Die Themenkonjunktur für einen nachhaltigen Finanzplatz war definitiv schon günstiger: Seit rund zwei Jahren tobt in den USA ein Glaubenskrieg um die Frage, ob grosse Vermögensverwalter die Gelder ihrer Kunden gemäss ökologischen, sozialen und unternehmensorganisatorischen Kriterien (Environmental, Social, Governance; ESG) anlegen sollen oder ob sie damit ihren Kernauftrag der Ertragsmaximierung vernachlässigen – bekannte Gesichter auf Seiten der Gegner des ESG-Konzepts sind der US-Präsidentschaftskandidat Vivek Ramaswamy und der Investor Peter Thiel.
In Europa reguliert die EU feingliedrig, wie der Finanzsektor seine Rolle bei der Umsetzung des «Green Deal» zu erfüllen hat. Die EU-Taxonomie, die seit Anfang 2022 die Tätigkeit wesentlicher Branchen mit Blick auf die Umweltbelastung kategorisiert und dadurch Finanzströme in als nachhaltig eingestufte Sektoren lenken möchte, ist bloss ein Element davon. Selbst die der Sache grundsätzlich gewogenen UBS-Analystinnen lassen sich in einer 63-seitigen Studie dazu von Anfang September den Stossseufzer «es ist nicht einfach und soll es auch gar nicht sein» entlocken.
Hinzukommen Skandale wegen «Greenwashing», dass also Finanzprodukte als nachhaltig vermarktet werden (mit entsprechend höheren Margen für die Anbieter), obwohl sie den Kriterien gar nicht genügen; und schliesslich die von Fachmedien angefachte Debatte um die tatsächliche Wirkung von Projekten im Ausland, die der Kompensation von inländischen CO2-Emissionen dienen. Zuletzt hat auch der Zinstrend nach oben gedreht, was die Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft erheblich verteuert und einfache, konventionelle Anlagen attraktiver macht.
Frauen und Fremdfinanzierung
Trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) war die vom Swiss Finance Institut (SFI) und von Swiss Sustainable Finance (SSF) organisierte Konferenz zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor, ein jährlicher Fixpunkt der Branche in Zürich, auch diesen September ausgebucht. Sie versuchte, ihrem im Titel erhobenen Anspruch, mit Finanzinnovationen den Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen, durch eine breite Themenpalette gerecht zu werden.
Die Erkenntnis, dass für ein nachhaltig stabiles Finanzsystem dessen Abwehrkräfte zu stärken und die Anreize der Akteure richtig zu setzen sind, ist zwar nicht neu, aber nach dem CS-Debakel hierzulande besonders passend. Eine neue SFI-Studie legt nahe, dass grosse Banken mit einer grossen Fremdfinanzierung und wenig Frauen im Verwaltungsrat im Wandel hin zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft höheren Risiken ausgesetzt sind; ob Frauen lieber für andere Banken arbeiten oder ob das Geschlecht tatsächlich einen Unterschied macht, lässt die Studie unbeantwortet.
Erwartungsgemäss weiterhin kontrovers beurteilt wird die Frage, ob die EU mit ihrer akribischen Taxonomie et cetera auf dem richtigen Pfad ist. Praktiker in Banken begrüssen sie, nicht unbedingt aus innerer Überzeugung, sondern weil eine Standardisierung die Umsetzung im Tagesgeschäft erleichtert und Compliance-Risiken reduziert.
Dass, wie SFI-Direktor François Degeorge festhielt, ein neuer Realismus in der (zuvor teilweise etwas naiv-optimistischen) Nachhaltigkeitsindustrie Einzug gehalten hat, ist positiv zu werten. Der Schweizer Finanzplatz, immer noch weltweit Nummer eins in der Verwaltung ausländischer Vermögen, hat ein vitales Interesse daran, dass die Politik auf nationaler und internationaler Ebene ihre Möglichkeiten, über den Finanzplatz die Wirtschaft in die gewünschte Richtung zu lenken, nicht überschätzt. Und umgekehrt die unerwünschten Nebenwirkungen, die gutgemeinte Eingriffe in ein komplexes System auslösen können, nicht unterschätzt.
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