Der russische Aussenminister Sergei Lawrow findet klare Worte über die Schweiz: «Sie ist kein neutrales Land.» Sie sei von einem neutralen zu einem offen «feindseligen Staat» geworden.

Als Begründung fügt Lawrow an, die Schweiz habe sich allen westlichen Sanktionen ausnahmslos angeschlossen. Mehr noch: Die Schweiz verfolge eine aussenpolitische Strategie, die Sicherheit nicht mit Russland, sondern gegen Russland bauen wolle.

Es sei deshalb «sehr seltsam», dass die Schweizer sich im Zusammenhang mit der Bürgenstock-Friedenskonferenz so gastfreundlich geben würden – in der Hoffnung, immer noch eine gewisse Reputation als Vermittler zu haben.

Was Lawrow hier schonungslos aufdeckt, sind doppelte Standards der Schweiz. Wir können noch so sehr auf unsere neutrale Tradition pochen, Tatsache ist: Viele im Ausland, darunter die Russen, früher aber auch schon die Amerikaner und andere, nehmen uns nicht mehr als neutral wahr.

Und dies – man muss sagen: leider – mit Recht. Der Bundesrat und die Mehrheit der Parlamentarier haben den neutralen Kompass verloren, sie wissen selbst nicht mehr, was eine neutrale Aussenpolitik ist.

Vielleicht haben sie dafür sogar ehrenwerte Motive. Vielleicht ist es die moralische Empörung über einen Angriffskrieg, der so viel Leid verursacht.

Doch das wäre zu kurz gedacht. Man kann die in Jahrhunderten gewachsene und bewährte Maxime der Neutralität nicht einer momentanen Gefühlslage opfern.

Offenbar fehlt es unseren tonangebenden Politikern oft schon an den elementarsten analytischen Unterscheidungskriterien: Denn niemand verlangt Gesinnungsneutralität.

Man darf politisch werten, wie es die Schweiz auch im Zweiten Weltkrieg gemacht hat. Hitler wusste genau, wo die Schweizer Bevölkerung steht. Er wusste um die geistige Landesverteidigung.

Das ist aber nicht dasselbe wie die politische und die juristische Neutralität. Hier muss sich die Schweiz strikt neutral verhalten – und sie sollte, da hat Lawrow völlig recht, Sanktionen von Dritten nicht einfach tel quel übernehmen.

Kurzum: Die Preisgabe der Neutralität nützt niemandem etwas, schon gar nicht dient sie dem Frieden in der Ukraine und irgendwo sonst in der Welt. Sie schadet nur. Uns und anderen.

Die 3 Top-Kommentare zu "Russland sieht die Schweiz als «feindseliges Land»: Leider hat es recht. Wir haben unsere Neutralität ohne Not preisgegeben"
  • Waldi Wick

    Einmal mehr, hervorragende Überlegungen von Philipp Gut; sehr guter Journalist. Danke für diese Klarstellungen, auch wenn diese dem Einen oder Anderen nicht passen sollten: Wort für Wort die Realität. Darf ich noch was anfügen? Ich bin absolut keine Putin- oder Russdland-Freund, aber meiner Ansicht nach waren es nicht die Russen, die aus Gefallen am Streiten diesen leidigen Krieg angefangen haben: Es waren die USA, die Engländer und die NATO, welche die Putin so lange "gezeucklt" haben, ...

  • corse36

    Wir haben nichts preisgegeben, das war der EU-Freund Cassis, welcher sich gross einbringen wollte und im Stechschritt mit der EU mitmarschiert ist. Wie damals Mussolini dem Maler gefolgt ist.

  • reto ursch

    Die desillusionierenden Resultate in sämtlichen Dossiers, egal ob in Wirtschaft oder beim Staat, die die opportunistische Organisation FDP seit Mitte der 1980er Jahre in ihren Händen hatte, belegen wer der wahre Bestatter unserer Schweiz ist. Wer noch einen letzten Funken Anstand hat, würde sich spätestens jetzt, nachdem er unsere Neutralität, ja unsere Heimat, kampflos und ohne Not aufgegeben hat, aus der nun arg gebeutelten Gesellschaft zurückziehen.