Am Krakauer Bahnhof sieht man mittlerweile hauptsächlich Frauen und Kinder. Immer mehr Züge aus der Ukraine treffen hier ein. Die Einwohner haben sich organisiert und heissen die Ankömmlinge sofort mit warmem Tee willkommen. Fremde Personen umarmen sich spontan. Die Menschen sind erschöpft und sorgen sich um ihre Männer und Väter, die in der Ukraine zurückgeblieben sind, um dort um die Freiheit und Unabhängigkeit ihres Landes zu kämpfen. Andererseits sind sie erleichtert, dass zumindest die Kinder nun in Sicherheit sind.

Eine dieser tapferen Frauen heisst Olesia. Ihre Reise aus der Nähe von Donezk nach Krakau dauerte 36 Stunden. Zuerst zu Fuss, dann per Autostopp, später mit dem Bus und zuletzt mit dem Zug. So hat sie mehr als 1500 km hinter sich gebracht. Begleitet wurde sie von ihrem 15-jährigen Sohn und ihrem Hund, den sie nicht im Kriegsgebiet zurücklassen wollte. «In der Ferne hörten wir Schüsse und Artilleriefeuer. Da wusste ich: sie sind da. Für mich war sofort klar, dass ich mit meinem Kind fliehen muss. Es war mitten in der Nacht, als wir aufbrachen. Wir konnten nur das Nötigste mitnehmen. Mein Mann ist im Militär. Mein sehnlichster Wunsch ist es, nach dem Krieg zu meiner Familie zurückkehren zu können», berichtet sie mit Tränen in den Augen.

Und dann macht sie sich auf den Weg. Wie so viele andere Ukrainer hat auch sie Freunde hier in Polen, einem Land, das seit 2014 mehr als eine Million Ukrainer aufgenommen hat. Olesia fährt nach Schlesien, dort werden sie, ihr Sohn und ihr Hund bei einer Freundin unterkommen. An der einen Hand führt sie den Hund, mit der anderen zieht sie ihren Koffer. Bewundernswert ist auch die Ruhe, die hier vorherrscht. Es gibt kein Geschrei oder Geplänkel, die ankommenden Menschen sind ruhig, viele haben auch schon einen Plan, wie es weitergehen soll. Sie wollen entweder bei ihren Familien in Polen bleiben oder hoffen darauf, dass der Krieg bald zu Ende ist und sie nach Hause zurückkehren können.

Taras flüchtete mit seiner schwangeren Frau und zwei Kindern aus Ternopil, einer Stadt, die seit ihrer Gründung im 16. Jahrhundert ein Teil Polens war und erst nach dem Ersten Weltkrieg der Ukraine zufiel. Die polnischen Einflüsse in Ternopil sind deswegen immer noch enorm, und die Marschrichtung war für Taras und seine Familie von Beginn an klar. «Obwohl es nicht allzu weit ist von uns nach Polen, so dauerte unsere Reise doch 48 Stunden und war besonders beschwerlich für meine Frau. Ich bin den Polen so dankbar für all das, was sie für uns tun. Wir, meine Familie, aber auch wir als Nation werden das nie vergessen. Ihr seid unsere Brüder», sagt der sichtlich gerührte Taras, der auch bei Familienangehörigen in Krakau unterkommen wird.

Viele der Flüchtlinge sind minderjährig, manche sogar noch Säuglinge. Die polnischen Behörden reagieren darauf: Ukrainische Kinder können sich in Kindergärten oder Volksschulen einschreiben lassen. «Wir möchten diesen Kindern wenigstens einen Hauch von Normalität in diesen schweren Zeiten bieten. Alle ukrainischen Kinder und Jugendlichen werden einen Platz in polnischen Schulen bekommen», versichert der polnische Bildungsminister Przemysław Czarnek.