Wie viel gibt man? Wem? Und vor allem: wofür? Wer im Restaurant einen schlechten oder unfreund- lichen Kellner erwischt, hat keine Wahl. Man kann keinen anderen bestellen. Schon mehr als einmal ­hätte ich lieber der blitzschnellen und obendrein freundlichen Kassiererin im Supermarkt ein Trinkgeld gegeben als dem schnöseligen Kellner. Aber so funktioniert es nicht. Das Relikt Trinkgeld geht praktisch nur noch an Servicepersonal in Lokalen, selten an Zimmermädchen in Hotels oder am Tankwarte. Erstaunlicherweise und im Gegensatz zu dem, was man annehmen würde, wird gute Bedienung selten mit höherem Trinkgeld belohnt. Die meisten Gäste, zeigen Untersuchungen, haben eine feste Prozentzahl im Kopf, die sie geben. In Europa liegt sie meist zwischen fünf und zehn Prozent.

In japanischen Restaurants gilt Trinkgeld als Beleidigung, als Respektlosigkeit einem Menschen gegenüber, der gute Arbeit leistet, wie das von jedem erwartet wird, egal in welchem Beruf. Im tip-Rekordland USA hingegen gelten 15 Prozent Trinkgeld als Minimum. Gäste, die weniger geben, werden gelegentlich gefragt, ob etwas mit dem Service nicht in Ordnung war. Wer mit Kreditkarte zahlt, sieht inzwischen auf dem Kartenlesermaschinchen, das an den Tisch gebracht wird, unter dem Gesamtbetrag drei Kästchen mit Trinkgeld-Vorschlägen zum Ankreuzen: 15, 18 und 20 Prozent. Natürlich sehen die Kellner aufmerksam hin, was man ankreuzt. Und wer eigentlich weniger geben wollte, als die Kästchen vormerken, braucht eine gute Portion Ungerührtheit, sich nicht als Mickerling zu fühlen. Eine erstaunliche Entwicklung: Vor rund hundert Jahren wurde Trinkgeld in mehreren US-Staaten verboten, weil es im Personal die gänzlich unamerikanische Bereitschaft zur Unterwürfigkeit fördere. Das Verbot hielt sich nur ein paar Jahre. Und Unterwürfigkeit ist ungefähr das Letzte, was einem heute zu amerikanischen Kellnern einfallen würde. Bleibt die ­Frage, warum der alte Zopf Trinkgeld so erfolgreich hängenbleibt. Es muss damit zu tun haben, dass bewirtet zu werden, deutlich wärmere Gefühle auslöst als die meisten Tauschgeschäfte, auf die wir uns einlassen. Und wir deshalb nicht ungern drauflegen.