Die Dekarbonisierung der Wirtschaft ist in Politik und Unternehmen zu einem vorrangigen Ziel geworden, da die Emission von CO2 als zentrale Ursache der Erderwärmung gilt. Die meisten westlichen Regierungen haben das Ziel propagiert, die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf netto null zu reduzieren, Deutschland gar bis 2045. Die Schweizer Bevölkerung hat sich der Forderung mit der Annahme des Klima- und Innovationsgesetzes im Juni angeschlossen. Und zahllos sind die Unternehmen, die mittlerweile ihre eigenen Netto-null-Versprechen verkündet haben: Dekarbonisierung bis 2050 oder früher.

Allerdings scheint einer Phase frohgemuten Verkündens von CO2-Zielen nun die Zeit der Zweifel zu folgen. Der reflexhafte Schlachtruf «bei uns hat CO2-Reduktion absolute Priorität» mag gutes Marketing sein, aber es wird immer fraglicher, dass er dem Erreichen des globalen Klimaziels hilft. Vielleicht ist er sogar im Begriff, kontraproduktiv zu werden.

 

Drohende Deindustrialisierung

Was ist passiert? Geleitet durch Herdentrieb, Lobbying der NGOs und den kurzen Zeithorizont heutiger Manager kam es zu zahlreichen unfundierten und damit unglaubwürdigen Klimabekenntnissen, statt dass die Unternehmen eine rationale Problembearbeitung in Angriff nahmen.

In Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und andernorts – auch in der Schweiz, wie die Wahlen zeigten – wächst die Furcht davor, dass die symbolpolitisch verkündeten Klimaziele den Wählern in Anbetracht der allmählich sichtbar werdenden Kosten nicht mehr schmackhaft gemacht werden können. In Deutschland wird die Gefahr der Deindustrialisierung bereits greifbar.

Auch im Finanzsektor macht sich mit Blick auf nachhaltiges Investieren nach dem Muster ESG (ökologisch, sozial, unternehmerisch) Ernüchterung breit. Die Debatte kommt auf, ob ESG-Vermögensverwaltung gar treuhänderische Pflichten verletze. Blackrock, der weltweit grösste Assetmanager, versucht sein voreilig verkündetes und kommunikativ cleveres Bekenntnis zu Nachhaltigkeitszielen wie ESG zu relativieren.

Derweil lassen sich weitere Unternehmen, weniger vertraut mit dem Thema, weiterhin dazu verleiten, beispielsweise mittels der Science Based Targets Initiative (SBTI), Versprechen abzugeben, die sie in guten Treuen gar nicht geben können, weil sich nicht abschätzen lässt, was das für die eigene Wettbewerbsfähigkeit bedeutet. Die Unaufrichtigkeit verschiebt sich von unzuverlässigen Emissionsreduktionszertifikaten hin zu unzuverlässigen Versprechen.

Es ist ehrenwert und sehr nötig, dass Firmen mehr tun wollen als nur das gesetzlich Vorgeschriebene. Aber dafür muss die heutige, wohlfeile «Bekenntnislogik» rationalen Überlegungen im globalen Rahmen weichen.

So wichtig «Reduzieren», also das Verringern von Treibhausgasemissionen, selbstverständlich bleibt, so offensichtlich ist es, dass dieses Potenzial beschränkt ist. Ein Herunterfahren auf null wäre eine Illusion, das würde die Wirtschaft abwürgen. Deshalb wird die Forderung nach netto null politisch wichtiger. Es wird auch nach 2050 noch CO2-Emissionen geben, welche aber durch Negativemissionen kompensiert werden müssen: etwa Entnahme von CO2 aus der Luft, das dann dauerhaft gebunden wird.

 

Den Schalter umlegen

Glaubwürdigkeit in Klimastrategien braucht sogenannte Negativemissionen. Die Lösungskomponente Reduktion durch Negative Emissionstechnologien (NET) oder «Removal durch NET» ist auch für die Erreichung der Klimaziele 2050 ein wesentlicher Pfeiler. Dieser ist solid, weil er Effizienz und Kosten ins Zentrum rückt und die Kosten des Reduzierens und des Kompensierens durch NET gegeneinander abwägt. Bisher wurde vor lauter Bekenntniseifer darauf verzichtet oder ausgeblendet, dass Effizienz und Kosten der Massnahmen eine hohe Bedeutung zukommen muss.

Nun muss der Schalter umgelegt werden: Wer die globalen Klimaziele wirklich ernst nimmt, muss sich mit der Frage befassen, welche Instrumente zu deren Erreichung am geeignetsten, effizientesten sind. Dazu zählt die Einsicht, dass man die Emissionen gar nicht auf null abwürgen kann, weil dies das Wirtschaften bei denen, die vorausgehen, ersticken würde.

Entscheidend ist dabei, dass man die damit verbundenen Emissionen mit klar identifizierbaren Negativemissionen verrechnen kann. Deshalb: Wer CO2 nachweisbar aus der Atmosphäre nimmt, erhält Gutschriften, die er sich in seiner Emissionsbilanz anrechnen lassen kann. Diese Gutscheine, Zertifikate, sind idealerweise in einem System wie ETS handelbar.

Gewiss, Zertifikate haben heute einen schlechten Ruf. Aber in der Kritik stehen ja vor allem die Vermeidungs-, die sogenannten Avoidance-Zertifikate, welche man erhält, wenn beispielsweise ein Stück Tropenwald nicht abgeholzt wird. Der Schutz bestehender Wälder ist zwar ein wichtiges Anliegen, aber das wirksame Mittel gegen Willkür und Schummeln bei solchen Avoidance-Zertifikaten muss erst noch gefunden werden. Zu unsicher ist oft die Beurteilung, wie die Emissionen ohne die betreffende Verminderungsanstrengung tatsächlich ausgefallen wären.

Wesentlich anders liegt der Fall bei der Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, bei den Removal-Zertifikaten. Hier ist der Referenzverlauf nicht an irgendeinen konstruierten Modellverlauf geknüpft, welcher der Willkür Tür und Tor öffnet, sondern an die Nulllinie. Das Resultat ist klar beobachtbar, das eingefangene CO2 messbar, es werden dafür geprüfte Negativemissionstechnologien benötigt. Diese werden nicht billig sein und dafür sorgen, dass der Druck auf das Reduzieren bestehen bleibt.

 

Harte Währung der Klimapolitik

Die Netto-null-Ziele werden eher oder überhaupt erst dann erreichbar sein, wenn die Politik der qualitativ gesicherten Kompensation durch negative Emissionstechnologien Priorität einräumt. Sonst kann man den fürs Weiterlaufen der Wirtschaft noch lange Zeit nötigen Emissionen gar keine Kompensation gegenüberstellen. Removal-Zertifikate sind so etwas wie die harte Währung der Klimapolitik.

Die Qualitätssicherung bei solchen Zertifikaten sowie die Rahmenbedingungen für den Handel müssen von den Staaten beziehungsweise zwischen den Staaten anerkannt werden – und das ist bei Beseitigungszertifikaten bedeutend einfacher als bei den bisherigen Vermeidungszertifikaten.

Die schweizerische Wissenschaftswelt hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit Fragen der Negativemissionen auseinandergesetzt. Ob Forst- und Bodenwirtschaft, Biokohle oder Mineralisierung von CO2: Überall sind Schweizer Wissenschaftler führend dabei und international bestens vernetzt.

Mit strategischer Schärfung liesse sich daraus zusammen mit Unternehmen eine kraftvolle Gruppe bilden, die in diesem künftig zentralen Dossier auch international Flagge zeigen und an Konzepten mitarbeiten könnte, so dass marktorientierte Mechanismen mehr Relevanz hätten. Es geht etwa darum, dass Carbon Removal und NET bei den Emissionsregimes ab 2030 voll integriert und als Instrumente umgesetzt werden.

Eine aktive Rolle in einem solchen Prozess zu spielen, trüge mittelfristig in der Schweiz auch zur Stärkung des Cleantech-Standorts bei, weil die parallel entwickelten Produkte sowie Lösungen von schweizerischen early adapters auf den Weltmärkten einen Wettbewerbsvorteil hätten. Auf Seiten der Verwaltung wurde bereits eine Arbeitsgruppe Carbon Capture and Storage/NET eingesetzt, der die Kantone, die betroffene Wirtschaft und die relevanten Ämter angehören. Diese arbeitet pragmatisch die sich stellenden Fragen ab, doch fehlt der Wille zur proaktiven Gestaltung auf nationaler und internationaler Ebene.

Als Beispiel für eine mögliche Kooperation sei das Sultanat Oman genannt, das dank seiner grossen Fläche und geringen Bevölkerung immense Reserven für den Bau von Solar- und Windanlagen hat (siehe Artikel rechts). Auf diesen kann dank günstigen Wind- und Sonnenkonstellationen schon bald in grossem Umfang grüner Wasserstoff produziert werden. Parallel dazu kann CO2 dank Direct Air Capture oder aus Industrieländern importierten Volumen im dort vorhandenen, geeigneten Gestein mineralisiert, dauerhaft der Atmosphäre entzogen werden.

Das Ministerium für Energie und Mineralien des Sultanats hat bereits sein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der ETH-Forschungsanstalt Empa im Rahmen des Sweet-Projekts «ReFuel.ch» bekundet. Oman und die Schweiz werden bei der Erforschung nachhaltiger Energie und nachhaltiger Energietechnologien und deren Anpassung für den Einsatz in Wüsten zusammenarbeiten. Mit Ländern wie Oman rasch eine umfassende Kooperation im Bereich der Klima-, Energie- und Forschungspolitik zu lancieren, müsste gegenwärtig zu den Prioritäten von Regierung sowie Verwaltung der Schweiz zählen. Dies wäre im Interesse beider Länder und der Volkswirtschaften, würde die Transformation von Oman zu einer postfossilen Wirtschaft unterstützen und hätte parallel klimapolitisch erwünschte Effekte; wann werden die ersten NET-Zertifikate im Sinne von Artikel 6 des Pariser Abkommens gehandelt?

 

Heinz M. Buhofer war von 2002–2020 als Verteter der Eigentümerfamilie CEO beziehungsweise Verwaltungsratspräsident der Metall-Zug-Gruppe. Seit 2020 ist er VRP einer Gesellschaft, die namentlich in Oman CO2 mineralisiert.

Walter Steinmann ist Verwaltungs- und Beirat bei diversen Start-ups, Senior Advisor bei Energy Infrastructure Partners und ehemaliger Direktor des Bundesamts für Energie (2001–2016).

Die 3 Top-Kommentare zu "Das Klima braucht Taten, nicht Versprechen"
  • hickory

    "Die Dekarbonisierung der Wirtschaft " =harakiri live. Dieser Schwachsinn wird mit der ständigen Widerholung nicht wahr.

  • mhafner

    Es gibt keinen wissenschaftlichen Grund für die CO2-Hysterie. Hört endlich auf mit diesem Schwachsinn! Die Welt hat andere, reale Probleme!

  • Urs Stotz

    Von den 0.04% CO2 in der Luft sind 4% also 0.0016% menschengemacht. Für die Pflanzen wären 0.08% CO2 optimal, bei weniger als 0.02% beginnen sie zu sterben.Das für die Pflanzen wichtige Spurengas CO2 aus der Luft entfernen - der Wahnsinn kennt keine Grenzen. Sie Herr Heinz M. Buhofer verdienen Ihr Geld damit. Vielleicht hört man sich besser folgenden Vortrag an: Markus Fiedler: Klimawandeln – Auf den Spuren menschengemachter Desinformation https://www.youtube.com/watch?v=mCN0LiAnfPk