Der Aufmarsch wirkt eindrücklich: Auf der Übersichtsgrafik der ETH figuriert ein Team von 82 Forscherinnen und Forschern mit Fokus auf Wasserstoffproduktion aus Solarenergie, daneben eine 76-köpfige Forschungsgruppe mit Konzentration auf das Gebiet CO2-Abscheidung, des Weiteren 52 Wissenschaftler, die auf Fotovoltaik spezialisiert sind, und gar 109 Personen sind es, die Wege zur Umwandlung von CO2 in Methan und Methanol erforschen. Das sind die Kapazitäten, die der ETH-Bereich nun zu einer «Koalition für grüne Energie und Speicherung» zusammenbringen will. Alles in allem sind es vierzig Professuren, die mobilisiert werden, um neue Lösungen zum Speichern und Transportieren von Energie voranzubringen.

Die Initiative kommt von Joël Mesot, Präsident der ETH Zürich, und seinem Kollegen Martin Vetterli, Präsident der ETH Lausanne, EPFL. Präsentiert wurde sie dieser Tage am Swiss Economic Forum in Interlaken. Mit von der Partie sind auch die zwei ETH-Forschungsanstalten Empa und PSI (Paul-Scherrer-Institut) sowie über zwanzig Firmen (siehe Kasten).

Warum kommt die Initiative gerade jetzt? Mesot legt im Gespräch dar, dass das Thema für ihn schon eine längere Geschichte habe: «An meiner früheren Stelle als Direktor des PSI habe ich wiederholt thematisiert, dass der Ausbau von Fotovoltaik und Windenergie auch Speicherungsmöglichkeiten erfordert.» Die Sonne scheine ja vor allem im Sommer und mittags, und zum Überbrücken der Lücken brauche es Energieträger. Nun funkte auch die Aktualität hinein: «Nachdem der Krieg in der Ukraine zur Energiekrise in Europa führte, kam die Idee, diese Ansätze aus meiner früheren Tätigkeit wieder aufzunehmen.» Das sei der Auslöser gewesen.

Die Produktion grüner Energieträger wie Methan und Methanol bringt viele Vorteile.«Und plötzlich hatten wir eine hochinteressante Kombination von Energiethemen vor Augen», fügt er an. Als Präsident der ETH Zürich sei er ja in engem Kontakt mit der Empa und dem PSI. Die Empa operiere an der Front der Wasserstoff-Forschung, etwa mit Christian Bach. Das PSI seinerseits sei stark positioniert im Thema Methansynthese, der Produktion von grünem Methan. Und die beiden Hochschulen schliesslich seien führend im Modellieren von Systemen sowie in Methoden der CO2-Abscheidung und -Speicherung.

Die Initiative geht also über Wasserstoff hinaus? Ganz klar, sagt Mesot, im Vordergrund stünden Kombinationen. Wasserstoff selber weise ja eine geringe Energiedichte auf und sei schwierig zu speichern. Und eine Verflüssigung koste viel Energie. Im Vergleich dazu bringe die Produktion grüner Energieträger wie Methan in Gasform und Methanol als flüssige Form – oder welche Spielarten auch immer – viele Vorteile. «Vor allem existieren dafür schon die notwendigen Infrastrukturen wie etwa Leitungen. Das ist meiner Ansicht nach sehr wichtig.»

Hat denn die «grüne Koalition» letztlich zum Ziel, die Energieüberschüsse des Sommers in grossem Stil zu speichern und auf den Winter umzulagern? Nein, meint Mesot, es gehe nicht um eine komplette saisonale Umlagerung der Energie. «Das würde unsere Möglichkeiten sprengen.» Hauptpfeiler des Schweizer Energiesystems seien aus Sicht der ETH erstens das Stromabkommen mit der EU und zweitens der Ausbau der erneuerbaren Energien im Land. «Unsere Initiative ist ein Teil im ganzen Puzzle, ein wichtiger, aber man muss das im gesamten Kontext sehen, es ist eine Ergänzung.»

Möglichst rasch zur Marktreife

Mit Blick auf saisonale Umlagerung seien auch die Speicherseen wichtig, selbst wenn deren Kapazitätsausweitung wegen Bewilligungsverfahren harzig verlaufe. Das ganze Puzzle der Speichermöglichkeiten sieht die ETH-Führung etwa so: Neben Pumpspeicherkraftwerken, Batterien oder Wärmespeichern bieten vor allem synthetische Kraftstoffe und Gase wie Wasserstoff Möglichkeiten für Energieumlagerungen vom Sommer in den Winter.

Wer führt denn eigentlich das ganze Vorhaben? «Im Moment die zwei Hochschulen», sagt Mesot, «zusammen mit dem PSI und der Empa.» Aber jetzt beginne man den Kreis auszuweiten auf die Industriepartner, die sich darin engagieren wollten. Die Kooperation mit der Wirtschaft läuft nach dem Muster der Finanzierung durch Drittmittel von Aussenstehenden. Die reguläre ETH-Finanzierung durch den Bund bleibt unverändert. «Einige Firmen haben schon entschieden, dass sie Finanzmittel in diese Koalition einbringen werden», sagt Mesot. Über die nächsten zehn Jahre werde man auf etwa hundert Millionen Franken kommen. Hinzu kämen Kantonsmittel und Donationen aus anderen Quellen. Damit könne man wohl drei Projekte finanzieren.

Ziel sei es, sogenannte Demonstratoren zu bauen, die eine gewisse Grösse aufwiesen, Projekte, die deutlich über die Labordimensionen hinausgingen, Anlagen im Megawattbereich. «Es gibt viele Technologien, die wir in unseren Laboratorien erforscht haben, im Kilowattbereich, vielleicht zehn oder auch mal einige hundert Kilowatt, die wir nun aber in grösserem Stil ausprobieren wollen», mein Mesot. In industrienäheren Verhältnissen könne man die Technologien realitätsgerechter testen, Fragen der Effizienz, der Zuverlässigkeit, der Dauerhaftigkeit von Komponenten klären, auch Fragen zu Kosten, zur Wirtschaftlichkeit beantworten.

«Wenn wir jetzt diese Demonstratoren erstellen, mit Zieldatum 2028 für die erste Anlage, dann muss die Industrie allmählich die Federführung übernehmen, wir sind dann eher begleitend dabei», erklärt Mesot. Sollte es später gar um Projekte in noch grösserem Massstab gehen, müsse die Industrie diese in Eigenregie umsetzen, denn das wäre ausserhalb der ETH-Kompetenz.

Aber praktisch gesehen, werde man nun mit zwei bis drei Projekten beginnen, ausgerichtet auf die Fragestellungen, die aus Sicht der ETH wichtig seien. Allgemeiner gesagt: Mit der Koalition für grüne Energie und Speicherung wolle man bestehende Technologien zur CO2-Abscheidung und zur Produktion und Speicherung von kohlenstoffneutralen Gasen und Treibstoffen möglichst schnell zur Marktreife bringen und auf ein industrielles Niveau heben. Zur CO2-Abscheidung an der Quelle beispielsweise in der Zementindustrie gibt es schon konkrete Vorhaben. Unter dem Titel «DemoUpCarma» werden die Nutzung und die permanente Speicherung von CO2 in neuem und recyceltem Beton in der Schweiz erprobt. Zudem läuft ein Versuch mit Transport und permanenter Speicherung von CO2 in einem geologischen Reservoir im Ausland.

Alpiq, Axpo, BKW et cetera

Wo verspricht sich Mesot am meisten von einer Zusammenarbeit mit der Wirtschaft? In einer ersten Phase, sagt er, werde man vor allem mit Unternehmen der Energiebranche zusammenarbeiten, also mit Alpiq, Axpo, BKW, Holcim, zudem mit SBB, Amag, Swiss und Migros. Auch mit Kantonen sei er im Gespräch, so mit Aargau, Wallis und Zug. «Aber wir haben auch mit einzelnen Personen gesprochen, die mitwirken werden. Es ist wichtig, dass man die Auswahl der Demonstratoren versteht.»

Wie beurteilt Mesot eigentlich die gegenwärtige Debatte über Sinn oder Unsinn des Wasserstoffs, in der die Meinungen stark auseinandergehen? Die einen nennen ihn den «Champagner der Energiewende», empfinden ihn also als ein teures Luxusprodukt, das nicht wirklich zum Durstlöschen taugt. Für andere ist er die grosse Hoffnung der neuen Energiewirtschaft. Mesot: «Wasserstoff hat Vor- und Nachteile. Ein Vorteil besteht etwa darin, dass man ihn in einer Gasturbine verbrennen kann, die dann einfach mit Wasserstoff läuft und am Schluss nur Wasser hinterlässt.»

Und Nachteile? «Man muss den Wasserstoff zuerst produzieren, und vor allem ist er schwierig zu speichern, wie schon erwähnt. Ich sehe aber mehr die Vorteile, vor allem in der Produktion grüner Energieträger wie Methan, Methanol und anderer synthetischer Kohlenwasserstoffe.» Diese Formen, so Mesot, könne man leicht speichern, und die entsprechende Infrastruktur sei aus der traditionellen Energiewirtschaft auch bereits vorhanden. Zudem ergebe sich mit dem Abscheiden von CO2 und dessen anschliessendem Weiterverarbeiten zu synthetischen Treibstoffen ein geschlossener Kreislauf.

Die Nutzung und die permanente Speicherung von CO2 in neuem, recyceltem Beton werden erprobt.Moment, es gibt doch viele Kritiker, die auf enorme Energieverluste bei der Verwendung von Wasserstoff hinweisen. Ja, meint Mesot, «der Nachteil ist, dass jeder chemische Schritt zusätzlich 50 Prozent Effizienz kostet. Wenn man Methan produziert, hat man also lediglich 25 Prozent Ausbeute.» Aber in der derzeitigen Energieknappheit müsse man alle Technologien in Betracht ziehen, ausprobieren. «Ich sage: Es soll kein Technologieverbot geben», sagt er.

Ist es denn möglich, wie viele meinen, dass die fossilen Energieträger Benzin, Diesel und Gas irgendwann abgelöst werden durch ganz ähnlich funktionierende synthetische, grüne Treibstoffe? Mesot: Das Netto-null-Ziel gibt uns vor, von den Fossilen wegzukommen. In einer Übergangszeit könnte man mit der CO2-Abscheidung an der Quelle von Grossanlagen diese im Prinzip weiterlaufen lassen, man nehme einfach das CO2 weg, um dieses zu grünem Treibstoff zu machen oder zu speichern.

Partner aus der Wirtschaft: Über zwanzig Unternehmen und Organisationen haben Interesse an der ETH-Initiative bekundet: Alpiq, Amag, BKW Energie, SBB, Carvolution, Cemsuisse, Emil-Frey- Gruppe, Edelweiss, FIR Group, Gaznat, Genève Aéroport, GE Vernova, Gruyère Hydrogen Power, Implenia, MAN Energy Solutions, Tech Cluster Zug (Metall Zug), Migros Industry, Romande Energie, Rolex, Swissmem, Swiss International Air Lines, VBSA, Viteos SA, Verband der Schweizerischen Gasindustrie.