Schanghai ist die modernste, reichste und westlichste Stadt Chinas.

Bis vor kurzem galt sie auch als Musterknabe im Kampf gegen die Pandemie: Mit einer besonnenen und menschlichen Politik führte die Stadtregierung ihre 25 Millionen Bürger durch die verschiedenen Corona-Wellen.

Der Kern dieser Politik bestand darin, die Kosten für die Wirtschaft und den Aufwand für die Bürger auf ein Minimum zu beschränken. Diese Gelassenheit im Umgang mit Covid ist mit einem Namen eng verbunden: Dr. Zhang Wenhong.

Der Leiter der Pandemie-Task-Force der Stadt Schanghai hat von Anfang an versucht, den Menschen die Angst vor dem Virus zu nehmen. Bereits vor einem Jahr plädierte er für eine Koexistenz mit dem Virus und wurde dafür heftig angegriffen.

Ende Januar, als Omikron bereits in Schanghai Einzug gehalten hatte, wagte er sogar die Prognose, dass dies der letzte Pandemie-Winter sein werde. Der milde Verlauf der Infektion und die extrem niedrige Sterberate durch die Omikron-Variante (damals starb kein einziger Bewohner von Schanghai daran) nährten seinen Optimismus.

Dass zumindest ein Teil der Stadtregierung die hochansteckende Omikron-Version als eine normale Erkältung abtat und sich auf das Ende der Isolation Chinas freute, führte zu einem lässigeren Umgang und daher zwangsläufig zu einer exponentiellen Ausbreitung des Omikron-Virus im März.

Worauf Staatspräsident Xi Jinping auf einer Sitzung des Politbüros ein Machtwort sprach: «Wir halten an der Null-Covid-Strategie fest und werden mit vereinten Kräften diese harte Schlacht gewinnen.»

Was Xi zu dieser Unnachgiebigkeit nicht nur gegenüber dem Virus, sondern auch gegenüber der Vernunft führte, darüber kann man nur spekulieren. Sicher ist aber, dass schon die kleinste Abweichung von dieser Strategie einer Kurskorrektur gleichkäme und, schlimmer noch, China im Systemvergleich nicht mehr als klarer Sieger dastehen würde.

Xis Machtwort besiegelte das Schicksal des totalen Lockdowns in der Metropole. Wenige Tage später schickte er die stellvertretende Premierministerin Sun Chunlan nach Schanghai, um die Abweichler zurechtzustutzen.

Seitdem ist diese einst schöne und warme Stadt an Hässlichkeit und Kälte nicht mehr zu überbieten: Babys werden von den positiv getesteten Eltern getrennt; über 90-Jährige werden mitten in der Nacht aus der Wohnung geschleppt, um in einem Fangcang-Krankenhaus untergebracht zu werden, den schnell errichteten sanitären Sammelanlagen für positiv getestete Menschen, egal ob sie Symptome haben oder nicht.

Etwa die Hälfte der Bewohner dürfen nun die Häuser zwar wieder verlassen. Aber das Missmanagement und die Korruptions-Skandale im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung machen die einstige Vorzeigestadt zum Spottobjekt der ganzen Welt.

Es scheint allerdings, dass viele lokale Kader den von Peking befohlenen Kurs nur deshalb so übereifrig durchsetzen, weil sie damit dessen Unmenschlichkeit und Lächerlichkeit zeigen wollen, um ihn blosszustellen.

Das hat innenpolitische Konsequenzen: Dem Schanghaier Parteisekretär Li Qiang, der als enger Vertrauter von Xi Jinping gilt, wird durch das Chaos in der Hafenstadt der Aufstieg zum ständigen Mitglied des Politbüros auf dem Parteitag im Oktober verunmöglicht. Die sieben ständigen Mitglieder des Politbüros bilden den engsten Machtzirkel der Kommunistischen Partei Chinas.

Apropros Politbüro: Es ist keineswegs ausgemacht, dass in diesem Machtzirkel Einigkeit über Zero-Covid-Strategie herrscht.

Während Schanghai im Lockdown-Chaos versank, stattete Premier Li Keqiang einer anderen von Omikron befallenen Grossstadt, Nanchang, einen Besuch ab. Vor laufenden Kameras hielt er eine Rede über die Wichtigkeit der Aufrechterhaltung der Lieferketten und der steuerlichen Entlastung für die Unternehmen. Aber dem Virus schenkte er kaum Beachtung.

Spektakulär war, dass nicht nur er während der Rede keine Maske trug, sondern auch die Kader um ihn herum vom Tragen einer Maske absahen.

So ist der Streit um den richtigen Umgang mit dem lästigen Virus längst zum Machtkampf auf höchster Ebene eskaliert. Das Ende ist genauso ungewiss wie die Frage, was auf Omikron folgen wird.

*Li Ju ist ein Pseudonym. Die chinesische Journalistin ist der Redaktion bekannt. Sie wohnt in Peking und möchte ihren Namen aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlichen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Chinas «Zero-Covid-Strategie» verwandelte Schanghai in eine eisig-kalte Geisterstadt. Über den richtigen Umgang mit Corona tobt in der Regierung ein Machtkampf. Präsident Xis Marschroute ist längst nicht unumstritten"
  • Chrüütlibuur

    Die 0- COVID - Strategie, eignet sich hervorragend um Lieferketten zu unterbinden, ohne dass man von wirtschaftlichen und völkerrechtlichen, illegalen Sanktionen sprechen muss. Dafür ist Xing viel zu erfahren und schlau.

  • donnerbalken

    Ob es sich nur um eine Strategie zur Vermeidung von Covid handelt. Oder evtl. eine Art Sanktionen gegen den Westen, der dringende Waren braucht. Das ist hier die Frage!

  • oleman

    Panta rhei, alles fliesst, das soll schon Herklit versucht haben den Menschen klar begreiflich zu machen. Zu glauben man könne in einem sog. „Hochsicherheitslabor“ in Wuhan neue Viren erfinden, ohne dass diese in Fluss kommen, das ist genauso dümmlich wie eine „Null-Covid-Strategie“. Aber wen wundert es? Wer Totalitarismus propagiert und glaubt alle Menschen zwingen zu können sich einer einzigen Handlungsmöglichkeit zu unterwerfen, der glaubt auch an Null-Covid. Zum Scheitern verurteilt.