Es gibt schon länger keine zwei Meinungen mehr: Pierin Vincenz, der gefallene Raiffeisen-Chef, hat betrogen, gelogen und die halbe Menschheit über den Tisch gezogen.

Der Bündner, der von den Medien noch vor einigen Jahren als Paradebeispiel des netten Bankers, quasi als Skilehrer unter den windigen Finanzjongleuren, gefeiert wurde und im Vorabendprogramm von Tele Züri an einem farbigen Drink nippen durfte, ist zum Inbegriff des gewinnsüchtigen Profiteurs geworden. Die Geschichte ist wie eine Mischung aus Wirtschaftskrimi und Realitysoap – und die Whistleblower spielen fröhlich mit: Jedes halbe Cüpli, das Vincenz im Nightclub getrunken oder spendiert haben soll, ist feinsäuberlich protokolliert, und selbst der dritte Vorname der brasilianischen Tänzerin gehört mittlerweile zum Allgemeingut.

Doch ist alles wirklich so simpel? Schaut und hört man genauer hin, mehren sich die Stimmen, die eine entscheidende Frage stellen: Sind die vermeintlichen Vergehen des Ex-Bank-Chefs strafrechtlich relevant?

Der Mann, der dies am besten einschätzen kann, ist Vincenz-Verteidiger Lorenz Erni. Der Anwalt aus dem Zürcher Kreis 4 gilt als renommiertester Strafverteidiger der Schweiz und hält die Medien bevorzugt auf Distanz. Er hat dafür gesorgt, dass sein Mandant nie öffentlich aufgetreten ist. Erni orientiert sich an einer alte Weisheit: Reden ist Silber, Schweigen Gold. Und im Gegensatz zur Anklage hat er sein Pulver garantiert noch nicht verschossen.