Ich sah Madonna zum ersten Mal 1985, als sie auf Tournee durch Nordamerika reiste â ich sah sie wegen dreier New Yorker Jungs im Vorprogramm, die sich Beastie Boys nannten.
Scharen von MÀdchen im Alter von 10 bis 20 Jahren trugen damals T-Shirts mit dem Aufdruck «Virgin», dazu weisse Netzstrumpfhosen, Miniröcke und toupierte Frisuren. Alle wollten trashig, selbstbewusst und sexy sein. Madonna hatte einen Trend gesetzt.
Vierzig Jahre spÀter sind die Beastie Boys eine Randnotiz der Popgeschichte: grandioser, von Testosteron aufgeladener Punk-Rap von drei weissen Kindsköpfen, die lÀngst nicht mehr in die Awareness-Kultur passen.
Madonna dagegen wurde die erfolgreichste Frau im Musikbusiness und weltweite Trendsetterin. Sie war stark und aggressiv und wusste genau, was ihre Fans brauchten: Wenn MĂ€dchen und Jungs mit Virgin-T-Shirts unglĂŒcklich verliebt waren, erteilte Madonna Lektionen in Selbstbewusstsein. FĂŒhlten sie sich klein und erniedrigt, richtete sie Madonna per Auto-Tuning-Stimme wieder auf.
Madonna schien immer unglaublich frei zu sein, sie sang und sagte, was sie wollte. Niemand ahnte damals, dass sie vorhatte, dies bis heute zu tun. Und zwar einzig ĂŒber die schiere Provokation. Sie gab noch mit 50 die SM-Göre und die Geisha, machte House-Musik in Cowboyhut und Chaps und gerierte sich als Anti-Kriegs-Aktivistin mit einfacher Gitarre.
Privat zeigte sie sich als elegante Lady und dozierte ĂŒber fernsehfreie Kindererziehung und makrobiotische ErnĂ€hrung. Jede ihrer Inszenierungen sass perfekt.
Sie war die reine PrÀsenz. Und immer eine Inszenierung, nie authentisch. Madonnas Image hatte nie viel mit ihrer Persönlichkeit zu tun, sie erfand sich stÀndig neu. Aber niemals verlor sie die Kontrolle.
Sollte die Popikone nun ausgerechnet mit 64 Jahren mit Selbstoptimierung und Provokationen aufhören? No way!
Wer gehofft hatte, Madonna wĂŒrde die Sache mit dem Ălterwerden so spielerisch packen wie alles andere, lag natĂŒrlich falsch. Cool altern ist nicht leicht. Spott ist dabei völlig unangebracht.
Jetzt trÀgt sie halt ein chirurgisch aufgepimptes Porzellangesicht, eine Prinzessin-Leila-Frisur und ein Hosenkleid wie die preussische Madonna: Marlene Dietrich.
Jeder hat so seine Vorstellung vom Altern.
Aber immer gilt: Selbstbestimmung ĂŒber alles! «Ich freue mich auf viele weitere Jahre des subversiven Verhaltens, des Ăberschreitens von Grenzen, des Aufstehens gegen das Patriarchat â und vor allem des Geniessens meines Lebens âŠÂ»
Tom Kummer ist Schriftsteller in Bern und literarischer Korrespondent der Weltwoche.
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Tom Kummer
Wer ist Madonna? Was hat sie kulturell oder zivilisatorisch geleistet?
Ich glaube, Madonna hat ein Problem mit dem Altern. Sie will jung sein, entsprechend hĂ€ufig lĂ€sst sie ihr Gesicht reparieren. Sie hat auch das Problem, dass andere Showsternchen ihr den Rang abgelaufen haben. Sie ist nicht die einzige. Wenn ich Steven Tyler sehe, Aerosmith, der Mann hat ein Ă€hnliches Problem. Er will partout nicht alt sein und lĂ€uft gekleidet wie ein MItte 20er durch die Welt. Wie albern das im Grunde ist....nun gut, jeder soll tun, was er will. Abtreten mĂŒssen sie alle.
Weiss vielleicht jemand, ob der Sack Reis der in China umgefallen ist, wieder an seinem Platz steht?