an einen externen Manager ausgelagert. Dabei traf Walliser auf alte und aktuelle Bekannte. Bei den von der EFK als «Lieferantin 1» und «Lieferantin 2» bezeichneten Unternehmen handelt es sich um die Firmen Onedoc und Soignez-moi, die unter anderem in der App-Entwicklung und der Telemedizin tätig sind. Sie erhielten vom BAG den Zuschlag für die Impf-Software.

An Bersets Gesundheitsamt prallt jede Kritik ab, sei sie noch so fundiert und begründet.

Ins Auge stach den Finanzkontrolleuren insbesondere die in Biel beheimatete Firma Soignez-moi, die vom BAG zunächst als Subunternehmerin angeheuert worden war und in der Folge zur selbständigen Lieferantin avancierte. Gründer und Präsident von Soignez-moi ist ein gewisser Romain Boichat. Der vom BAG als externer Impf-IT-Chef angestellte Pascal Walliser war Weggefährte und sogar Geschäftspartner von Boichat. Beide arbeiteten mehrere Jahre gemeinsam in führenden Positionen bei der Spitalgruppe Genolier Swiss Medical Network.

Bei der IT-Firma Fluance AG, domiziliert in Solothurn, sassen Walliser und Boichat zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe und des Vertragsverhältnisses zusammen im Management. Romain Boichat ist dort seit 2016 bis heute unterschriftsberechtigt, Walliser war es von 2016 bis 2022. Ein Schuft, wer denkt, dass sein Ausscheiden mit der damals laufenden Untersuchung der EFK zusammenhängen könnte.

«So viel Umsatz wie möglich»

Die Geschäftspartner sassen beide auch im sogenannten Change Advisory Board (CAB) des BAG. Dieses Gremium fungierte als Schnittstelle zwischen dem Bundesamt für Gesundheit, Corona-Digitalchef Walliser und den Lieferanten. Dabei trat Romain Boichat als Vertreter der Lieferanten auf – mit Pascal Walliser als «Ansprechperson», wie die EFK festhält. Laut Insidern fehlte in dem von externen Beratern dominierten Board nicht nur jedes Interesse an einem sparsamen Umgang mit den finanziellen Ressourcen – es sei vielmehr darum gegangen, auf dem Buckel der Steuerzahler «so viel Umsatz wie möglich zu machen».

Das Change Advisory Board spielte während der gesamten Impfkampagne eine zentrale Rolle. So entschied es über die Aufträge für Anpassungen und Weiterentwicklungen der Impftermin-Applikation. Auch hier kassierten die beiden Lieferanten ab, allen voran Romain Boichats Unternehmen Soignez-moi, das dem BAG dafür monatlich Rechnung stellte. 2021 belief sich der Betrag auf 3,5 Millionen Franken (exklusiv Mehrwertsteuer). Im Juli und August 2021 verrechnete Soignez-moi jeweils 352 750 Franken und von September bis Dezember vier Mal jeweils 461 750 Franken, also beinahe eine halbe Million pro Monat. Stichproben der Finanzkontrolle ergaben, dass dabei Pauschalbeträge verrechnet wurden, «obwohl der Vertrag spezifiziert, dass nach effektivem Aufwand abgerechnet werden muss».

Warnung vor «erheblichen Risiken»

Die EFK verurteilt diese Praxis scharf: «Die an das BAG gestellten Rechnungen sind nicht aussagekräftig und widersprechen den vertraglichen Vorgaben. Es ist nicht nachvollziehbar, welche Kosten für welche Anpassung oder Weiterentwicklung angefallen sind und welche Mitarbeitenden an welchem Auftrag wie lange gearbeitet haben.» Ohne die vertraglich vereinbarten Arbeitsrapporte und schriftlichen Nachweise könne die Richtigkeit und Vollständigkeit der in Rechnung gestellten Leistungen nicht geprüft werden. Es bestünden daher «erhebliche Risiken» («Verrechnung von Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Auftrag stehen», «doppelte Verrechnung der gleichen Leistung», «Verrechnung von nicht aufgeführten Leistungen»).

Insgesamt erhielten die mit dem Zuschlag bedachten Unternehmen Onedoc und Soignez-moi vom BAG im Jahr 2021 11,5 Millionen Franken. Hinzu kommen Kosten für den SMS-Versand der Terminbestätigung (2021: 1,5 Millionen Franken) und für die Kantone. Und die Profiteure bleiben weiter in der Pole-Position: Sie haben sich nämlich das geistige Eigentum an der IT-Applikation gesichert, in Abweichung von den Allgemeinen Vertragsbedingungen des Bundes. Damit setze sich das BAG einer «erhöhten Abhängigkeit» aus, so die Finanzkontrolle. Zuvor hatte schon das Bundesamt für Bauten und Logistik auf entsprechende Risiken hingewiesen, ohne Erfolg. An Bersets Gesundheitsamt prallt jede Kritik ab, sei sie noch so fundiert und begründet.

Die 3 Top-Kommentare zu "Bundesamt für Selbstbedienung: Die Eidgenössische Finanzkontrolle rügt das Bundesamt für Gesundheit. Es geht um unklare Rechnungen in Millionenhöhe und mögliche Interessenkonflikte. Die Weltwoche hat den Fall recherchiert. Das Ergebnis ist haarsträubend"
  • wko

    Um diesen korrupten Misthaufen in Bern, insbesondere BAG und Berset und viele Parlamentarier zu entfernen, reicht keine normale Mistgabel mehr. Mittlerweile sind nur noch machtgeile, korrupte, geldgierige und selbstgefällige Wahnsinnige und Vollpfosten in Bern, die einmal dazu gewählt wurden uns dem Volk zu dienen. Es ist einfach nur zum Kotzen was diese Scheinelite sich alles erlaubt und sich nur noch bereichert. Schweizer wacht auf und wehrt euch.

  • tofatula

    Kompliment. Da haben sich einige bei der WW so richtig engagiert echte journalistische Arbeit zu machen. Weiter so.

  • Letzte Bastion

    Haftbefehle! Schlaft Ihr eigentlich bei der Justiz?